Gleich am Anfang des neuen "Tatort" aus der Schweiz nimmt uns die Kamera mit in ein schickes Hotel am Zürichsee. Das Erste, was man denkt: tolles Hotelzimmer, so direkt am Wasser, große Terrasse, modernes Mobiliar. Aber dann: Igitt. Da sitzt ein toter Mann im Sessel.
Sauberer Kopfschuss. Vor allem aber: Die Zehen des rechten Fußes sind abgeschnitten. Auch sehr sauber. Eine gerade Linie. Ohne anatomische Kenntnisse gar nicht so einfach, sagt der Kriminaltechniker. In diesem Hotel ist es vielleicht doch nicht so schön.
Die Szene ist die drastischste des Films, der optisch zurückhaltender weitergehen wird. Und trotzdem stimmt sie ein auf die Verbrechen, von denen "Seilschaft" handelt, und die nichts für zarte Seelen sind. Aber wegschauen darf da keine Option sein, für niemanden. "Ich verspreche, zu helfen", wird Fallanalytikerin Tessa Ott (
Symbolische Morde in den höchsten Schweizer Kreisen
Es geht in diesem Zürcher "Tatort" wieder um Verbrechen in höchsten Kreisen, in typisch Schweizer höchsten Kreisen: Im Hotel findet eine internationale Entwicklungshilfekonferenz statt. Der Tote war der launige Moderator der Spendengala am Vorabend. Staatsanwältin Anita Wegenast (Rachel Braunschweig) war auch zu Gast und erinnert sich wehmütig an seinen britischen Humor.
Kurze Zeit später liegt ein CEO an sein Ruderboot gefesselt auf dem Grund des Sees. Sein Unternehmen ist der Hauptsponsor der Konferenz. Derweil gehen die Zehen des Moderators per Post an Mitveranstalter Dominic Mercier (Leonardo Nigro), dessen Hedgefund "Green Human Investments" die Entwicklungshilfe unterstützt.
Weil die Morde alle so symbolisch sind und weil die Ermittlungen zu einem Boxclub führen, wo albanische und italienische Banden angeblich ihre Mitglieder rekrutieren, konzentriert sich Kommissarin Isabelle Grandjeans (Anna Pieri Zuercher) Arbeit bald auf die Mafia. Sie erfährt – und die Zuschauenden mit ihr – dass die Mafia Entwicklungshilfe gern für Geldwäsche benutzt. Wenn man einen beträchtlichen Teil seines Geldes mit Organ- und Menschenhandel aus und in Entwicklungsländern verdient, sind Hedgefonds wie jener von Dominic Mercier ein attraktives Investitionsobjekt.
Das ist zwar alles interessant und aufschlussreich, spielt sich aber vor allem an den wandgroßen Smartboards ab, vor denen die Zürcher Ermittlerinnen so gerne sitzen und mit hochgezogenen Augenbrauen Landkarten und Fotografien begutachten.
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Der Fall geht Fallanalytikerin Tessa Ott näher als gedacht
Doch Tessa Ott verfolgt noch eine andere Spur. Eine emotional mitreißendere, quälendere. Ihr sind die Botschaften, die die Leichen vermitteln sollen, für Mafia-Zwecke zu sorgfältig inszeniert. Mit Morden sei es wie mit Geschenken, ist sie überzeugt: "Nur wenn's was Persönliches ist, nimmt man sich Zeit für Details." Auch für die impulsive Kommissarin selbst wird es persönlich. Als sie sich unter den Frauen im Boxclub und den Bewohnern eines Jugendheims umsieht, dessen Direktorin das nächste Mordopfer geworden ist, merkt man schnell, wie ungesund nahe ihr die Tätersuche geht.
Subtil lässt die Geschichte (Buch: Claudia Pütz und Karin Heberlein) ahnen, dass Tessa Otts Verbissenheit irgendetwas mit dem Abscheu zu tun hat, den sie bekanntermaßen gegenüber ihrer eigenen Familie hegt und die ja in ähnlichen Kreisen verkehrt wie die Mordopfer.
Indem sich der Schwerpunkt zunehmend auf Tessa Otts gereizte Ermittlungsarbeit verlagert, wird die Rolle der Mafia vielleicht verharmlost – der Umsatz der kalabrischen 'Ndrangheta wird auf 300 bis 400 Milliarden geschätzt, heißt es im Film einmal. Aber dem Krimi tut das gut, weil die eigentlichen Verbrechen, um die es in "Seilschaft" geht, dadurch erfahrbarer werden, die eigentlichen Opfer sichtbarer. Zumal der Film (Regie: Tobias Ineichen, Kamera: Michael Saxer) zum Glück kein voyeuristisches Kapital aus der Widerwärtigkeit dessen schlägt, was Tessa Ott aufdecken wird.
Es sind die meiste Zeit nur ihre Ahnungen, die mitschwingen, es ist ihr sich immer stärker verdichtender Verdacht, der sich wie ein Schatten über die sommerliche Stadt legt. Und auch als gegen Ende die kühle, steife Isabelle Grandjean ihre Kollegin unbeholfen in den Arm nimmt, ist dieser bedachtsam erzählte Film ehrlich genug anzudeuten, dass ein gelöster Fall von einem Happy End für die wahren Opfer weit entfernt liegt.
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