Erstmals in der Geschichte der Paralympics wurden die Wettkämpfe von Paris zur Primetime im deutschen Fernsehen übertragen. Doch wie ist es um die Sichtbarkeit des Behindertensports und die Inklusion behinderter Menschen sonst bestellt? Darüber sprach Markus Lanz am Mittwoch mit drei Teilnehmenden.
Paris im Olympia-Fieber: Nach den Olympischen Sommerspielen kämpften bis 8. September die Athletinnen und Athleten der Paralympischen Spiele in der französischen Hauptstadt um Medaillen. Rund 60 Stunden Live-Programm standen bei ARD und ZDF ganz im Zeichen der Titelkämpfe der Paralympischen Spiele. Dazu kamen 130 Stunden Livestreams in Mediatheken. Die Zuschauenden nutzten das Angebot: 28,9 Millionen Menschen hätten die paralympischen Spiele verfolgt, damit habe man 36,9 Prozent der Bevölkerung erreicht – so lautete die Bilanz der öffentlich-rechtlichen Sender. Im Vergleich dazu verfolgten insgesamt 53,4 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer die Olympischen Spiele im Fernsehen. Auch der Erfolg des deutschen Paralympics-Teams kann sich sehen lassen: Die 148 Athleten und Athletinnen sammelten 49 Medaillen ein und belegten damit im Medaillen-Ranking Platz elf.
Das war das Thema bei "Markus Lanz"
Ob Para-Sport und Veranstaltungen wie die Paralympics zu mehr Inklusion führen, darum ging es am Mittwoch bei
Das waren die Gäste
- Josia Topf, Para-Schwimmer: "Ich bin ein Mensch, der mit Einschränkungen auf diese Welt kam, aber behindert: Das werde ich."
- Edina Müller, Para-Kanutin: "Das Fernsehen kann es steuern: Sie sagen, Fußball wird gewünscht, aber das ist auch anerzogen. Was gezeigt wird, wird geguckt."
Markus Rehm , Para-Leichtathlet: "Ich möchte ganz normal an Weitsprungwettbewerben teilnehmen, nicht um die Athleten zu schlagen, sondern um für meinen Sport eine Plattform zu schaffen."
Das war der Moment des Abends bei "Markus Lanz"
Mit tollen Bildern von den Paralympics in Paris sorgte Markus Lanz gleich zu Beginn der Sendung für Gänsehaut: Für die 41-jährige Para-Kanutin Edina Müller, die als Fahnenträgerin bei der Eröffnungsfeier dabei war und sich die Bronzemedaille erkämpfte, waren es genauso besondere Spiele wie für den dreifachen Medaillen-Gewinner und Para-Schwimmer Josia Topf. Para-Leichtathlet Markus Rehm, der die Fackel bei der Eröffnungsfeier trug und seine vierte olympische Goldmedaille im Weitsprung gewann, begründete das nicht nur mit dem sportlichen Erfolg. "Ich habe unfassbar viele Nachrichten von Menschen bekommen, die auch die Eröffnungsfeier bis zum Ende live angeguckt haben", bezeichnete er die TV-Ausstrahlung in der Primetime als einen Höhepunkt. Das zeigte den Stellenwert von Paralympics.
Für Müller waren die Paralympischen Sommerspielen in London 2012 ein "Wendepunkt". Seither bekämen Para-Athleten deutlich mehr Aufmerksamkeit. Doch es gäbe noch viel Luft nach oben. Im Kanu-Sport etwa würden die Wettkämpfe von Kanuten und Para-Kanuten in der Regel zur selben Zeit ausgetragen. Für Presse und Sender wäre also eigentlich "einfach, uns medial mitzunehmen." Jedoch: "Über Kanuten wird berichtet, aber wir werden nicht einmal mit einem Wort erwähnt", beklagte Müller und forderte, das zu ändern, denn: "Der Para-Sport braucht Sichtbarkeit."
Der Ansicht war auch Rehm: "Man kann nur mit Leuten mitfiebern, die man kennt", betonte er. Es müssten nicht alle Sportler Medaillen gewinnen. Es gehe darum, Menschen mit Beeinträchtigung zu zeigen, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen können: "Loslegen, ausprobieren, nicht überlegen, ob es möglich ist oder nicht, einfach machen."
"Geht nicht, gibt's nicht, ist auch mein Lebensmotto", bestätigte Topf und sprach von einer neuen Generation von eingeschränkten Menschen ("Ich bin ein Mensch, der mit Einschränkungen auf diese Welt kam, aber behindert: Das werde ich"). Heute sei es selbstverständlich, dass Behinderte eine Ausbildung machen oder studieren, es gibt Profisportler und andere Idole. "Wir sind in der Gesellschaft angekommen."
Der Sport habe daran großen Anteil, betonte Müller. Bei den deutschen Meisterschaften säßen in einem Wettbewerb ein Kanute und ein Para-Kanute buchstäblich im selben Boot. "Inklusion ist möglich und kann so einfach sein", lautete ihr Fazit.
Das war das Rede-Duell des Abends
Gold, Silber, Bronze - "das gesamte Set" an Medaillen lag neben Para-Schwimmer Josia Topf auf dem Tisch: "Warum nicht, kann man ja mal machen", kommentierte Lanz die Erfolge des Ausnahme-Sportlers, der – anders als die anderen beiden Talk-Show-Gäste – bereits mit seiner Behinderung ("zwei kurze Arme, zwei steife Beine, das rechte kürzer als das linke Bein") geboren wurde und dessen Schwimmtechnik das Resultat langjährigen Experimentierens ist.
Vor drei Jahren hatten Topf und sein Team zum aktuellen Stil gefunden. "Dann wurde es richtig schnell", meinte Lanz. Es war keine Frage. "Ja, dann wurde es richtig schnell", lachte Josia Topf. "Die Sache mit dem Kopf, dass Sie hart mit dem Kopf an die Wand anschlagen – ist das nicht schmerzhaft bei der Geschwindigkeit?", wollte der Moderator wissen. "Ja, es ist ungebremst, du knallst voller Wucht gegen die Wand. Am Rücken ist es noch schlimmer, weil du nicht weißt, wann die Wand kommt", schilderte der Sportler den "richtig dumpfen Schlag". "Gesund ist das nicht, nein", sprach Lanz das Offensichtliche aus. "Nein", bestätigte Topf. Tatsächlich hätte eine Studie gezeigt, dass der Kopfanschlag seine kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigte. "Die Langzeitfolgen sind unklar", ergänzte er emotionslos. "Wahrscheinlich habe ich ein höheres Risiko für Demenz und andere Krankheiten."
"Könnte man das nicht anders lösen, muss das sein?", konnte es Lanz nicht dabei belassen. "Es ist kein Josia-Topf-Problem", meinte der Sportler, "Menschen, die keine Arme, aber gesunde Beine haben, kommen noch schneller an die Wand." Dabei sei das Problem ganz einfach zu lösen: Eine Badekappe mit einer 0,7 bis 1 cm dicken Einlage könne den Aufprall mindern und den Kopf schonen – doch so etwas zu tragen sei nicht erlaubt, genau wie alles andere, "was künstlich größer macht".
Lanz konnte es nicht fassen und auch Rehm schüttelte ungläubig den Kopf. "Ich bin Handwerker, das kann nicht so schwer sein", wollte sich der gelernte Orthopädietechniker nicht geschlagen geben: "Wir müssen da noch reden", gab er Topf mit auf den Weg.
So hat sich Markus Lanz geschlagen
Lanz wirkte vom ersten Moment an neugierig und ehrlich interessiert an seinen Gesprächspartnern. An den Fragen, die er den Sportlern stellte, zeigte sich, dass er sich vor der Sendung ausgiebig mit dem Thema Para-Sport auseinandergesetzt hat.
Das war das Fazit bei "Markus Lanz"
"Es war sehr bereichernd, so wie ich es mir vorgestellt habe": Markus Lanz sprach zum Abschied aus, was vermutlich auch die Zuschauer dieser sehr kurzweiligen Sendung dachten. © 1&1 Mail & Media/teleschau
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