• Hans-Joachim Stuck zählt zu den bekanntesten und beliebtesten, vor allem aber auch zu den besten deutschen Rennfahrern aller Zeiten.
  • Auch im Alter von 70 Jahren gibt es für den "Strietzel" nichts Beglückenderes, als 700 PS unter dem Hintern zu haben.
  • Er weiß aber auch, welch großes Glück er im Vergleich zu vielen verunglückten Kollegen hatte - zum Beispiel 1977 beim Großen Preis von Südafrika.

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Kein Feuerwerk zum 70. Geburtstag: Der "bekennende Pyromane" Hans-Joachim Stuck, Legende des deutschen Rennsports und staatlich geprüfter Feuerwerker, schaut zu Neujahr 2021 in einen ungewohnt leeren Himmel. Die Corona-Pandemie knipst das menschengemachte Freudenfeuer am Firmament aus.

"Ich mache unheimlich gerne Feuerwerk", gesteht Stuck im Gespräch mit unserer Redaktion. "Es ist aber in Ordnung, dass es dieses Jahr ausfällt. Man muss sich dieses Jahr, bei den ganzen Problemen, die wir haben, nicht unbedingt auf diese Art über den Jahreswechsel freuen."

Der Jahreswechsel bedeutet für Stuck, der am 1. Januar 1951 in Garmisch-Partenkirchen zur Welt kam, auch immer, ein Jahr älter zu werden. Für einen begnadeten und leidenschaftlichen Rennfahrer, der in den 70er Jahren - einem der tödlichsten Jahrzehnte der Formel 1 - aktiv war, ist dies jedes Mal ein Geschenk.

Stuck: "Sitze hier nach 43 Jahren Rennsport noch in einem Stück"

"Nach meinen 43 aktiven Jahren hier noch in einem Stück zu sitzen, da bin ich sehr froh und sehr dankbar und auch sehr stolz", schickt Stuck einen Dank an seine Schutzengel ("Die haben einen megatollen Job gemacht") und denkt an viele Kollegen und Freunde aus dem Motorsport zurück, die er zu Grabe hat tragen müssen.

Stuck erwähnt Stefan Bellof, Helmut Koinigg (dem nur zwei Starts in der Formel 1 vergönnt waren) und Jo Gartner, vor allem aber auch Tom Pryce. Der Waliser wurde 1977 in Kyalami in Südafrika in seinem Cockpit von einem Feuerlöscher erschlagen. Den trug ein junger Streckenposten bei sich, der im Sinn hatte, Pryce' damaligem Teamkollegen Renzo Zorzi zu helfen. Zorzis Wagen stand am Streckenrand und qualmte leicht. Grund war ein kleines Feuer im Heck.

Als der junge Helfer losrannte, donnerten Stuck und Pryce auf die Szenerie, die hinter einer Kuppe lag, zu. Pryce plante, Stuck zu überholen. Der verfehlte den damals 19-jährigen Frikkie Jansen van Vuuren zwar noch wie durch ein Wunder um Zentimeter. Der im Windschatten Stucks fahrende Pryce hatte jedoch keine Chance, van Vuuren ebenfalls auszuweichen - und erfasste den 19-Jährigen. Der erst 27 Jahre alte Pryce und van Vuuren verloren bei diesem Unfall ihr Leben.

Pryce-Unfall 1977: Pures Glück für Stuck

"Wenn ich an seiner Position gewesen wäre, hätte mich der Feuerlöscher am Kopf getroffen", ist sich Stuck des Glücks bewusst, das er in diesem Moment hatte. "Ich hatte keine Zeit, nachzudenken", sagte Stuck 28 Jahre später. "Ich habe instinktiv reagiert."

In anderen kritischen Momenten habe ihn schlicht der Aufprallwinkel gerettet. "Ich bin ja nachweislich im Porsche 962 die meisten Kilometer gefahren und habe etliche Abflüge gehabt", erinnert sich Stuck an seine Zeit in den Sportwagen der damaligen Gruppe C. "Ich bin aber Gott sei Dank immer nur hinten eingeschlagen, mit dem Heck", fährt Stuck fort. "Wäre ich mal vorne eingeschlagen, mit der Front, wäre ich wahrscheinlich auch mausetot gewesen."

Dieses Schicksal ereilte 1985 Stefan Bellof bei seinem Unfall in Spa-Francorchamps. Damals starb in einem Porsche 956 das seinerzeit größte deutsche Rennfahrer-Talent. "Beim Gedanken an seinen Unfall in Spa kriege ich Gänsehaut", gab Stuck bereits im Vorfeld von Bellofs 25. Todestag am 1. September 2020 zu. "Weil ich mitgekriegt habe, wie die Angelika (Bellofs damalige Lebensgefährtin Angelika Langner, Anm. d. Red.) damals die Entscheidung zum Abstellen der Maschinen im Krankenhaus gegeben hat. Es sind schlimme Erinnerungen, die ich an diesen Unfall habe."

Bellof-Unfall 1985: "Die Überreste seines Autos waren dramatisch"

"Ich sehe Stefans Auto noch vor meinen Augen. Diese Überreste waren dramatisch. Es ist einfach scheiße, dass der Stefan nicht mehr da ist." Experten sind sich einig: Wäre Bellof nicht so früh gestorben, hätte Deutschlands erster Weltmeister in der Formel 1 nicht Michael Schumacher geheißen.

Genau neun Monate nach Bellof verlor Stuck Kumpel Gartner. Stucks damaliger Porsche-Kollege überlebte das legendäre 24-Stunden-Rennen in Le Mans in einem 962 nicht. "Die Unfälle der Kollegen haben mich immer unheimlich betroffen und getroffen, aber sobald ich wieder im Auto saß, habe ich nicht mehr daran gedacht", spricht Stuck von einer "eingebauten Abschaltvorrichtung" für diese schwarzen Momente. Er sei stets in der Lage gewesen, die schmerzenden Verluste auszublenden. "Das war ein Glück für mich. Als damals Jo Gartner, mein Teamkollege, in Le Mans tödlich verunglückt ist, musste ich hinterher weiterfahren" - und gewann an der Seite von Derek Bell und Al Holbert den Renn-Klassiker. "Hätte ich beim Einsteigen an den Unfall gedacht, hätte ich nicht fahren können."

So aber fährt der DTM-Champion von 1990 bis heute Autos mit 700 PS im Renntempo, und er wird es tun, solange es seine Reflexe zulassen. Aufhören wolle er erst, "sobald ich die ersten Anzeichen spüre, dass ich nicht mehr die Reaktion oder nicht mehr die Fitness habe. Dann werde ich sicher schlau genug sein, nicht mehr zu fahren."

Zwischen 1974 und 1979 29 WM-Punkte in der Formel 1

Davon aber fühlt sich Stuck, der unter anderem zwischen 1974 und 1979 für March, Brabham, Shadow und ATS in der Formel 1 fuhr und 29 WM-Punkte holte, noch weit entfernt. "Ich bin körperlich fit. Ich bin in diesem Jahr im Rennauto gefahren und fahre auch im nächsten Jahr wieder im Rennauto. Taxi auf dem Nürburgring und vielleicht auch ein, zwei Renneinsätze. Ich habe noch alle fünf Kegel im Kasten. Ich fahre Ski, ich spiele Golf, ich gehe jeden Tag mit meinen Hunden drei Stunden raus. Es gibt nichts, auf was ich verzichten muss."

Insofern sei die 70, die er an Lebensjahren erreicht hat, nur eine Zahl. "Ob ich 69, 70 oder 71 werde, ist aus meiner Sicht wurscht. Ich fühle mich wesentlich jünger als ich bin", betont Stuck, der für seine vielen Fans nur der "Strietzel" ist.

Wer mit ihm spricht und seine Lebensfreude spürt, könnte vergessen, dass Stuck in der Corona-Pandemie aufgrund seines Alters längst zur Risikogruppe gehört. "Ich trage eine Schutzmaske und bussele keine Leute ab. Ich nehme auch niemanden in den Arm. Ich halte Abstand", versichert er.

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Der Corona-Lockdown macht Stuck wütend

Die Einschränkungen, die die Pandemie jedoch begleiten, versetzen den ansonsten gut gelaunten Stuck in Rage. "Es muss doch nicht das ganz normale Leben einschränken. Das muss doch nicht sein. Gerade ältere Herrschaften, die alleine im Pflegeheim leben und keinen Besuch empfangen dürfen, die sterben alle vor Gram. Das ist doch kein Leben", echauffiert er sich.

Viele seiner Freunde seien in der Gastronomie tätig, Hotel-Besitzer. Im Frühjahr, im ersten Lockdown, fuhr der Wahl-Goinger Stuck für den berühmten "Stanglwirt" Essen aus. "Gerade in wirtschaftlicher Beziehung sehe ich schwarz. Ich habe Bekannte, die zigtausend Euro Verlust machen, weil sie keine Ferienwohnungen vermieten dürfen."

Auf das geplante Geburtstagsessen beim "Auwirt" in Aurach - ebenfalls betrieben von einem Kumpel Stucks - muss dessen Familie verzichten. Mit Freunden wären sie 20 Personen gewesen. Nicht drin in diesen Zeiten. "Das fällt jetzt aus", nimmt Stuck hin, was nicht zu ändern ist. "Aber das ist nicht so schlimm." Warum? "Die wichtigsten Leute sind bei mir. Das sind meine Frau und meine beiden Buben. Den Rest kann man mal nachholen. Die meisten Leute haben am 1. Januar ohnehin keine Zeit, weil sie irgendwo anders sind." Die meisten werden, weil Corona es so will, am 1. Januar 2021 nicht irgendwo sein, sondern daheim - so wie Hans-Joachim Stuck.

Verwendete Quelle:

  • David Tremayne: "The Lost Generation" (2006)
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