Der jahrelange Dominator Marcel Hirscher ist zurück im alpinen Wintersport-Zirkus und stand am Wochenende in Sölden erstmals wieder auf der Piste. Shootingstar Lucas Braathen hat sein Comeback für Brasilien gegeben, während Überfliegerin Mikaela Shiffrin noch nicht ganz überzeugen konnte. Die ehemalige deutsche Skirennläuferin Viktoria Rebensburg ordnet im Interview die neue Saison ein.

Ein Interview

Die neue Ski-Saison hat begonnen und einiges ist passiert: Marcel Hirscher und Lucas Braathen sind in den Weltcup zurückgekehrt, ein Comeback von Lindsey Vonn steht im Raum. Mikaela Shiffrin startet nicht mehr in der Abfahrt, visiert aber ihren 100. Weltcup-Sieg an.

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Viktoria Rebensburg: Ich freue mich sehr, dass es wieder aufregende und positive Nachrichten gibt. Die letzten Jahre waren sehr schwer für den Skisport, es gab viele negativ behaftete Themen, über die berichtet wurde. Dieser Sport ist so einzigartig und verdient es, dass diese tollen Geschichten nach außen transportiert werden.

Worauf freuen Sie sich am meisten?

Ich bin gespannt, ob Marco Odermatt seine bisherige Dominanz aufrechterhalten kann. Ich persönlich gehe davon aus, dass er weiter so stark ist. Lucas Braathen ist wieder dabei – und er scheint auf einem guten Weg zu sein. Ich habe ihn vor zwei Wochen gesehen. Im Sommer hat er hart gearbeitet, seinen Urlaub ausgelassen, um wieder dorthin zu kommen, wo er mal war. Es wird spannend, ob er Odermatt im Riesenslalom schon herausfordern kann.

Marcel Hirscher ist in Sölden sein erstes Rennen seit fünf Jahren gefahren und landete am Ende auf Rang 23. Wie war Ihr Eindruck?

Nach fünf Jahren mit so einer Leistung zurückzukehren ist beeindruckend. Gerade wenn man sich die Teilzeiten ansieht, dann hat er absolut mithalten können. Ich bin wirklich gespannt, wie er sich im Laufe der Saison steigern kann. Die beiden Comebacks von Marcel und Lucas sind für den Skisport eine wunderbare Sache und machen sehr viel Lust auf die neue Ski-Saison.

Mikaela Shiffrin hat angekündigt, in diesem Jahr auf die Abfahrt zu verzichten. Wie groß sind ihre Chancen, dennoch den Gesamtweltcup zu gewinnen?

Die Chancen sind absolut gegeben, denn sie ist in den vergangenen Jahren auch nie alle Abfahrten gefahren. Ich kann es selber gut nachvollziehen, als jemand, der oft Riesenslalom gefahren ist. Bei ihr kommt noch der Slalom als weitere Topdisziplin dazu. Die Abfahrt ist kein Selbstläufer. Es gibt zwei Trainingsläufe davor, deshalb muss man früher anreisen, sodass man extrem viel Zeit dafür opfert. Dazu noch das Wetter, das bei der Abfahrt eine noch größere Rolle spielt. Bei schlechtem Wetter kann man nicht trainieren und wartet viel. Mikaela möchte aber auch in den anderen Disziplinen ein hohes Level abrufen, das wird schwierig, wenn man alle Disziplinen fährt. Es gibt nur sehr wenige, die das tun. Sie fokussiert sich mehr auf ihre Stärken – da ist die Chance, dass sie noch konstanter ist, größer.

"Dort zweimal herunterzufahren, ist zu extrem."

Viktoria Rebensburg

Ein Grund, weshalb Shiffrin auf die Abfahrt verzichtet, ist ihr schwerer Sturz im Januar in Cortina. Auch ihr Lebensgefährte Aleksander Kilde ist schwer gestürzt. Wird auch diese Saison wieder viel über vermeidbare Stürze gesprochen werden?

Viele namhafte Athletinnen und Athleten sind vergangenen Winter gestürzt, daher war das Thema präsenter als sonst. Stürze gab es auch in der Vergangenheit und sie werden wieder passieren. Das liegt an der Sportart. Die Geschwindigkeit ist sehr hoch und man bewegt sich am Limit. Es ist schwierig, einen Grund zu nennen, da jeder Sturz anders war. Alexis Pinturault erwischte es nach einem Sprung, Aleks Kilde war körperlich geschwächt, als er an den Start ging und wollte trotzdem fahren. Marco Schwarz ist in Bormio in einer berüchtigten Kurve gestürzt, wo sich schon mehrere Fahrer verletzt haben. Bei den Männern hat die FIS sinnvollerweise die Doppel-Abfahrten abgeschafft. Die Strecken in Kitzbühel oder Wengen sind ohnehin schon sehr anspruchsvoll. Dort zweimal herunterzufahren, ist zu extrem.

Wie schätzen Sie Shiffrins Konkurrentinnen Petra Vlhová und Lara Gut-Behrami ein?

Petra Vhlová wird ohnehin erst im Dezember in den Weltcup einsteigen, sie ist noch nicht fit. Man wird sehen, wie sie ihre Verletzung (Kreuzbandriss, Anm. d. Red.) verkraftet hat. Für sie wird es vermutlich eher eine Comeback-Saison. Für mich ist Mikaela Shiffrin im Favoritenkreis ganz oben dabei. Wenn sie fit ist, bringt sie eine unglaubliche Leistung. Lara Gut ist die Titelverteidigerin und war vor allem am Ende der Saison extrem stark. Sie ist ein bisschen eine Wundertüte. Man weiß nicht immer, ob sie hundertprozentig fit ist und das Material passt. Dazu hat sie gesagt, dass sie zuletzt schwierige Monate mit Knieproblemen hatte und nicht richtig trainieren konnte. Aber wenn Lara es schafft, in einen Flow zu kommen, traue ich ihr sehr viel zu. Federica Brignone gehört meiner Meinung nach auch in den Favoritenkreis. Im Riesenslalom und im Super-G ist sie sehr stark.

Lena Dürr ist 33 Jahre alt und erst seit ein paar Jahren in der Weltspitze. Außergewöhnlich in diesem Sport.

Lena ist ihren eigenen Weg gegangen. Vor allem, wenn man sich ihre Vergangenheit anschaut, so war sie schon sehr früh sehr gut. Deshalb haben damals viele gedacht, dass sie einmal Anwärterin auf den Gesamtweltcup wird. Der Schuss ging nach hinten los und Lena ist in ein Loch gefallen, aus dem sie damals nicht mehr richtig herausgekommen ist. Das ging sogar so weit, dass sie beim DSV aus dem Kader gestrichen wurde. Sie hat sich dann ein Jahr lang selbst vorbereitet und es zurück in den Kader geschafft. Ab diesem Zeitpunkt ging es aufwärts. Das hat sie vor allem in ihrer Persönlichkeit weitergebracht. Sie ist Schritt für Schritt nach oben gekommen – und jetzt ist sie ganz oben dabei.

"Sie ist ein Rohdiamant für den Skiverband."

Viktoria Rebensburg

Welche deutschen Starter sollten wir noch auf dem Zettel haben?

Kira Weidle ist im Speedbereich unsere beste Fahrerin. Vergangenes Jahr hat sie sich vor allem im Super-G richtig gesteigert, aber die Abfahrt ist immer noch ihre stärkste Disziplin. Und in ihrem Leben ist zuletzt auch einiges passiert – sportlich und privat. Sie hat geheiratet und in ihrem Trainerteam gab es einen Wechsel. Ich glaube, sie hat sich nochmals weiterentwickelt und den nächsten Schritt gemacht. Emma Aicher dürfen wir nicht vergessen, eine sehr junge Athletin, die zu großen Überraschungen imstande ist. Sie ist ein Rohdiamant für den Skiverband. Ich hoffe, dass sie den richtigen Weg für sich wählt, welche Disziplinen und in welchen Rennen sie fährt.

Wer ist bei den Männern vorn?

Linus Straßer hatte eine wahnsinnig gute Saison im Slalom, ist als Athlet absolut konstant und als Persönlichkeit weiter gereift. Die Elite ist ganz eng beisammen, aber wenn Linus seinen Fokus hält, schätze ich ihn genauso stark ein wie letzte Saison.

Hinter Linus Straßer wird es bei den Männern aber schon dünn. Viele Athleten sind über 30 oder ohne Weltcup-Erfahrung.

Es ist schwierig. Im Vorfeld wurden verschiedene Erkrankungen publik gemacht. Andreas Sander fällt weg, da er mit seiner Zell-Erkrankung in dieser Saison vermutlich nicht fahren wird. Alex Schmid hat immer wieder gesundheitliche Probleme. Er ist ein wahnsinnig talentierter Riesenslalom-Fahrer, aber er muss eben fit sein. Ein paar Fahrer kommen im Riesenslalom nach, wie Jonas Stockinger, Fabian Gratz oder Anton Grammel. Für sie wäre es wichtig, dass sich in der anstehenden Saison für den zweiten Durchgang qualifizieren. Im Slalom gibt es ebenfalls ein paar junge Fahrer, die anklopfen. Im Speedbereich ist es schwierig, dadurch, dass Andi Sander und Simon Jocher ausfallen. Aktuell gibt es nur Romed Baumann und Jakob Schramm, ein jüngerer Fahrer. Dazu noch Luis Vogt, auch ein Talent, dass den nächsten Schritt mach. Dahinter ist es dünn.

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