In "Die Ferien des Monsieur Murot" ermittelt der Wiesbadener Kommissar im Mordfall an einem Autohändler, der ihm aufs Haar gleicht. Wie realistisch ist so eine Ähnlichkeit? Und was hat es mit dem Pflanzengift PSM31 auf sich? Wir liefern Hintergründe.
Worauf spielt der "Tatort"-Titel an?
"Die Ferien des Monsieur Hulot" ist ein Klassiker des französischen Kinos, der seinen Schöpfer weltberühmt machte: Jacques Tatis Komödie von 1953 war der erste abendfüllende Film mit seinem Alter Ego Monsieur Hulot, für den Tati auch das Drehbuch schrieb und den er selbst spielte.
Der Film, in dem der vornamenlose Monsieur Hulot kaum spricht, erinnert an die Stummfilmklassiker mit
Im "Tatort" bleibt davon nur die sommerliche Ferienatmosphäre übrig.
Gibt es noch weitere Anspielungen?
Der für Murot ungewöhnlich helle Anzug ist eine Hommage an Monsieur Hulot, auch der seltsame Aufschlag Murots beim Tennisspiel ist ein direktes Zitat aus dem Film von 1953. Seine Arbeit als Kommissar sei ein "Kampf gegen Windmühlen", sagt Murot seinem Doppelgänger Boenfeld. Filmemacher Jacques Tati hat sich so beschrieben: "Ich bin ein wenig Don Quichotte, der mit Humor gegen die Windmühlen anrennt." Aber Tatis Windmühlen sind all die "Vorschriften und Regeln, Verbote und Hinweise" des Alltags. Also eigentlich genau das, was ein Kommissar durchzusetzen hilft.
Das Buch, das Murot zu Beginn des Filmes auf der Terrasse liest, ist "William Wilson" von Edgar Allan Poe. Damit wird sofort auf das Thema von "Die Ferien ..." verwiesen: Die autobiografische Erzählung Poes handelt vom Ich-Erzähler, der sich William Wilson nennt und auf einen Doppelgänger trifft. Es geht um die zwiegespaltene Natur eines Menschen, der seine dunkle Seite auslebt und mit seinem Gewissen hadert, das in das Ebenbild ausgelagert wird.
Wir wollen es mit der Interpretation nicht zu weit treiben, aber die Tatsache, dass Murot im Hotel in Zimmer 104 wohnt, könnte auch eine Anspielung sein: "Zimmer 104" ist eine Serie des amerikanischen Senders HBO, die in jeder Folge eine völlig andere Geschichte erzählt, aber immer im selben Motelzimmer spielt.
Gibt es tatsächlich Doppelgänger, die nicht verwandt sind?
Rein theoretisch ist das möglich und lässt sich mit simpler Wahrscheinlichkeitsrechnung beantworten: Alle Menschen teilen 99,5 Prozent ihres Erbguts, bei eineiigen Zwillingen ist es das in ihrem Fall fast identische restliche halbe Prozent, das sie einander "wie ein Ei dem anderen" gleichen lässt. Entsprechend kann es deshalb aber natürlich auch vorkommen, dass sich unter Wildfremden zwei Menschen mit fast deckungsgleichem Genom finden.
Seit 2015 kann man seinen "twin stranger", den "fremden Zwilling", auch per Internet suchen: Auf der von drei irischen Freundinnen gestarteten gleichnamigen Webseite kann man ein Foto hochladen und – gegen Bezahlung – auch Gesichtserkennungssoftware nach seinen persönlichen Doppelgängern suchen lassen.
Die meisten Menschen sind – wie Munot/Boenfeld - naturgemäß fasziniert von dem Gedanken: "Wir fühlen uns wohl und verstanden, wenn wir auf Menschen treffen, die ähnlich oder noch besser gleich denken, fühlen und handeln wie wir", hat der Schweizer Philosoph Roland Neyerlin gegenüber der "Luzerner Zeitung" erklärt, und dabei auf die Schattenseite hingewiesen: "In unserer Gesellschaft bedeutet Harmonie trügerischerweise vor allem Übereinstimmung." Fast identisches Aussehen sei der Gipfel dieser angenommenen Gleichheit. Das Bedürfnis danach könne im Extremfall aber zur Gleichmacherei und Gleichschaltung führen.
Gibt es das Pflanzengift PSM31 wirklich?
"Einmal hat sie mir PSM31 in den Kaffee gekippt", sagt Boenfeld zu Murot im "Tatort", das sei doch dieses alte Pflanzengift, das einen Herzinfarkt auslöse und keine Spuren hinterlasse. Der Kommissar nickt. Aber PSM31 ist eine Erfindung, die Abkürzung steht für "Pflanzenschutzmittel Nummer 31".
Pflanzengifte sind natürlich trotzdem ein beliebtes Mordmittel: Die Wormser Ehefrau Christa Lehmann etwa wurde in den fünfziger Jahren berühmt, weil sie mit E605, Parathion, ihren gewalttätigen Ehemann, dessen Vater und eine Freundin vergiftet hatte – letztere aus Versehen, die präparierte Praline war eigentlich für deren Mutter vorgesehen, die Christa Lehmann nicht mochte. Das Pestizid war damals in Deutschland noch relativ unbekannt, Christa Lehmann war auf die Idee gekommen, nachdem ihr gärtnernder Vater sie davor gewarnt hatte.
Nach den Aufsehen erregenden Morden kam es zu derart vielen Nachahmungen, dass die Presse ihm den Namen "Schwiegermuttergift" verpasste. Seit 2001 ist es in der EU verboten, aber noch 2019 fahndete die Polizei nach drei Underberg-Flaschen, die im Tresor eines Hannoveraner Einfamilienhauses gelegen hatten und in den Besitz von Einbrechern gelangten.
E605 hat einen starken chemischen Geruch und kann bereits durch Einatmen im Freien schwere Gesundheitsschäden verursachen.
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