Tennisspielerin Angelique Kerber hat bei den Olympischen Spielen in Paris ihre beeindruckende Karriere beendet. Die deutschen Tennis-Fans werden "Angie" und ihr großes Kämpferherz vermissen – auch, weil sie so anders war als viele ihrer Kolleginnen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Julia Hackober sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Noch einmal kämpfte sich Angelique Kerber an den möglichen Match-Gewinn heran, wehrte drei Matchbälle ihrer Gegnerin Qinwen Zheng ab. Ihr Blick war da schon ein wenig glasig, eine Viertelstunde zuvor hatte sie ihrem Team bereits signalisiert: "Ich kann nicht mehr". Und doch kämpfte sie weiter, ein letztes Mal, bis Zheng das kleine Quentchen mehr Restpower hatte, das im Tennis so oft über Sieg und Niederlage entscheidet.

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Dramatisches Karriereende im Olympia-Viertelfinale

Auch dem Fan-Publikum zu Hause vor dem Fernseher standen in diesem Moment die Tränen in den Augen. Denn das verlorene Viertelfinale bei den Olympischen Spielen in Paris war der Endpunkt von Kerbers fulminanter Tenniskarriere. Die beste deutsche Tennisspielerin der vergangenen zehn Jahre konnte drei Grand-Slam-Titel holen, gewann insgesamt 14 Turniere, stand 34 Wochen lang auf Platz 1 der Tennis-Weltrangliste, garnierte ihre Karriere 2016 mit einer olympischen Silbermedaille bei den Spielen in Rio.

Die 36-Jährige zählte viele Jahre lang zu den bestverdienenden Sportlerinnen der Welt, allein 32 Millionen Euro an Preisgeldern erspielte sie – auch das gehört zu den Zahlen, Daten, Fakten, die Angelique Kerbers außergewöhnliche Erfolge beschreiben.

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Angelique Kerber verabschiedete sich nach dem verlorenen Olympia-Viertelfinale unter Tränen von den Fans. © IMAGO/HMB-Media/Steffie Wunderl

Angelique Kerber prägte den Tennissport

Was sich hingegen nicht in Zahlen bemessen lässt: die sportliche Begeisterung, die "Angie Kerber" in den deutschen Tennissport brachte. Endlich war da wieder jemand, der die große Lücke nach Steffi Graf füllte, jemand, mit dem man stundenlang um jeden Punkt mitfieberte. Dabei war Kerber kein Tennis-Wunderkind, das früh von Triumph zu Triumph preschte. Erst recht spät startete sie durch zu ihrer Weltkarriere; 2011, mit 23 Jahren, hatte sie nach einer schlechten Saison schon fast aufgeben wollen. Doch sie kämpfte sich zurück, drang bei den Grand Slams plötzlich immer weiter vor, bis sie 2016 bei den Australian Open gewann.

Mit ihrer ruhigen, fleißigen Art nahm Kerber die Fans für sich ein. Ihr lag nicht die Unerbittlichkeit einer Serena Williams, sie teilte nicht die Star-Allüren einer Marija Scharapowa. Sie hatte nicht die Power einer Petra Kvitova oder die Schnellkraft einer Caroline Wozniacki. Ihre "Bratpfannen-Vorhand" und ihre "Kerber-Hocke" galten als effizient, aber wenig elegant. Kerber war eine Arbeiterin, im Sport und abseits vom Court, blieb zurückhaltend in Interviews und bescheiden im Auftritt, trug etwa stets die gleiche Adidas-Ausstattung wie die anderen, weniger dekorierten Spielerinnen auch.

Aber: Sie kannte ihre Stärken genau, und das half ihr dabei, sich nicht von großen Namen verunsichern zu lassen. Während andere Spielerinnen Bälle nur noch übers Netz zitterten, sobald sie den Namen Serena Williams hörten, blieb Kerber immer "bei sich", wie man im Sport so schön sagt, ließ sich nicht aus der Fassung bringen und machte das, was sie am besten konnte: ein Match bis zum letzten Punkt sorgfältig zu Ende zu spielen, nie aufzugeben, egal, wie unwahrscheinlich ein Sieg auf dem Papier manchmal scheinen mochte. Das brachte ihr den Respekt ein, der nötig ist, um im Tennis konstant an der Weltspitze mitspielen zu können.

Mit Willenskraft und Unermüdlichkeit zum Erfolg

Wenn man von ihr eines lernen kann, dann ist es: sich nicht so schnell beirren zu lassen. Mit Ausdauer und Geduld entfaltete sich Kerbers Karriere so, wie es zu ihr passte. Nichts an ihrem Tennis und ihrem Weg war flashy, auf Showeffekte getrimmt es war die Unermüdlichkeit, die sie auszeichnete. Vielleicht freute und litt das Publikum deshalb so gern mit ihr. Weil man ihr anmerkte, wie viel Willenskraft und Zähigkeit sie stets aufbrachte. "Erfolg gibt einem nicht das Recht, sich auszuruhen", sagte sie einmal in einem Interview; und diese Haltung war es sicherlich auch, die sie dazu bewog, nach der Babypause noch einmal in den Tenniszirkus zurückzukehren.

Dass sie nun auf der großen Olympia-Bühne in Paris bei über 30 Grad Celsius ein allerletztes Mal bis zur Erschöpfung kämpfte, ist typisch für sie. Natürlich hätte man ihr noch eine Olympia-Medaille so sehr gegönnt. Dennoch setzt das überragende letzte Match ihrer Karriere einen unvergesslichen Schlussakkord. "Ich habe mein Herz auf dem Platz gelassen", sagte Kerber nach dem Olympia-Aus unter Tränen im TV-Interview. Ihr großes Kämpferherz hat sie noch ein letztes Mal ans Tennis-Limit geführt – einen würdigeren Abschied vom Profisport kann es nicht geben.

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