- Die Zuschauer sehen knisternde Leidenschaft auf der Leinwand, hinter den Kulissen erfordert der Dreh einer gelungenen Sexszene oder intimen Szene viel Arbeit.
- Immer häufiger kommen sogenannte Intimitätskoordinatoren zum Einsatz, die die Entstehung solcher Szenen begleiten.
- Julia Effertz ist in Deutschland Pionierin auf diesem Gebiet und erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion, wie sie arbeitet, was eine gute Sexszene ausmacht und mit welchen Herausforderungen sie in ihrem Job zu kämpfen hat.
Frau Effertz, bei vielen Liebesszenen in Filmen schmelzen die Zuschauer dahin: Können Sie sich solche Szenen auch ganz unbedarft ansehen oder schauen Sie sich das durch Ihre professionelle Brille an?
Julia Effertz: Natürlich kann ich mir das als Zuschauerin noch anschauen. Ich bin auch Schauspielerin und es wäre schlimm, wenn ich mich bei jedem Film aufs Schauspielhandwerk fokussieren würde. Bei intimen Szenen, die ich besonders spannend finde, mache ich mir schon Gedanken, wie wohl gearbeitet wurde. Liebesszenen fallen mir dann auf, wenn mir nichts erzählt wird und ich mich frage, was ich jetzt fühlen oder denken soll.
Wie genau sieht Ihre Arbeit als Intimitätskoordinatorin aus? Was sind Ihre wichtigsten Aufgaben?
Meine Hauptaufgabe ist, die künstlerische Vision der Regie in Körpersprache zu übersetzen und gleichzeitig die Spielenden, die diese Vision umsetzen, beim Spielen zu schützen. Meine Arbeit ist vergleichbar mit der eines Stuntkoordinators: So wie er eine Gewaltszene plant, choreografiert und absichert, planen wir intime Szenen. So entsteht am Ende eine gute Szene, die die Geschichte und die Figuren bedient und gleichzeitig die Akteure absichert und dafür sorgt, dass keine Grenzen überschritten werden.
Stuntkoordinatoren kennt man schon länger. Warum choreografiert man erst seit Kurzem auch intime Szenen?
Als Schauspielerin war es für mich jahrelang normal, dass eine intime Szene gedreht wurde und man das so mitgemacht hat. Es gab keine Handhabe. Ich kann über das "Warum" nur mutmaßen. Vermutlich liegt es zum einen daran, dass das Verletzungsrisiko bei Gewaltszenen sehr offensichtlich ist. Verletzt sich der Schauspieler körperlich, ist der Dreh erst mal vorbei und das kostet im schlimmsten Fall viel Geld. Bei Gewalt war früh klar: Das muss abgesichert werden, indem man es choreografiert. Es wird auch viel getrickst, nicht alles ist echt und Film ist eine Illusion. Bei der Intimität war das Verletzungsrisiko lange nicht verständlich. Vielen war nicht klar, dass das Menschen tangieren, sogar traumatisieren kann. Außerdem handelt es sich bei Intimität um ein schambehaftetes Thema: Wie reden wir darüber, was wir darstellen? Das hängt auch mit Glaubenssätzen zusammen: Wir sind alle erwachsen, jeder hat schon mal geküsst und Schauspieler haben angeblich keine Grenzen, das sind doch Künstler. Also liegt auch ein falsches Verständnis des Schauspielberufes vor.
Effertz: "Ich brauche klare Jas und Neins von den Darstellern"
Gibt es weitere Gründe?
Eine Rolle spielen auch Machtdynamiken in der Branche. Gerade bei intimen Szenen zeichneten sich diese Dynamiken besonders scharf ab und Schauspieler und Schauspielerinnen wurden gerne gedrückt. Das war bereits zu Zeiten von
Haben Sie das auch erlebt als Schauspielerin?
Ich habe immer positive Erfahrungen in dem Bereich gemacht und liebe es als Schauspielerin, Intimität gut zu erzählen, denn es ist ein wichtiger Teil unseres Menschseins. Aber ich weiß, dass es vielen anders ergangen ist. Ich hatte immer nette, respektvolle Teams und habe, da ich eher als Charakterdarstellerin besetzt werde, auch nicht so viele intime Szenen gedreht. Beim Theater hat man eine Probenzeit und mit einem guten Team kann man die Szene besprechen und körperliche Abläufe festlegen. Beim Filmdreh bleibt dafür oft keine Zeit. Da geht's in die Maske und dann zum Knutschen.
Was genau tun Sie, um die Schauspielerinnen und Schauspieler und die Regie auf eine Sexszene vorzubereiten?
Intimitätskoordinatoren sollten sehr früh einbezogen werden. Wird man erst am Drehtag hinzugezogen, kann man gar nichts mehr machen. Das Wichtigste ist eine gute Vorbereitung: Drehbuch lesen, Szenen besprechen, Grenzen klären. Ich stelle viele Fragen: Was ist die Geschichte und wie wird sie erzählt? Welche Intimität soll dargestellt werden? Ich brauche Klarheit und tausche mich intensiv mit der Regie aus. Ich brauche klare Jas und Neins von den Darstellern. Dann muss man diese Szene proben. Diese Probenzeit zu bekommen, ist oft ein Problem. Wir müssen diese Sexualität, die dargestellt wird, technisch und desexualisiert arbeiten, ähnlich wie eine Stunt- oder Tanzchoreografie. Das gibt den Schauspielern Klarheit und Sicherheit. Dieses körperliche Arbeiten ist unverzichtbar. Denn erst im Körperkontakt kann der Schauspieler prüfen, ob die Berührung ok ist. Kann ein klares Ja oder Nein geben. Wenn eine Berührung für jemanden nicht funktioniert, dann bauen wir sie anders, sodass die Geschichte erzählt wird, aber die Grenzen des Spielers gewahrt bleiben. Ich liebe unsere Proben, denn es ist toll zu sehen, wie Stück für Stück eine Geschichte entsteht.
Spontanität gibt es also nicht hinter den Kulissen.
Was wir als Leidenschaft auf der Leinwand sehen, das ist die Spontanität der Figur. Der Schauspieler oder die Schauspielerin weiß genau, was als nächstes passiert. Das muss er oder sie ja wissen. Das bringt uns zu meinem Schauspielkollegen Sean Bean, der meinte, die Intimitätskoordinatoren würden die Spontanität des sexuellen Aktes stören. Ich war überrascht von dieser Aussage, wenn er denn korrekt zitiert wurde. Als Schauspieler müsste er wissen, dass diese Spontanität nicht seine private ist, sondern die seiner Figur.
Es wäre also ein Irrglaube zu denken, Darstellende würden aus der Situation heraus entscheiden und mal schauen, wie sie eine Liebesszene umsetzen?
Was soll ich denn spontan entscheiden? Ich muss wissen, was ich erzähle, was meine Figur tut und warum sie es tut. Ich liebe Improvisation und sie hat selbstverständlich ihren Platz im Schauspiel, aber bei Risikoszenen, in denen die Intimsphäre verletzt werden kann, rate ich davon ab. Im schlimmsten Fall gehe ich dann in einen privaten Bereich, küsse und bewege mich intim in der Rolle so, wie ich das als Privat-Mensch zu Hause tue. Wie soll Improvisation bei sexualisierter Gewalt funktionieren? Das ist brandgefährlich. Unsere Intimsphäre ist so verletzlich und wenn uns jemand zu nahekommt, gehen wir Menschen automatisch in den Überlebensmodus. Eine Schauspielkollegin berichtete mir einmal ein Dreherlebnis, das ihr lange nachhing: Bei einer Sexszene war nichts abgesprochen, es hieß, die Darsteller sollen mal spontan spielen. Beim dritten Take merkt die Kollegin, wie ihr Spielpartner sein Becken heftiger an sie drückt, seine Hände berührten ihre Brüste, in den vorherigen Takes war das nicht der Fall. Diese Kollegin fiel aus der Rolle heraus und in ihr Privat-Ich und dachte: Ist er jetzt noch in der Rolle? Oder ist er so heftig, weil ihn das privat erregt? Hier wird bereits eine Grenze überschritten. Das verletzt Menschen, ist übergriffig und unprofessionell. Es gibt keine gute Szene und lässt Menschen mit einem miesen Gefühl zurück. Sowas macht mich wütend, denn es ist unnötig und vermeidbar.
Wäre das eine Situation am Set, wo Sie eingreifen würden? Wann würden Sie grundsätzlich in eine Szene eingreifen?
Bei den Produktionen, die mit mir arbeiten, will man ja genau solche Probleme verhindern und wir bereiten deshalb gut vor. Die Szene steht, bevor es zum Dreh geht, am Drehtag selber sind es dann meist eher technische Details, die wir noch justieren, aber die Szene selber ist klar und körperlich gearbeitet, damit die Schauspieler mit einem sicheren Gefühl in den Dreh gehen und frei spielen können. An Drehtagen sind wir eng getaktet und es gibt keine Zeit für Diskussionen oder dafür, Vereinbarungen umzuschmeißen. Das würde Zeit kosten, die wir beim Dreh nicht haben. Gemeinsam mit der Regie schaue ich beim Dreh, dass die Szene authentisch ist und sich stimmig liest, manchmal justieren wir hier nach, aber wie gesagt: Das wichtigste ist die Vorbereitung, so wie bei einer Stunt-Szene auch.
Effertz: "Wir arbeiten im Mainstream, die dargestellte Intimität ist nicht echt, sie ist Choreografie"
Gibt es auch Szenen, die Sie nicht umsetzen oder begleiten würden?
Ich habe mal ein Projekt abgelehnt, weil da schon im Gespräch mit der Regie zu viele Warnsignale angegangen sind und zu viel Gefährdungspotenziale präsent waren, die nicht adäquat von der Produktion abgesichert wurden. Es war eine Low-Budget-Produktion mit Laiendarstellern. Das war mir zu heikel. Auch wenn mich ein Drehbuch gar nicht interessieren würde, würde ich in mich gehen und überlegen, ob ich diese Geschichte unterstützen kann und will. Was ich nicht betreuen würde, wären pornografische Filme, in denen echter Geschlechtsverkehr stattfindet. Das ist schlicht eine andere Branche mit ihren eigenen spezifischen Konventionen. Wir arbeiten im Mainstream, die dargestellte Intimität ist nicht echt, sie ist Choreografie.
Manchmal wird im Film auch sexualisierte Gewalt dargestellt. Wie gehen Sie damit um?
So wie mit jeder anderen intimen Szene auch. Der Arbeitsprozess ist ähnlich. Es ist wichtig, dass man so eine Szene sauber choreografiert und probt, klar in allen Abläufen ist und den Prozess genau bespricht, wie man in die Rolle rein- und auch wieder rausgeht.
Bei vielen Produktionen spielen sehr junge Schauspieler und Schauspielerinnen, teilweise Minderjährige, mit. Gibt es einen Unterschied in Ihrer Arbeit, wenn Sie es mit sehr jungen Menschen zu tun haben?
Bei sehr jungen Darstellern und Darstellerinnen ist oftmals das Schauspielhandwerk noch nicht so ausgeprägt. Außerdem fehlt die Lebenserfahrung, was dazu führt, dass man so junge Menschen besonders schützen muss und eine besondere Fürsorgepflicht hat. Sie können oftmals noch gar nicht abschätzen, was das mit ihnen macht oder wie Sexszenen sie beeinflussen oder nach außen wahrgenommen werden. Das Selbstbewusstsein ist teilweise noch nicht so ausgereift, um für die eigenen Bedürfnisse einzustehen. Junge Menschen wollen nicht als schwierig gelten und ihre Karriere voranbringen. Sie wollen mitunter mehr geben, als es in der Szene eigentlich braucht – hier müssen wir sie, gemeinsam mit der Produktion und den Schauspielagenturen, auch ein wenig vor sich selbst schützen.
Das zeichnet eine gute Sexszene aus
Was sind die Besonderheiten in der Zusammenarbeit mit älteren Schauspielern und Schauspielerinnen?
Denen fallen diese Szenen oft nicht leichter. Manchmal heißt es, eine Schauspielerin oder ein Schauspieler hätte schon 20 Sexszenen gedreht und das sei alles kein Problem. Dann hört man von der Kollegin oder dem Kollegen: "Ich musste das früher machen, ich habe mich nicht getraut Nein zu sagen. Zum Glück ist es jetzt anders und jetzt möchte ich das nicht mehr so machen." Es gibt auch Unsicherheiten in Bezug auf den eigenen Körper. Es ist schockierend, dass die für Frauen schon ab 40 losgehen: "Sehe ich noch attraktiv aus? Oh Gott, mein Bauch ist zu sehen. Das möchte ich nicht". Ich wünsche mir hier generell viel mehr Geschichten in Film und Fernsehen, die Intimität, Sex und Liebe ab 40 und bis ins hohe Alter hinein erzählen. Und das für alle Körperformen, gerade bei den Frauen. Ältere Generationen haben oft ein anderes Schamgefühl. Sie sagen offen, dass sie da früher überhaupt nicht darüber gesprochen haben. Das war ein viel zu schambehaftetes Thema.
Was zeichnet eine gute Sexszene aus?
Das ist ganz einfach: Wenn ich die Geschichte verstehe. Wenn ich verstehe, was zwischen den Figuren in der Szene passiert und es mich als Zuschauer berührt, mich mitnimmt, zum Lachen, Weinen und Träumen bringt. Das Gegenteil ist, wenn mir eine Szene nichts erzählt.
Was war Ihre bisher größte Herausforderung in dem Job?
Generell sind zu wenig Vorbereitungszeit und eine zu kurzfristige Anfrage große Herausforderungen. Herausfordernd ist auch, dass dieser Job als Kreativposition akzeptiert wird. Oft wird die Arbeit als Intimitätskoordinatorin auf eine Arbeitsschutzmaßnahme reduziert. Dabei designen wir Intimität und damit schaffen wir Geschichten und Bilder. Ich wünsche mir, dass das von Produktions- und Regieseite aus stärker gesehen wird und man uns den Raum und das Vertrauen dafür gibt. Es ist auch eine Herausforderung, wenn einen die Produktion nur holt, weil sie gerne ein Häkchen beim Thema Arbeitsschutz setzen möchte oder weil man das jetzt so macht. Die schönsten Arbeiten für mich waren die, bei denen man eng mit der Regie kollaborativ, gemeinsam eine Intimität gestaltet und formt und das zusammen mit den Spielern erarbeitet.
Woher kommt die teilweise kritische Haltung Ihrem Job gegenüber?
Ich kann nur mutmaßen. Aufseiten der Regisseure und Regisseurinnen spürt man manchmal eine Angst, dass ihnen etwas weggenommen würde oder dass man ihnen ins Handwerk pfuschen würde. Bei Regisseurinnen höre ich manchmal: "Ich bin doch eine Frau, ich bin sensibel und weiß nicht, warum ich dich jetzt noch brauche." Wenn ich erkläre, wie ich arbeite, ist da ein blinder Fleck, was die eigene Machtposition betrifft. Mir wird dann erklärt, es bestehe ein Vertrauensverhältnis zu den Schauspielern und Schauspielerinnen. Das Problem mit dem Vertrauen ist, dass es sehr fragil ist. Es braucht nur einen falschen Handgriff und es ist weg. Wenn ich jemandem sage: "Vertrau' mir einfach", fordere ich denjenigen/diejenige dazu auf, die eigenen Grenzen zu ignorieren. Intime Szenen brauchen kein Vertrauen, sondern klare Arbeitsprozesse, eine Choreografie und Professionalisierung. Bei den männlichen Regisseuren sind viele offen und sich ihrer Position als Mann und der Problematik bewusst. Aber diejenigen der alten Schule meinen, das nicht zu brauchen. Manche verstehen nicht, dass gute Intimität choreografiert werden muss, und dass diese Choreografie eine Bewegungsexpertise braucht – so wie ein Stunt auch.
Sie sind in Deutschland Pionierin in dieser Arbeit: Denken Sie, dass Intimitätskoordinatoren in ein paar Jahren gang und gäbe sein werden am Set?
Das wäre toll. Als Schauspielerin würde ich mir das ja auch wünschen. Wenn ich eine Liebesszene drehen würde, würde ich jemanden haben wollen, der das plant, koordiniert und choreografiert. Dann kann ich auch meinen Job als Darstellerin machen und ich weiß, wir werden eine tolle Szene kreieren und eine spannende Geschichte erzählen. Und dieser Gedanke macht einfach Freude.
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