Viele junge Menschen müssen in ihrer Kindheit bereits mental und körperlich stark sein, obwohl sie doch eigentlich nur eins sein sollten: nämlich Kinder. Doch viele erleben schon in jungen Jahren Gewalt, ob an sich selbst, ihren Familienmitgliedern oder im Umfeld und werden davon geprägt. Kindern ist oft nicht bewusst, dass das, was sie erleben, nicht richtig ist und dass sie ein Recht darauf haben, gewaltfrei aufzuwachsen.

Mehr zu United Internet for UNICEF

Als wir auf unserer Reise durch den Süden Madagaskars in dem Dorf Antanimora halten, wussten wir noch nicht, dass wir einige beeindruckende junge Menschen kennenlernen würden. Hier wird Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gegeben, am sogenannten "Life Skills"-Programm teilzunehmen.

Kinder in Madagaskar zeigen mit dem Daumen nach oben
Kinder in Madagaskar während einer "Life Skills"-Sitzung. Hier lernen sie Selbstbewusstsein zu gewinnen, um ihre Zukunft mitgestalten zu können. © UNICEF/UNI658494/Andrianantenaina

In Madagaskar stehen Jugendliche, insbesondere Mädchen, vor vielen Herausforderungen. Und die Auswirkungen des Klimawandels verschärfen diese weiter. Denn durch immer längere Dürren und größeren Wassermangel müssen viele Kinder ihren Familien bei der Arbeit auf den Feldern oder beim Wasserholen helfen.

Darunter leidet ihre Schulbildung. Viele Familien haben durch die Dürren immer weniger Erträge und können nicht mehr alle ihre Kinder versorgen. Sie sind verzweifelt und verheiraten ihre jungen Töchter, mit dem Gedanken, sie sicher unterzubringen. Frühschwangerschaft, Kinderheirat und Kinderarbeit sind die häufigsten Formen von Gewalt. Diese Themen werden bei "Life Skills" angegangen, um das Risiko und die Verletzlichkeit der Kinder zu verringern.

In diesem komplexen Kontext bieten die "Life Skills"- Sitzungen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, neue Fähigkeiten zu erwerben, ihre Rolle in der Gemeinschaft zu definieren und sich mit jungen Mentorinnen und Mentoren auszutauschen. Das "Life Skills"-Programm soll grundlegende Werte vermitteln, die im Alltag beachtet werden müssen. Kinder sollen lernen, ihr Potenzial vollends auszuschöpfen. Die Schulungen finden in 32 Sitzungen mit jeweils 50 Kindern in den Gemeinden statt, in denen das Projekt durchgeführt wird.

Annik, 18, möchte Richterin werden

Eine junge Mutter mit ihrem Sohn auf dem Schoß auf einem Baumstamm.
Annik und ihr Sohn. Sie wurde mit 16 Jahren schwanger und durfte längere Zeit nicht zur Schule gehen. Inzwischen hat sie ihre Ausbildung wieder aufgenommen und möchte später Richterin werden. © UNICEF/UNI658497/Andrianantenaina

Eine der Jugendlichen, die an diesem Projekt teilnimmt, hat, ist Annik. Die 18-Jährige schaut stolz in die Kamera, als sie uns ihre Geschichte erzählt. Sie spricht mit fester Stimme, was angesichts dessen, was ihr in so jungem Alter passiert ist, nicht selbstverständlich ist. Sie erzählt davon, wie sie sich in einen Jungen verliebte, er wurde ihr fester Freund. Nach einiger Zeit führte er sie etwas weg vom Dorf und versuchte sie zum Geschlechtsverkehr zu überreden, den sie zunächst ablehnte. Doch er übte Druck aus und sie gab nach. Die Folge: sie wurde schwanger.

"Als ich schwanger war, konnte ich nicht weiter zur Schule gehen", sagt Annik. Viele der jungen Mädchen bestätigen, dass sobald sie schwanger wurden, ihre Eltern sie aus der Schule nahmen. Auch nach der Geburt konnten viele nicht zurück. Denn sie waren nun Mütter, keine Schülerinnen mehr. "Ich fühlte mich durch meine Familie gedemütigt", erzählt uns Annik. "Als ich in das "Life Skills"-Programm kam, habe ich gelernt, dass ich sexualisierte Gewalt erlebt hatte. Aber in diesem Moment wurde mir auch klar, dass ich Rechte habe."

Annik lernte bei "Life Skills" nicht nur etwas über ihre eigenen Rechte und Formen von Gewalt, sondern gewann das Selbstbewusstsein, sich ihrer Mutter entgegenzustellen. "Ich habe gelernt, dass ich ein Recht habe, zur Schule zu gehen. Also bat ich meine Mutter, zurück zur Schule gehen zu dürfen und sie willigte ein." Annik möchte später Richterin werden.

Kinderehen in Madagaskar: ein weit verbreitetes Problem

Auch Serina durfte nicht mehr zur Schule gehen. Allerdings wurde sie von ihren Eltern damit bestraft, da sie sich weigerte zu heiraten. Damals war sie 15 Jahre alt. "Ich habe bei "Life Skills" gelernt, dass das, was meine Eltern mir angetan haben, Gewalt ist."

Kinderehen sind weltweit noch weitverbreitet. Im Anosy-Gebiet im Süden Madagaskars geben fast die Hälfte der Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren an, dass sie vor dem 18. Lebensjahr ein Kind bekommen und geheiratet haben. In ganz Madagaskar sind bereits 39 Prozent der Mädchen unter 18 verheiratet.

Solche Frühehen beeinträchtigen häufig die Entwicklung der Mädchen. Denn wenn sie noch sehr jung schwanger werden, gibt es ein erhöhtes Gesundheitsrisiko: Teenager-Mütter sterben häufiger an Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt als reifere Frauen.

Ein weiteres Problem ist, dass die jung verheirateten Mädchen aus dem sozialen Umfeld gerissen werden und ihr bisheriges Leben, das Leben eines Kindes, nicht mehr weiterführen können. Sie sind isoliert zu Hause, müssen sich um die Kinder und den Haushalt kümmern und dürfen oft nicht mehr zur Schule gehen. Sie werden nicht mehr als Mädchen gesehen, sondern als Frauen, die Verantwortung für die Familie tragen. Auch ihre späteren Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten sind eingeschränkt. Die Nachteile können sich auch in die nächste Generation fortsetzen, denn Kinder von zu jungen Müttern haben schlechtere Überlebens- und Bildungschancen.

Was ist Life Skills und was macht das Programm?

In den "Life Skills"-Sitzungen soll eine offene und angenehme Atmosphäre geschaffen werden. Es werden unterschiedlichste Themen besprochen, die sowohl nützlich als auch sensibel für Jugendliche sind: frühe Ehen und Schwangerschaften, Gesundheit von Jugendlichen, die Bedeutung von Bildung, Schutz vor Gewalt und Ausbeutung oder Umweltschutz.

Eltern werden eingeladen, an ähnlichen Sitzungen teilzunehmen, um sie zu ermutigen, ihre Kinder zu unterstützen und ihnen ein Umfeld zu bieten, das ihr Wachstum fördert. Dies nennt sich positive parenting (zu dt.: positive Elternschaft). Sie sollen in den Lernprozess mit eingebunden werden. In Antanimora haben die Eltern selbst den Wunsch geäußert, an so einem Programm teilzunehmen. Denn nur, wenn auch sie verstehen, wie wichtig Selbstständigkeit, Bildung und Selbstbewusstsein für ihre Kinder ist, können sie diese auch wirklich unterstützen und ihnen dabei helfen, ihre Zukunft eigenständig zu gestalten.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.