Die Küche als Droge: In "Messer" führt die krankhafte Symbiose aus Arbeits- und Privatleben zu einem Mord. Und dann gibt es auch noch Streit zwischen Bibi Fellner und Moritz Eisner.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Bibi Fellner und ihr Kollege Moritz Eisner ermitteln unter Drogensüchtigen. Diese Junkies bleiben die halbe Nacht wach, um an ihren Stoff zu kommen, sie lassen sich betatschen, um an besseren Stoff zu kommen, und sie gehen tanzen und trinken, um ihre Abhängigkeit zu vergessen. Nur arbeiten sie nicht mit Spritzen, sondern mit Spritzflaschen für die präzise Saucendosierung, und Pinzetten werden dazu verwendet, ihr Werk mit feinsten Blütenblättern zu verzieren: Willkommen in der Küche des "Efeukron."

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Ein Wiener "Gourmettempel" soll das sein, ist aber eher eine Vorform der Hölle. Inhaber und Chefkoch André Brauer (Daniel Keberle) hielt seine Küchenbrigade mit physischer Gewalt und Psychoterror unter völliger Kontrolle warum in der Gastronomie mit "Brigade" derselbe Begriff für ein Team verwendet wird wie im Militär, ist sofort klar. Es geht nicht nur darum, dass alle aufeinander eingespielt sein müssen. Hier herrschen eine Detailversessenheit und ein Perfektionszwang, den man sonst nur aus Army-Filmen oder katholischen Internatsromanen kennt. Oder eben aus den Berichten berühmter Köche und weniger berühmter Whistleblower, die Drehbuchautorin Sarah Wassermair für den neuen Wiener "Tatort: Messer" zu Rate gezogen hat. Eigentlich erstaunlich, dass es nicht mehr Mord und Totschlag in der Spitzengastronomie gibt.

Messer, Macht und Misstrauen

André Brauer jedenfalls wird erstochen vor seinem Wohnhaus gefunden. Und natürlich konzentriert sich die Täter- und Tatwaffensuche auf seine Brigade. Japanische Messerschmiedekunst eignet sich schließlich hervorragend für Präzisionsarbeit am Schwein, und jedes Teammitglied hat sein eigenes Motiv und eine eigene Messertasche. Die ist gewissermaßen Arbeitswerkzeug und hingebungsvoll gepflegtes Drogenbesteck zugleich.

Der Vergleich zwischen Drogenmilieu und Gourmetgastronomie bildet einen roten Faden in "Messer". Hinterm Herd werde mitunter mehr eingeworfen als auf der Straße, sagt "Ratte" (Manuel Sefciuc). Und der muss es wissen: Ratte ist ein vorbestrafter Ex-Junkie, dem sein Halbbruder und Sous-Chef Lars (Simon Morzé) den Job in der Küchenbrigade des Efeukron besorgt hat. Aber die eigentliche Droge, so Ratte, sei die Küche: "Da ist dieser irrsinnige Druck, das andauernde Adrenalin während dem Service, da kannst du alles vergessen, alles: Selbsthass, Angst, Trauer, alles ist unwichtig. Du musst dich nur fallenlassen."

Durch Rückblenden und halluzinatorische Szenen, in die so gut wie kein Sonnenlicht eindringt, erschafft Regisseur Gerald Liegel einen surrealen Mikrokosmos aus Edelstahl und Edelküche. Dominiert von kalten Farben und engen Räumen (Kamera: Gero Lasnig), ermitteln Bibi Fellner und Moritz Eisner im Halbdunkel einer Parallelwelt, deren Abgeschlossenheit ihre toxischen Regeln erst ermöglicht und am Leben erhält.

Brennpunkt Beziehung

Bald wird auch Brauers Partnerin Alicia Brauer (Martina Ebm) zu einer Hauptverdächtigen. Sie steht ebenfalls unter Hochdruck – nicht nur als überarbeitete Geschäftsführerin des "Efeukron", sondern auch als betrogene Ehefrau, die im Ranking ihres Mannes erst nach Restaurant und Affären kam und ihre ganz eigenen Methoden hat, damit umzugehen.

Gewalt in der Küche, Verzweiflung in der Ehe – was eine krankhafte Symbiose aus Arbeits- und Privatleben anrichten kann, zeigt "Messer" in verschiedenen Härtegraden. Die harmloseste Version wird über die Freundschaft zwischen Bibi Fellner und Moritz Eisner erzählt: Fellner hadert mit ihrem Job, Eisner kann vor lauter unausgesprochener Verlustangst damit nicht umgehen. Auch sie sind angespannt, auch sie streiten in den engen Räumen ihres Büros.

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Starke Bilder, schwacher Beziehungsbogen

Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser dabei zuzusehen, wie sie kammerspielartig die melancholische Beziehung zwischen ihren Figuren ausloten, ist immer ein Vergnügen, aber wirklich gebraucht hätte es diese Zuspitzung nicht. Der Beziehungsstress zwischen den beiden lähmt den an Symbolik ohnehin schon reichen "Tatort" unnötig. Schließlich weiß man spätestens seit "The Bear", dass Gourmetgastronomie ganz allein mehr als genug Drama bietet.

Natürlich darf man einen "Tatort" nicht mit der amerikanischen Ausnahmeserie vergleichen, auch wenn seit "The Bear" in jeder Küchenshow mindestens einmal "Ja, Chef!" gebrüllt wird. "Messer" ist da keine Ausnahme. Die riskante Assoziation stellt sich bei Fernsehenthusiasten somit automatisch ein. Aber diesem Wiener Küchen-"Tatort" ist vor allem über seine starken Bilder eine eigene Handschrift gelungen.