Fabian Hambüchen spricht im großen Olympia-Interview über die deutschen Medaillenchancen, die Stimmung in Paris, die politische Lage in Frankreich – sowie seine Rolle als Reporter vor Ort.

Ein Interview

Fabian Hambüchen gewann bei Olympia Gold, Silber und Bronze – 2016 bei den Spielen in Rio krönte er seine erfolgreiche Karriere mit dem Olympiasieg am Reck.

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Nach dem Ende seiner aktiven Karriere wechselte Hambüchen die Seiten: vom Athleten wurde er zum Reporter, der für Eurosport vor Ort von den Olympischen Spielen berichtet. Auch in Paris ist der 36-Jährige mit dabei. Wir haben vor dem Olympia-Start mit ihm gesprochen.

Olympiasieger Fabian Hambüchen im Interview

Herr Hambüchen, in weniger als zwei Wochen starten die Olympischen Spiele in Paris. Ist die Olympia-Vorfreude schon da oder waren Sie zuletzt noch im Fußball-EM-Modus?

Fabian Hambüchen: Die Olympia-Vorfreude ist definitiv da. Es ist natürlich ein Unterschied zu der Zeit, als ich aktiver Sportler war – da ist nochmal mehr Anspannung da, je näher die Wettkämpfe kommen. In meiner Funktion als Moderator und Kommentator ist das jetzt eine andere Geschichte. Klar, Fußball habe ich zuletzt auch verfolgt. Trotzdem ist Olympia schon jetzt voll präsent und ich freue mich riesig, wenn es bald losgeht!

Sie haben es gerade schon angesprochen: Sie sind während der Spiele wieder als Experte für Eurosport im Einsatz. Worauf freuen Sie sich in Ihrer Rolle als Reporter am meisten?

Am meisten freue ich mich tatsächlich immer auf die Gespräche mit den Sportlern und Sportlerinnen, weil das einfach ganz tolle Begegnungen sind. Viele kenne ich schon, viele sind aber auch neu für mich. Durch meine Vergangenheit als Sportler kann ich die Fragen auch ein bisschen anders stellen und mal frecher sein, weil sie es mir nicht so krummnehmen. Sie wissen ganz genau, egal ob Erfolg oder Niederlage, dass ich das auch alles schon mal durchlebt habe.

Fabian Hambüchen bejubelt seine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio
Fabian Hambüchen bejubelt seine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio. © picture alliance/GES/Markus Gilliar

Was ist in Paris konkret geplant?

Wir werden täglich zwei Live-Shows haben, die abends stattfinden. Mein Hauptarbeitsort wird das Deutsche Haus sein, wo wir ein kleines Studio eingerichtet haben und wo ich mein Unwesen treiben werde. Das Deutsche Haus in Paris ist riesig. Es ist diesmal ein Rugby-Stadion, in dem die Spielfläche als Fanzone genutzt wird. Es gibt einen Biergarten mit Public Viewing. Das alles wird meine Spielwiese, auf der ich viele Stimmen einfangen kann. Daneben werde ich noch die Turn-Wettbewerbe mitkommentieren – entweder direkt aus der Halle oder aus dem Studio.

"Es ist das beste Deutsche Haus aller Zeiten."

Fabian Hambüchen über das Deutsche Haus in Paris

Sie haben aus Ihrer Zeit als aktiver Athlet noch beste Erinnerungen daran – vor allem natürlich 2016 in Rio. Was macht den Mythos Deutsches Haus für Sie aus?

Es ist schwer zu beschreiben, ich war als Sportler früher immer selbst zwiegespalten. Auf der einen Seite ist es wirklich ein super Ort für die Athletinnen und Athleten, man kann einfach hingehen, Leute treffen, Spaß haben, gut essen, gut feiern und Kontakte knüpfen.

Aber?

Aber wenn du jetzt, wie in meiner Situation damals, häufig einer der Top-Favoriten bist und dann vor den Wettkämpfen dort hingegangen bist, dann hast du einfach wenig Ruhe bekommen. Über die Jahre hinweg wurde aber immer mehr Fokus darauf gelegt, dass es einen eigenen Athletenbereich gibt, wo man sich zurückziehen kann – den gibt es auch in Paris wieder. Insgesamt haben sie diesmal in Paris wirklich für alles gesorgt. Es ist das beste Deutsche Haus aller Zeiten.

Sie waren gerade erst in Marseille, zuletzt aber auch schon in Paris. Ist die Stadt bereits im Olympia-Fieber oder geht es noch ruhig zu?

Ich war vor Ostern eine Woche da und schon da hat man das Olympia-Fieber gespürt. Zu dem Zeitpunkt war alles natürlich noch mehr oder weniger eine Baustelle, aber wenn man alleine schon gesehen hat, wie das Beachvolleyball-Stadion genau vor dem Eiffelturm aufgebaut wird, dann ist das schon geil. Super viele Events sind fußläufig in der Innenstadt erreichbar, was total cool ist. Man merkt schon, dass die Franzosen da richtig Bock drauf haben, sie sind ein sportbegeistertes Publikum.

"Wer sagt, Olympia hat nichts mit Politik zu tun, der lügt."

Fabian Hambüchen

In Frankreich haben die Rechtsnationalen um Marine Le Pen kürzlich die erste Runde der Parlamentswahl gewonnen. Im zweiten Wahlgang setzte sich dann das Linksbündnis Noveau Front populaire durch. Glauben Sie, dass die aktuelle politische Stimmung in Frankreich Einfluss auf die Olympischen Spiele haben wird?

Olympische Spiele sind nie unpolitisch, das muss man einfach so sehen. Wer sagt, Olympia hat nichts mit Politik zu tun, der lügt. Aber in diesem Fall hat das erstmal nichts mit Olympia zu tun – das ist eine ganz andere Geschichte. Ich glaube auch, dass die Bürgermeisterin von Paris deutlich mehr politischen Einfluss auf die Spiele hat als jemand anderes. Insofern sehe ich das völlig tiefenentspannt.

Wie haben Sie das bei den vergangenen Spielen wahrgenommen?

Vor allen Olympischen Spielen gab es immer irgendwelche Themen – sei es Politik, sei es Terror, seien es Krankheiten wie das Zika-Virus. Und es gab immer wieder Themen, wegen derer man die Olympischen Spiele theoretisch hätte boykottieren können. Aber wenn du dann endlich bei den Spielen bist, dann merkst du, dass es, anders als im Vorfeld, in diesen drei Wochen wirklich nur noch um den Sport geht. Es geht um die Athleten, es geht um die olympische Bewegung und den olympischen Traum.

Sie haben als Sportler unter anderem Spiele in London erlebt, aber auch quasi am anderen Ende der Welt in Rio. Wie wichtig ist der Olympia-Austragungsort für die Athletinnen und Athleten?

Man muss es aus zweierlei Sicht betrachten. Das eine ist die Frage, was die eigene Leistung beeinflussen könnte. Das betrifft vor allem Athleten, die ihren Sport unter freiem Himmel ausüben – da spielt das Klima dann eine ganz wichtige Rolle. Das haben wir zum Beispiel in Tokio erlebt, als der Marathon morgens um 5 oder 6 Uhr losging, weil es dann zu heiß wurde. Für Hallensportler ist der Standort deshalb erstmal egal, aber natürlich gibt es immer noch andere Themen.

Und zwar?

Die lange Anreise, der Jetlag und auch andere Dinge, zum Beispiel die Ernährung. All das spielt eine Rolle. Wenn ich an meine vier Spiele denke, da habe ich mich, wenn überhaupt, nur gefreut, dass die Anreise vielleicht mal kürzer war. Ansonsten freust du dich einfach, dabei zu sein, egal wo es auf dieser Welt ist.

"Ich werde diesen Moment auf jeden Fall nicht vergessen."

Fabian Hambüchen über den Fackellauf

Anfang Juni durften Sie die olympische Fackel weitertragen – auf einer Strecke von rund 200 Metern. Was war das für ein Gefühl?

Es war unbeschreiblich und für mich wirklich eine Riesenehre, dass ich gefragt wurde. Für mich war das Ganze auch sehr emotional, der Fackellauf hat ja eine große Bedeutung und Geschichte. Ich werde diesen Moment auf jeden Fall nicht vergessen.

Abgesehen vom Turnen: Auf welche Sportarten sind Sie in Paris besonders gespannt?

Früher hätte ich wahrscheinlich gesagt: Leichtathletik oder Wasserspringen. Mit der "Hambüchen Challenge" habe ich mittlerweile aber mein eigenes Format bei Eurosport, wo ich verschiedene Sportarten ausprobiere und die Sportlerinnen und Sportler kennenlerne. Dadurch habe ich inzwischen ein ganz anderes Gefühl für die Sportarten – ich habe gemerkt, dass jede Sportart unheimlich anspruchsvoll ist und die Jungs und Mädels super viel arbeiten und trainieren. Mittlerweile bin ich mit den Emotionen also eigentlich bei jeder Sportart dabei.

Und wenn Sie sich jetzt doch entscheiden müssten?

Was natürlich geil ist, ist Breakdance. Auch, weil es zum ersten Mal dabei ist. Ich habe es auch schon ausprobiert und mit einem französischen Athleten in Paris gedreht. Da bin ich auf jeden Fall sehr gespannt. Ich habe noch nie ein Breakdance-Battle live erlebt, insofern freue ich mich da extrem drauf.

Fabian Hambüchen: Das sind die größten deutschen Medaillenhoffnungen

Gab es im Rahmen der "Hambüchen Challenge" auch eine Sportart, bei der Sie im Voraus dachten, so schwer kann das ja nicht sein, und dann beim Ausprobieren gemerkt haben, dass es doch relativ anspruchsvoll ist?

Anspruchsvoll waren alle, aber wo ich mir richtig schwergetan habe, war der Einer-Canadier. Da hätte ich gedacht, dass ich das irgendwie besser hinkriege. Wildwasser-Kanu vor den Spielen in Tokio war auch brutal – das geht ja in eine ähnliche Richtung. Und zuletzt das Kitesurfen in Marseille war auch nicht ohne. Im Winter war alles im Eiskanal – Rodeln, Bob, Skeleton – auch sehr anspruchsvoll. Alle Sportarten sind einzigartig und jede für sich ist so speziell.

Wie schätzen Sie die deutschen Medaillenchancen ein? Wo sind die Chancen auf Gold am größten?

Es ist schwer, solche Vorhersagen zu machen, gerade bei Olympia. Man sagt ja nicht ohne Grund, bei Olympia sterben die meisten Favoriten. Für jede Sportlerin und jeden Sportler sind Olympische Spiele eine krasse Situation. Die große Herausforderung ist es, die Leistung dann auch genau in diesem Moment umgesetzt zu bekommen.

Nennen Sie mir gerne ein paar Namen.

Malaika Mihambo ist gerade jetzt nach der Leichtathletik-EM wieder unbeschreiblich gut in Form. Beim Turnen haben wir Lukas Dauser, der sich leider vor ein paar Wochen verletzt hat – ich hoffe, dass er es noch schafft. Wenn er fit wird, wäre er am Barren auf jeden Fall ein Medaillenkandidat. Darja Varfolomeev hat als Weltmeisterin ebenfalls große Chancen. Sebastian Brändel hat noch eine Rechnung offen nach den letzten Spielen, mit ihm ist auch zu rechnen. Du hast die Bahnrad-Mädels, du hast die Beachvolleyballerin Laura Ludwig, du hast Florian Wellbrock, du hast Ricarda Funk. Es gibt so viele Namen, die alle Chancen haben.

Dann gibt es ja auch noch die Mannschaftssportarten. Du hast die Basketballer als Weltmeister. Bei den Hockey-Jungs und -Mädels ist immer was drin, und auch die Fußballfrauen waren immer stark. Wir haben gute Chancen, wir haben gute Leute dabei. Hoffentlich gibt es zusätzlich noch die ein oder andere Überraschung, und wenn das alles durchgeht, kann es am Ende richtig gut aussehen.

Die deutsche Rekordmeisterin im Kunstturnen, Elisabeth Seitz, verpasste die Olympia-Quali knapp, stattdessen konnte sich Helen Kevric den letzten Startplatz sichern. Was erwarten Sie sich in Paris von der gerade mal 16-Jährigen?

Sie hat sich verdient qualifiziert, aber im ersten Moment sehe ich bei ihr noch keine Medaille. Auch wenn man sich die Amerikanerinnen anschaut, die mit einem unfassbaren Aufgebot kommen. Auch die Brasilianerinnen und Italienerinnen haben eine starke Truppe. Insofern wird es für Helen sehr schwierig, aber eine Finalteilnahme ist nicht unrealistisch. Im Mehrkampf hat sie große Chancen, ins Finale zu kommen und vielleicht auch noch am Stufenbarren – möglich ist da alles! Ich würde nicht sagen, dass sie eine große Medaillenhoffnung ist, aber als 16-Jährige musst du das einfach genießen. Ich war damals auch 16 bei meiner ersten Teilnahme, und es war ein absolutes Highlight, überhaupt nur dabei zu sein. Da geht ein Traum in Erfüllung. Insofern wünsche ich ihr, dass sie jede Sekunde genießen kann, die Atmosphäre aufsaugt und dann einen guten Wettkampf macht.

Nochmal zurück zur Fußball-EM. In Deutschland war die Euphorie im Land phasenweise riesig. Glauben Sie, diese Euphorie überträgt sich von der EM auch auf Olympia?

Sicherlich. Die Leute sind jetzt durch die EM gut eingeheizt und ich denke schon, dass es auch so weitergeht. Unter den Fußballfans sind bestimmt viele, die auch gerne andere Sportarten verfolgen. Deswegen würde ich sagen, trotz des deutschen Ausscheidens ist einfach diese Begeisterung für sportliche Großevents wieder da. Ich hoffe aufgrund der Nähe auch, dass viele Deutsche nach Paris reisen und die Athletinnen und Athleten vor Ort unterstützen werden.

Über den Gesprächspartner

  • Fabian Hambüchen (Jahrgang 1987) ist ein ehemaliger deutscher Kunstturner. Neben etlichen nationalen Titeln gewann er 2007 den WM-Titel am Reck, 2016 gewann er bei den Olympischen Spielen in Rio am selben Gerät Gold. Hinzu kommt eine Bronzemedaille (2008 in Peking) und eine Silbermedaille (2012 in London). Nach dem Erfolg in Rio beendete er seine internationale Karriere, seit 2018 ist er als Experte, Reporter und Moderator für Eurosport tätig und begleitete schon mehrere Olympische Spiele vor Ort.

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