Regisseurin Lulu Wang erzählt in "The Farewell" eine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht. Die Großmutter von Protagonistin Billi ist unheilbar an Krebs erkrankt und hat nicht mehr lange zu leben. Um die Oma zu schonen, beschließt die Familie, die Krankheit vor ihr zu verheimlichen. Eine Geschichte über die Güte, die in einer Lüge liegen kann.
Billi (Nora Lum alias Awkwafina) lebt seit ihrer frühen Kindheit mit ihren aus China stammenden Eltern in New York. Sie träumt von einer Karriere als Künstlerin. Mitten in den Vorbereitungen für ein unabhängiges Leben erreicht Billi eine Nachricht aus ihrer früheren Heimat.
Die Oma väterlicherseits, die Nai Nai, ist unheilbar krank. Die Ärzte geben ihr noch drei Monate zu leben. Die Familienmitglieder beschließen, der Oma zu erzählen, dass die Untersuchungsergebnisse des Arztes einwandfrei sind. Der Grund dafür: Die Nai Nai soll nicht wissen, dass sie sterben wird und unbeschwert weiter leben können.
Um sich trotzdem von der Nai Nai verabschieden zu können, wird ein Vorwand erfunden, damit alle Familienmitglieder sich in China zusammenfinden können, ohne, dass die erkrankte Oma Verdacht schöpft. Also muss Billis Cousin kurzerhand seine Freundin heiraten, um so die Familienzusammenkunft zu rechtfertigen.
Die Menschen sterben an Angst, nicht an Krebs
Zu Hause bei der Nai Nai sitzen deren Kinder mit ihren Familien am Tisch und machen gute Miene zum bösen Spiel. Die Großmutter ist ausgelassen, ihre trüb dreinblickenden Verwandten machen ihr Sorgen. Ihrem Sohn unterstellt sie sogar, dass dessen Alkoholproblem wieder zurück sein muss - wo auch sonst soll seine Trauermiene herrühren.
Voller Inbrunst stürzt sich die Nai Nai in die Hochzeitsvorbereitungen, während die Familie ihrem Aktionismus wortlos zusehen muss. Wie bringt man der Oma bei, dass sie sich schonen muss, wenn sie ihrer Meinung nach kerngesund ist?
Für die in den USA lebende Billi ist das Verhalten ihrer chinesischen Familie schwer nachvollziehbar. Sie kann kaum verbergen, dass der Besuch ein Abschied ist, den die Oma nicht als einen solchen begreift.
Billis Mutter versucht ihre Tochter zu besänftigen und erzählt ihr, dass chinesischen Ärzte dazu raten, schwer kranken Menschen ihr Schicksal zu verheimlichen. Denn wer weiß, dass er schwer krank ist, stirbt an Angst, nicht an Krebs.
Die Nai Nai (Zhao Shuzhen) lehrt ihrer Enkelin Gelassenheit, macht mir ihr Taijiquan-Übungen und gibt ihr Lebensweisheiten, wie: "Es kommt im Leben nicht darauf an, was du tust, sondern wie du es tust", mit auf den Weg. Die beiden Schauspielerinnen verleihen auch den ernsten Szenen einen zauberhaften Witz.
Durch die Inszenierung der innigen Großmutter-Enkelin-Beziehung wird der Zuschauer Billi ihre Lüge nicht vorwerfen. Im Gegenteil, man versteht, dass sie ihrer geliebten Nai Nai das Unglück ersparen will. Man fragt sich, wie man wohl selbst in so einer Lage reagieren würde.
Wie moralisch kann eine Lüge sein?
Der Film wirft die Frage auf, ob man einer Person ihrer Selbstbestimmung berauben darf. Die Großmutter hat nicht die Freiheit, zu entscheiden, ob sie die Wahrheit über ihre Krankheit wissen möchte oder nicht. Ihr wird einfach gesagt, dass sie gesund ist.
Die Familienmitglieder leiden stark unter der Lüge. Alle quälen sich mit der Frage, ob ihr Handeln unmoralisch ist und ob man der Oma die Wahrheit sagen sollte. Sie sind traurig und nur die Heiterkeit der Nai Nai bestärkt sie in ihrer Entscheidung, zu schweigen.
Die amerikanische Regisseurin Wang hat selbst chinesische Wurzeln und hat die Geschichte in der eigenen Familie erlebt. Sie wollte die aufreibende und emotionale Zeit auf die Leinwand bringen.
Dies gelingt ihr, ohne ins Pathetische abzurutschen. Sie schafft humoristische Szenen, die eine ganz normale Familie zeigen, die nach einer langen Zeit wieder aufeinander trifft und deren Mitglieder alle ihre kleinen Geheimnisse haben.
Wang will ihre Zuschauer nicht belehren. Es gibt im Film kein richtig oder falsch, nur Menschlichkeit.
Der Film zeigt wunderbar unbeschwert, wie ein schlimmes Schicksal auf mehreren Schultern verteilt wird und den Versuch der betroffenen Person damit die Last zu nehmen.
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