Rabenmütter, verschwundene Väter und mörderische Töchter – "wir sind die Polizei, nicht Pro Familia!" schimpft der Kommissar. "Made in China" zeigt: Es geht auch beides.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Dass es in "Made in China" (26.12., 20:15h im Ersten) hochemotional zugehen wird, ist schon in den ersten Minuten klar: Kommissarin Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) besucht im Gefängnis ihre Mutter (die mit der RAF-Vergangenheit) und kriegt nur kalte Abweisung zu spüren. Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) und sein Erzfeind, Kriminaltechniker Sebastian "Arschloch" Haller (Tilmann Strauß), begegnen sich im Kommissariat zwischen Tür und Angel, versprühen aber dermaßen viel Verachtung füreinander, dass sich auf dem Fernsehbildschirm eine knirschende Eisschicht bilden müsste. Und in einem Dortmunder Asia-Laden läuft eine blutende junge Frau mit zur Fratze verzerrtem Gesicht und einem Messer in der Hand wie vom Wahnsinn gepackt durch die Gänge.

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So geht er los, der neue "Tatort" aus Dortmund, und temporeich geht es weiter. Die blutende Frau kann sich an nichts erinnern, aber sie habe jemanden ermordet und der chinesische Hund habe alles mitangesehen. Herzog kümmert sich um sie, Haller macht sich wichtig, Faber macht ihn fertig. Und dann will die neue Chefin Ira Klasnic (Alessia lause) auch noch mitmischen. Das ist die, die am Ende der letzten Folge ihren Mantel an den Garderobenhaken des Kommissariats hängte und der Rosa Herzog die Schuld an der Flucht ihres Freundes und Kollegen Jan Pawlak ("Tatort"-Aussteiger Rick Okon) gibt.

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Ein ganz schön schwungvolles Ermitteln geht los und ein großer Spaß für Zuschauerinnen und Zuschauer. Die Funken der Feindseligkeit sprühen nur so. Faber ist wieder einmal in Hochform, böse und klug und gewitzt, während Sebastian Hallers plumpe Gemeinheiten auf den Boden plumpsen, bevor sie ihr Ziel erreicht haben. Und zwischen Herzog und Klasnic geht es ähnlich liebevoll zu.

Schnell ist herausgefunden, dass es sich bei der traumatisierten jungen Frau um Vanessa Haiden (Klara Lange) handelt, die 25-jährige Tochter aus der Stahldynastie Haiden. Das Blut stammt von einem nahen Verwandten – vermutlich ihrem Vater Jo Haiden (Gerhard Roiß). Der ist nirgendwo aufzufinden.

Also geht es ab ins Haus der Haidens. Dort wurde eingebrochen, Sophia Haiden (Marie-Lou Sellem) sitzt gefesselt auf einem Stuhl, und sobald man ihr das Klebeband vom Mund gerissen hat, legt sie los, eiskalt und überheblich. Ja, ihr Ehemann lebe hier, manchmal auch nicht, dann sei er in Shanghai. Und Tochter Vanessa? Ja, die auch: Manchmal sei sie da, manchmal nicht.

Sophia Haiden scheint wenig besorgt um den verschwundenen Ehemann, aber als es um ihre Tochter geht, flippt sie aus – wie, Mord? Am Vater? Unmöglich, die seien sich so nah. Wieso Mord, was ist mit dem Einbruch, zackzack, eine Frau, die gewohnt ist, Anweisungen zu geben und Fragen zu stellen – nicht, sie zu beantworten. Doch in der Küche steht die Steinskulptur eines chinesischen Hundes, und im Messerblock klafft eine Lücke. Faber und Herzog haben vielleicht nicht die Oberhand, jetzt aber doch das Wort.

"Made in China" lebt von Schlagfertigkeit und Wortwitz. Drehbuchautor Wolfgang Stauch hat allen Beteiligten schnelle, scharfsinnige Dialoge in den Mund geschrieben, die so im deutschen Sonntagabendkrimi selten zu hören sind. Darsteller und Regie (von Jobst Christian Oetzmann) beherrschen das passende Timing. Streitgespräche und lautes Denken bestimmen das Tempo, damit muss der Plot mithalten und kann es kaum. Plötzlich wird "Made in China" zu einem Fall um Industriespionage, mit einer gestohlenen SD-Karte und einer geheimnisvollen Chinesin, die bei den Haidens aus der Hecke tritt. Mit wilden Verfolgungsjagden zwischen Drohne und Opel, mit Geiselnahmen und -übergaben, deren dann doch eher unrealistische Ausführung zu einer Flut von Leserbriefen echter Beamter führen dürften. Geschenkt. Die Absurdität des Falles füttert nur die wortreiche Verblüffung und das Zusammenwachsen des Teams Faber und Herzog.

Denn eigentlich geht es um Loyalität und Zusammenhalt, um Rabenväter und schlechte Mütter, verletzte Töchter und zerknirschte Söhne. Auch wenn Faber genervt reagiert, als es einmal darum geht, ein Auge zuzudrücken: "Wir sind die Polizei, nicht Pro Familia!"

Als ob nicht beides ginge. Gerade er sollte doch wissen, wie schön es ist, wenn aus Polizeikollegen sowas wie eine Familie wird. Bei diesem "Tatort"-Team gehört man jedenfalls gern dazu. Oder besser: Dieser "Tatort"-Familie hört man gerne zu.

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