Bischofshofen - Im dramatischsten Finale der Vierschanzentournee seit knapp 20 Jahren lagen Freud und Leid so eng beisammen wie selten zuvor. Gesamtsieger Daniel Tschofenig küsste nach seinem fulminanten Comeback seine Partnerin Alexandria Loutitt und ließ sich von seinen Skisprung-Kollegen durchs Stadion tragen. Teamkollege Stefan Kraft war nach dem bitteren Finale von Bischofshofen, bei dem die deutschen Skispringer erneut enttäuschten, untröstlich.

Mehr News zum Thema Wintersport

"Es ist nicht geil für ihn. Es tut mir ein bisschen leid, aber bei mir überwiegt die Freude", sagte der völlig verblüffte Triumphator Tschofenig im ZDF. Vor dem allerletzten Sprung der Tournee musste der 31 Jahre alte Kraft minutenlang warten und auf dem Sprungturm frieren.

"Schöne Werbung für das Skispringen"

Als dem Routinier klar wurde, dass seine 137,5 Meter nur für Platz drei im Tages- und Endklassement reichen, saß er niedergeschlagen auf einer Bank. "Es war sicher nicht ganz leicht", sagte Kraft. Deutschlands Top-Springer Pius Paschke sprach angesichts der packenden Entscheidung von "schöner Werbung für das Skispringen".

Tschofenig, der auch im Gesamtweltcup führt, holte sich nach Garmisch seinen zweiten Einzelsieg bei dieser Tournee und fuhr den größten Erfolg seiner jungen Laufbahn ein. Eine feuchtfröhliche Party will er sich im Pongau aber nicht gönnen. "Ich trinke tatsächlich keinen Alkohol mehr, aber wir werden uns ein paar Kleinigkeiten einfallen lassen", sagte der 22-Jährige. Cheftrainer Andreas Widhölzl sagte: "Es war Dramatik pur bis zum Schluss."

73. Vierschanzentournee - Bischofshofen
Andreas Wellinger und seine Kollegen enttäuschten bei der Tournee. © dpa / Daniel Karmann/dpa

Widhölzl will ein paar Bier trinken

Zwischen Tschofenig, der von drei auf eins sprang, und dem zurückgefallenen Olympiasieger Kraft landete Jan Hörl, der in beiden Wertungen Platz zwei belegte. Hörl verwackelte bei 143 Meter im zweiten Durchgang den Aufsprung und verspielte beim knappsten Tournee-Finale seit 2006 so den goldenen Adler. "Ich habe die Landung verschissen", sagte Hörl wenig diplomatisch. Chefcoach Widhölzl kündigte dagegen an, mit seinem Team ein paar Bier trinken zu wollen.

Erneut zu Nebendarstellern degradiert wurde das deutsche Team um Paschke, der immerhin als Gelb-Träger und Mitfavorit in die Tournee gestartet war. "Freuen kann ich mich nicht. Ich habe erstmal lernen müssen. Es gab coole Momente. Das Ergebnis geht genauso in Ordnung", ordnete der 34 Jahre alte Bayer nüchtern ein. Am Ende stand für ihn Gesamtrang sechs. In Bischofshofen kam er nicht über Platz zwölf hinaus.

Deutsche weit weg

Für die Deutschen geht das quälende Warten auf den ersten Tournee-Gesamtsieg seit Sven Hannawald vor 23 Jahren mindestens bis zum Januar 2026 weiter. Andreas Wellinger (133 und 135,5 Meter) sprang vor 14.300 Zuschauern im Pongau auf Platz neun. Für Paschke, Philipp Raimund (15.) und Karl Geiger (23.) reichte es nicht zu einem Top-Ten-Platz. "Wir haben alles gegeben, die Jungs haben sich wirklich bemüht. Mehr ist leider heute nicht rausgekommen", sagte Bundestrainer Stefan Horngacher.

Der hochklassige Wettbewerb auf der Paul-Außerleitner-Schanze wurde zu einem "brutalen Krimi", wie Kraft schon zur Halbzeit voraussagte. Er selbst wurde dann zum tragischen Hauptdarsteller. Die Zitterpartie brachte den abgebrühten Skiflug-Weltmeister offenbar so aus dem Konzept, dass die entscheidenden Meter fehlten.

Ski nordisch/Skispringen: Weltcup, Vierschanzentournee
Österreichs Top-Skispringer am Bergisel. © dpa / Daniel Karmann/dpa

Kraft konnte auch einige Zeit später bei der Siegerehrung noch nicht lächeln. "Ich bin echt mitgenommen", sagte ZDF-Experte Severin Freund über seinen früheren Widersacher, der diesmal zu den Besiegten zählte.

"Griechischer Wein" und Salzburger Bier

Die 73. Ausgabe des Traditionsevents endete damit so, wie sie vor gut einer Woche in Oberstdorf begonnen hatte. Die Deutschen wurden klar geschlagen, die geschlossen starken Österreicher dominierten auch zum Abschluss. Tschofenig und Co. komplettierten eine dominante Tournee mit vier Siegen und elf von zwölf möglichen Podestplätzen. Dass eine Nation die besten Drei im Gesamtklassement stellt, gab es zuvor erst dreimal: 1955 die Finnen, 1975 und 2012 jeweils die Österreicher.

"Wir fühlen uns wie kleine Superstars", erzählte Kraft und berichtete mit einem breiten Lächeln von spontanen Fotoshootings mit Fans, die von ihren Stars in den glorreichen Tagen um den Jahreswechsel nicht genug bekommen konnten. So euphorisch sah es auch auf der finalen Tournee-Station aus. Ab dem Vormittag feierten zahlreiche Fans im Ortskern. Die fröhlichen Fans trällerten "Griechischer Wein" und tranken ganz viel Salzburger Bier.

Besonderer Doppelpack für Widhölzl

Der Co-Gastgeber, seit eh und je eine Skisprung-Nation, hatte nach jahrelanger Dominanz mit Gregor Schlierenzauer und Co. satte 3653 Tage auf den goldenen Adler warten müssen. Im Geschichtsbuch verewigt hat sich auch Widhölzl, der nach seinem Tournee-Sieg als Sportler 1999 nun auch als Trainer die Tournee gewonnen hat - diesen besonderen Tournee-Doppelpack gab es nach ORF-Angaben noch nie.

Mit einem ganz anderen Gefühl tritt das deutsche Team die kurze Heimreise an. Am Ende blieb Paschkes vierter Platz in Oberstdorf das beste Einzelergebnis. Eine Tournee ohne Podestplatz und ohne jede Chance auf den Gesamtsieg ist als klarer Misserfolg zu werten.

So weit weg wie lange nicht

Doch nicht nur der sportliche Leistungseinbruch fiel auf, sondern auch die teilweise irritierende Ambitionslosigkeit - zumindest in der Öffentlichkeit. Frust? Enttäuschung? Fehlanzeige. "Sonst hätte ich schon seit 23 Jahren enttäuscht sein müssen", sagte Horngacher, dem auch in seiner sechsten Saison als Bundestrainer der große Wurf nicht gelingen wollte.  © Deutsche Presse-Agentur

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.