Nie zuvor gehörte Audio-Interviews, seltene Videoaufnahmen: "Becoming Led Zeppelin" enthüllt verborgene Schätze der Bandgeschichte, spart sich allerdings die Skandale.
Ein Kino im Speckgürtel von München, Premiere des Dokumentarfilms "Becoming Led Zeppelin" (ab 19. März im Kino): Der Saal ist gut gefüllt, die Stimmung angeheitert, die vorherrschende Haarfarbe Grau-weiß. Bierflaschen ploppen, es wird sich lautstark zugeprostet und dann geht das Licht aus. Die ersten Töne von "Good Times Bad Times" erklingen, diese doppelt angeschlagenen Gitarrenakkorde von Jimmy Page, das feingliedrige Spiel von Schlagzeuger John Bonham auf der Hi-Hat, dieser hinausgezögerte Auftakt, bevor es richtig losgeht. Einer der Zuschauer kann sich nicht mehr zurückhalten, ruft laut: "Boah!" – und schon ist man mittendrin im Sound der Band, die einmal die größte Hardrock-Band aller Zeiten werden sollte.
Dass "Becoming Led Zeppelin" überhaupt entstanden ist, ist ein kleines Wunder. Kaum eine Band wacht so akribisch über ihr Erbe wie Jimmy Page, John Paul Jones und Robert Plant. Bisher gab es keine offizielle Dokumentation, die drei Musiker stimmten nie zu, an einem Film über ihre Karriere mitzumachen. Jetzt ist es also so weit, Jimmy Page sitzt da auf der Kinoleinwand, lange weiße Haare, zu einem Zopf zurückgebunden, ganz so wie sein Publikum im Kinosaal, und erzählt, wie es war, in England nach dem Zweiten Weltkrieg aufzuwachsen. Denn auch wenn die Musik von Led Zeppelin noch immer allgegenwärtig ist, ist es fast 60 Jahre her, dass sich die Musiker zusammenfanden.
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Jimmy Page: "In den 1960ern auf so gut wie jeder Platte zu hören"
Auf genau diese Zeit beschränkt sich Regisseur Bernhard MacMahon in seinem Film "Becoming Led Zeppelin", von der Bandfindung bis zum zweiten Album 1969. Die drei überlebenden Mitglieder – Schlagzeuger John Bonham starb 1980 nach exzessivem Alkoholkonsum an seinem eigenen Erbrochenen – berichten, wie sie sich vor dem ersten Zusammentreffen der vier durchgeschlagen haben.
John Paul Jones etwa spielte in Kirchen, Robert Plant lebte zum Teil auf der Straße. Jimmy Page war zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgreicher Studiomusiker: Die Filmemacher reichen ihm einen alten Kalender, der Gitarrist schaut hinein und erklärt, dass er in den 1960ern auf so gut wie jeder Platte zu hören gewesen sei. Die Rolling Stones, The Kinks, David Bowie – nur bei den Beatles war er nie im Einsatz. Das erste Zusammentreffen mit Bassist John Paul Jones findet bei den Aufnahmen von Shirley Basseys James-Bond-Titeltrack "Goldfinger" statt, eine Neuigkeit auch für harte Led Zeppelin Fans.
Als sich 1968 "The Yardbirds" auflösen, in der Jimmy Page zu der Zeit spielt, beschließt der Gitarrist, seine eigene Band zu gründen. Als sie zum ersten Mal im Proberaum zusammentreffen, war allen klar: Hier passiert etwas Besonderes. Das erklärt auch John Bonham, der immer wieder mit einem bisher unveröffentlichten Audio-Interview eingespielt wird und seine Sichtweise zu den Anfängen mitteilt. Wenig später bringt die Band bereits ihr erstes Album heraus, "Led Zeppelin I", und reiht eine Tour an die nächste. Der Durchbruch gelingt zunächst in den USA, noch bevor die britische Heimat weiß, wer die vier Musiker sind. Das belegt eine Fernsehaufnahme eindrucksvoll: Led Zeppelin spielen vor Familienpublikum, das hält sich die Ohren zu, es ist einfach zu laut. Als diese Stelle im Kino läuft, wird herzlich gelacht.
Das ist alles sehr unterhaltsam, die Bandmitglieder erzählen warmherzig, es wird viel Archivmaterial mit aktuellen Begebenheiten wie beispielsweise der Mondlandung am 20. Juli 1969 verbunden, nach etwa einer Stunde Laufzeit driftet "Becoming Led Zeppelin" aber immer mehr in Richtung Konzertfilm ab. Rare Videoaufnahmen von Songs werden in voller Länge abgespielt. Oder Jimmy Page erklärt, wie er die Instrumente im Stereobild der Aufnahmen verteilt hat, damit jedes Instrument gut zu hören ist. Das ist interessant, aber wohl eher etwas für Led-Zeppelin-Ultras.
"Becoming Led Zeppelin": Keine Eskapaden, nur Musik
Größter Kritikpunkt an der Dokumentation ist, dass sie so hermetisch abgeschlossen wirkt. Die vier Bandmitglieder erzählen ihre Geschichte – und sonst niemand. Regisseur MacMahon hat zwar mit etwa 100 Menschen aus dem Umfeld der Band gesprochen, im Film kommen sie aber nicht vor. Das schränkt den Blick auf Led Zeppelin ein und macht die Dokumentation schwerer zugänglich für alle, die nicht eh schon Fan sind. Gleichzeitig schmälert es die Verdienste der Band, die seit 1968 Generationen von Musikern geprägt hat.
Das dürfte auch daran liegen, dass für Page, Plant und Jones nur so die volle Kontrolle über den Film möglich war. Der Sex, die Drogen, die Eskapaden und Skandale, die die Band begleiteten, bleiben außen vor. Auch der für Led Zeppelin schmerzhafte Tod von Schlagzeuger John Bonham findet keine Erwähnung – er starb erst 1980, "Becoming Led Zeppelin" endet 1969. Bis der größte Hit der Band, "Stairway to Heaven" erscheint, wird es noch zwei Jahre dauern.
So bleibt von "Becoming Led Zeppelin" genau das, was die Band mit diesem Vorgehen beabsichtigt hat: nichts als die Musik. Nach mehr als zwei Stunden klingt sie einem noch immer in den Ohren. Genauso frisch, wild und verspielt, wie sie es 1968 war, laut und präzise wiedergegeben vom Soundsystem des Kinos. Allein das ist das Anschauen und vor allem das Anhören der Dokumentation in Zeiten von Earpods und Bluetooth-Speakern schon wert.