- Die belarussische Sprinterin Kristina Timanowskaja schreibt die bisher dramatischste Geschichte der Olympischen Spiele in Tokio.
- Die 24-Jährige sollte offenbar gegen ihren Willen gewaltsam zur Heimreise nach Belarus gezwungen werden. Zuvor hatte Timanowskaja in einem Video Kritik an den belarussischen Sportfunktionären geäußert.
- Timanowskaja verbrachte die Nacht in einem Flughafenhotel in Tokio und soll in Sicherheit sein. Sie befinde sich in der polnischen Botschaft in Japan und habe Asyl in Polen beantragt.
Die belarussische Olympia-Teilnehmerin Kristina Timanowskaja hat angeblich um politisches Asyl in Polen gebeten. Dies vermeldete das belarussische Menschenrechtszentrum Wesna über den Kurznachrichtendienst Twitter.
Zuvor hatte auch Tschechien der 24-Jährigen ein humanitäres Visum angeboten.
Polens Vize-Außenminister Marcin Przydacz schrieb bei Twitter: "Sie hat die freie Wahl, ihre sportliche Karriere in Polen fortzusetzen, wenn sie sich dafür entscheidet."
Timanowskajas Ehemann bestätigte der Nachrichtenagentur AFP am Montag: "Sie wird wahrscheinlich nach Polen gehen." Auch der Ehemann flüchtete nach eigenen Angaben aus dem autoritär regierten Belarus und hält sich demnach in Kiew in der Ukraine auf. Wegen des Konflikts seiner Frau mit den Behörden seien sie in Belarus "nicht sicher".
Olympia 2021: Timanowskaja sollte zu Staffelrennen gezwungen werden
Timanowskaja hatte in einem Video, das die oppositionelle belarussische Athletenvertretung Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF) am Sonntag veröffentlichte, erklärt, sie habe gegen ihren Willen aus Japan ausgeflogen werden sollen.
In ihrem bei Instagram veröffentlichten Video kritisierte Timanowskaja den belarussischen Leichtathletikverband. Sie gab an, sie sei gezwungen worden, am 4x400-Meter-Rennen teilzunehmen, weil der Verband nicht die Anzahl ausreichender Dopingkontrollen für die Athletinnen gewährleistet habe.
Die unabhängige Athletenorganisation BSSF unterstützt Timanowskaja. "Vertreter des belarussischen Kaders versuchen, die Sportlerin aus Tokio zu verschleppen, ihr wurde ein Flugticket nach Minsk gekauft", schrieb die im vergangenen Jahr gegründete Stiftung bei Telegram. Man habe das Eingreifen der japanischen Polizei beantragt, um diese Ausreise zu verhindern, erklärt die BSSF weiter und sprach von einer versuchten "gewaltsamen" Ausreise.
IOC-Sprecher: Timanowskaja in Sicherheit
Nach Angaben des Internationalen Olympischen Komitees befindet sich Timanowskaja an einem sicheren Ort. IOC-Sprecher Mark Adams bestätigte, Timanowskaja sei "sicher", am Montagmorgen habe das Internationale Olympische Komitee erneut Kontakt zu ihr gehabt und das belarussische NOK aufgefordert, schriftlich zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen.
Nach Adams' Angaben seien Offizielle der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR in den Fall involviert. Weitere Details nannte er nicht. Timanowskaja hat nach ihrem Hilferuf am Sonntagabend die Nacht in einem Hotel am Tokioter Flughafen Haneda verbracht.
Am Montagvormittag stand die Sprinterin ursprünglich in der Startliste über 200 Meter. Das belarussische NOK erklärte öffentlich, dass Timanowskaja "aufgrund ihres emotionalen und psychologischen Zustands" nicht mehr an den Spielen teilnehmen könne.
Belarus "im Zentrum eines Skandals"
IOC-Sprecher Adams verwies in der täglichen Pressekonferenz auf die Sanktionen, die im vergangenen Jahr gegen das belarussische NOK verhängt worden waren. Staatschef Alexander Lukaschenko musste sein Amt als NOK-Vorsitzender abgeben, seinem Sohn Wiktor verweigerte das IOC die Anerkennung als dessen Nachfolger. Die finanziellen Zuwendungen wurden ausgesetzt, ebenso die Gespräche über IOC-Veranstaltungen in Belarus.
Das IOC machte Belarus zum Vorwurf, dass die "frühere Führung des NOKs die belarussischen Athleten nicht angemessen vor politischer Diskriminierung" geschützt hat. Medienberichten zufolge sind mehr als 100 Athletinnen und Athleten vom Leistungssport in Belarus ausgeschlossen worden, seit sie einen offenen Brief unterschrieben haben, der ein Ende der Polizeigewalt gegen regierungskritische Demonstranten fordert.
Die russische Tageszeitung "Nesawissimaja Gaseta" schrieb: "Belarus hat es geschafft, sich bei den Olympischen Spielen in Tokio im Zentrum eines Skandals wiederzufinden."
Am Tag vor dem Vorfall um Timanowskaja hatten Belarussen in den sozialen Netzwerken bereits darüber gescherzt, dass alle belarussischen Sportler, die keine Medaille gewonnen haben, sofort um politisches Asyl bitten sollten. Grund dafür waren harte Aussagen von Alexander Lukaschenko gewesen: "Wissen Sie, warum wir manchmal im Sport nicht gewinnen? Sie (die Athleten) sind nicht hungrig."
Teile der Medien wünschen Timanowskaja den Tod
Der belarussische Journalist Tadeusz Giczan schilderte in einem Tweet die angeblich unter seinen regimetreuen Kolleginnen und Kollegen herrschende Stimmung.
Timanowskaja sei eine "Hure" und solle in ein Flüchtlingscamp gebracht werden, um dort von 200 Arabern vergewaltigt zu werden. Sogar der Tod werde ihr gewünscht. (dpa/AFP/hau)
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