- Nach dem Aufschrei über die einseitigen Nominierungen bei den Oscars 2016 ist die Academy, die für den Filmpreis nominiert und ihn vergibt, diverser geworden.
- Es gibt dort jetzt immerhin mehr als ein Drittel Frauen, rund ein Fünftel der Mitglieder sind nicht weiß.
- Das ist aber noch lange nicht genug und es besteht die Sorge, dass die aktuelle Entwicklung nur ein Strohfeuer ist.
Ohne Zweifel sind
Als die Nominierungen für die Oscars 2016 bekannt wurden, war der Aufschrei riesig. Zurecht, denn wieder einmal waren ausschließlich weiße Schauspielerinnen und Schauspieler für den Filmpreis nominiert worden, in anderen Kategorien sah es kaum besser aus. Wo waren hier Schwarze, People of Color und queere Menschen zu finden?
Unter dem Hashtag #OscarsSoWhite wurde nicht nur in sozialen Netzwerken auf diesen Missstand, dass viele Bevölkerungsgruppen in der US-Filmbranche offenbar nicht oder kaum stattfinden, aufmerksam gemacht. Einige schwarze Künstler drohten mit einem Boykott der Veranstaltung.
Als Reaktion auf die Kritik wurden seitdem viele hundert neue Mitglieder in die Academy of Motion Picture Arts and Sciences aufgenommen, darunter viele Frauen und Menschen aus "underrepresented ethnic/racial communities", also nicht weiße Menschen. Die Academy nominiert für und vergibt die Oscars, ihre Zusammensetzung ist wichtig - nicht nur für die Oscars selbst. Sie ist ein Spiegel der Branche, sollte aber vor allem ein Vorbild sein.
"Noch nicht ganz auf dem Weg, auf dem sie gerne wäre"
Die geänderte Zusammensetzung der Academy hat bereits Wirkung gezeigt: Vor allem die Nominierungen für die Oscars 2021 fielen deutlich diverser aus als davor. "Bei den Nominierungen für die Oscars 2021 war ganz eindeutig, dass man auf die mehr als berechtigte Kritik, die Oscars seien weiß und männlich, reagiert hat", sagte uns der Autor und Dramaturg Timo Gößler, der auch Dozent an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf ist, am Telefon.
Mit Blick auf die Nominierungen zur diesjährigen Verleihung, die am Sonntagabend (27. März) in Los Angeles stattfindet (Nacht zum Montag unserer Zeit), ist Gößler jedoch alles andere als euphorisch: "Sieht man sich die Nominierungen für die Oscars 2022 an, muss man sagen, dass die Academy noch nicht ganz auf dem Weg ist, auf dem sie gerne wäre."
Im Vergleich zu 2021 seien zum Beispiel die wenigen Schauspiel-Nominierungen für People of Color und Schwarze ein Rückschritt. Andererseits sei mit den vier Nominierungen des japanischen Films "Drive My Car" nach dem Riesenerfolg von Parasite 2020 abermals ein asiatischer Film stark vertreten. Zudem wurde mit Troy Kotsur seit sehr langer Zeit endlich wieder ein gehörloser Darsteller nominiert.
Wie gesagt bemüht sich die Academy schon seit einigen Jahren, diverser zu werden. 1927 gegründet, hat sie inzwischen mehr als 10.000 Mitglieder, die alle in der Filmbranche arbeiten. Sie sind, entsprechend ihrer Tätigkeit, einzelnen Zweigen, den branches (Autoren, Regie, Schauspieler und so weiter), zugeordnet. Aufgenommen wird nur, wer von zwei Mitgliedern seines Zweiges vorgeschlagen oder wer für einen Oscar nominiert wird. Über die endgültige Aufnahme entscheidet das Board of Governors, eine Art Vorstand der Academy.
Streamingdienste als Vorbilder
2020 waren unter den aktiven Mitgliedern trotz der Inklusionsbemühungen der Academy immer noch nur 33 Prozent Frauen. "Das ist ein Fortschritt gegenüber 2015, als es nur 25 Prozent waren, aber noch weit von einer Parität entfernt", sagt Gößler. Ähnliches gilt für nicht weiße Menschen oder solche mit diversen ethnischen Kontexten: Sie machen in der Academy jetzt 19 Prozent aus, 2015 waren es 10 Prozent. "Man muss leider sagen: Auch sechs Jahre nach der Kritik an den Nominierungen sind die Academy und die Filmbranche immer noch überwiegend weiß und männlich."
Wie man diverser als Hollywood sein kann, zeigen seit einigen Jahren die Streamingdienste. Sie setzen vor allem in Serien stark auf Diversität, das ist mittlerweile auch wissenschaftlich untersucht worden. "Die Repräsentanz von Diversität in ihren unterschiedlichen Dimensionen ist deutlich besser als zum Beispiel - noch - im deutschen Fernsehen", sagt Dramaturg Gößler. Dies habe die nationale TV- wie auch die internationale Kinobranche gehörig unter Druck gesetzt.
Mittlerweile hat die Academy sogar einen Standard eingeführt, der Vielfalt gewährleisten soll. Wie immer, wenn es um so etwas Quoten geht, gibt es dazu auch kritische Stimmen. Gerade in kreativen Bereichen wie der Filmbranche werde so etwas häufig als Angriff auf die Freiheit gesehen, sagt Gößler.
"Aber man muss sich ja fragen: Warum hat es gerade in dieser vermeintlich offenen Branche so lange gedauert, bis überhaupt gesehen wurde, wie unterrepräsentiert bestimmte Bevölkerungsgruppen sind?" Eine der vielen möglichen Antworten darauf könnte sein: Man war sich zu selbstgewiss, dass es so etwas wie Rassismus dort einfach nicht geben kann.
Den Vorwurf, Standards wie Amazon Studios Playbook oder eben die Inclusion Standards für die Oscars, seien unterkomplex, kann Gößler jedenfalls nicht nachvollziehen. "Die Oscar-Standards sind zum Beispiel überaus komplex, es gibt mehrere Bereiche mit diversen flexibel zu erfüllenden Unterpunkten."
Verpflichtend sind sie übrigens erst ab 2024. Man wird sehen, wie divers die Nominierungen und auch die Preisvergabe in den Jahren danach sind. Einige befürchten, dass die Macht trotz allem bei denen bleibt, die sie auch jetzt schon haben. "Es gibt momentan die Sorge, dass die positiven Entwicklungen gerade nur ein Strohfeuer sind und die Veränderung nicht nachhaltig ist", sagt Gößler. Zumindest kann sich die Academy sicher sein, dass viele weiterhin sehr genau hinsehen werden.
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview mit dem Autor und Dramaturgen Timo Gößler, der auch Dozent an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf ist
- Website der Academy of Motion Picture Arts and Sciences: Abstimmung, Geschichte, Mitgliedschaft, Zusammensetzung
- Pressemitteilung der Academy zu den Inclusion Standards (8. September 2020)
- CNN.com zu Diversitätsstudie bei Streaminganbietern
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