Ob im Nahen Osten, in der Ukraine oder im Sudan: Weltweit wächst jedes sechste Kind laut UNICEF in einem Kriegs- oder Konfliktgebiet auf. Durch die dort andauernde Gewalt, aber auch die daraus resultierenden Folgen wie Hunger und Krankheiten, sind Kinder an diesen Orten in akuter Lebensgefahr.
Insgesamt 32.990 schwere Kinderrechtsverletzungen verifizierten die Vereinten Nationen im Jahr 2023 – so viele wie nie zuvor.
Kinder und Jugendliche leiden massiv unter den körperlichen und psychischen Folgen der Gewalt. Darauf macht UNICEF in seinem veröffentlichten Situationsbericht "Kindheit unter Beschuss" aufmerksam.
Kriege und Konflikte gehören zu Hauptursachen humanitärer Krisen
In 2024 wurden in der Ukraine, dem Sudan und dem Nahen Osten Tausende Kinder durch Kampfhandlungen verletzt, verstümmelt oder getötet. Angst und Hunger sind ihr ständiger Begleiter.
Immer wieder besteht die Gefahr, dass die lebenswichtige Grundversorgung, wie zum Beispiel uneingeschränkter Zugang zu Wasser oder eine funktionierende Gesundheitsversorgung, unterbrochen werden. Auch die Bildung der Kinder leidet unter den unsicheren Umständen in Kriegs- und Krisengebieten.
Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, ist grade aus dem Sudan zurückgekehrt, wo er sich ein eigenes Bild über die Situation in dem kriegsgebeutelten Land verschafft hat: "Das Grauen, das Kinder in Kriegen und Konflikten unserer Zeit aushalten müssen, ist kaum mit Worten zu beschreiben. Im Sudan begegnete ich Kindern, die von Schüssen auf flüchtende Frauen und Mädchen erzählten. Ein Mädchen erzählte, dass ihrer Schwester an einem Checkpoint der Gewehrlauf an den Kopf gehalten wurde. Dies sind Erlebnisse, die kein Kind je erleben sollte – und die kein Kind je vergessen wird. Eine Kindheit im Krieg – das darf niemals das neue 'Normal' unserer Zeit werden."
Kinderrechtsverletzungen häufen sich
Zu den schweren Kinderrechtsverletzungen gehören die Tötung und Verstümmelung von Kindern, Rekrutierung oder Einsatz von Kindersoldatinnen und -soldaten, Angriffe auf Schulen oder Gesundheitseinrichtungen, Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt, Entführung von Kindern sowie verweigerter humanitärer Zugang. Besonders viele schwere Kinderrechtsverletzungen stellten die Vereinten Nationen im Jahr 2023 unter anderem in Israel und Palästina, im Sudan und der Demokratischen Republik Kongo fest.
"Wir sehen die Zunahme schwerer Kinderrechtsverletzungen mit großer Sorge, auch weil die offiziell verifizierten Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind", sagt Lucia Elmi, Leiterin der weltweiten UNICEF-Nothilfeprogramme für Kinder.
Gaza: "Ein historisches Ausmaß an Gewalt"
In Gaza werden jeden Tag durchschnittlich mehr als 67 Kinder getötet oder verletzt. Insbesondere im Norden des Gazastreifens hat die Not ein katastrophales Ausmaß erreicht.
UNICEF-Sprecher James Elder war seit Kriegsbeginn bereits viermal im Gazastreifen und ist jedes Mal aufs Neue erschüttert: "Fast jedes fünfte Kind im Norden von Gaza leidet an Auszehrung, der lebensbedrohlichsten Form der Mangelernährung. Diese Kinder brauchen dringend eine Behandlung. Besonders dramatisch ist auch die Lage der vielen Kinder mit schweren Verletzungen, die dringend medizinisch evakuiert werden müssen."
Zwar ist es dem UNICEF-Team vor Kurzem gelungen, Hilfsgüter wie Nahrungsmittel und Hygienesets in den Norden zu bringen, aber die Hilfe reicht bei weitem nicht aus. Im Winter bieten die behelfsmäßigen Zelte kaum Schutz vor Regen und Kälte.
Tägliche Kinderrechtsverletzungen auch in der Ukraine und im Sudan
In der Ukraine wurden seit Februar 2022 mindestens 2.406 Kinder getötet oder verletzt – das entspricht etwa 16 Kindern pro Woche. Mindestens 1.496 Bildungseinrichtungen und 662 Gesundheitseinrichtungen wurden bereits beschädigt oder zerstört.
Allein in 2024 wurden im Sudan schon 1.500 schwere Kinderrechtsverletzungen verzeichnet. In der umkämpften Stadt Al-Fashir in Darfur sind Berichten zufolge zwischen April und Oktober dieses Jahres mindestens 150 Kinder ums Leben gekommen.
Kinder erleiden die schlimmsten Gräuel: Sie werden getötet und verstümmelt. Sie werden für den Kampf und Dienst bei bewaffneten Gruppierungen rekrutiert. Mädchen werden vergewaltigt und Opfer sexualisierter Gewalt, manche nicht älter als 13 Jahre alt.
Seelische Verletzungen lasten schwer auf den Kindern – und werden oft vergessen
Was diese schweren Kinderrechtsverletzungen für einen Einfluss auf die Psyche und Seele der Kinder haben, ist in Zahlen nicht zu messen. Das weiß auch Dr. med. Areej Zindler, Fachärztin für Kinderpsychiatrie und -psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: "Im Gegensatz zu körperlichen Verletzungen bleiben die seelischen Verletzungen aufgrund von Kriegen und Gewalt meist unsichtbar und werden nicht ernst genommen. Massive Entwicklungsstörungen in allen Lebensbereichen der Kinder können die Folge sein – auch für die darauffolgenden Generationen."
Auch über diese drei Konflikte hinaus sind viele Kinder von Gewalt betroffen, wie im Jemen, Burkina Faso oder Haiti. Vielerorts werden die kommenden Wochen für Kinder noch gefährlicher. UNICEF schätzt, dass im kommenden Jahr 213 Millionen Kinder in Krisenregionen humanitäre Hilfe benötigen.
Verwendete Quellen:
- UNICEF-Situationsbericht 2024: Kindheit unter Beschuss
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