In den sozialen Medien begeistert Content Creator Jo Semola mit kreativen Rezepten und begibt sich mit seinem neuen Backbuch "Breadventures" auf eine kulinarische Abenteuerreise. Der "Backfluencer" erklärt, welche Rolle Backen bei seiner mentalen Gesundheit spielt und warum der Umgang mit mentalen Erkrankungen auch ein patriarchales Problem ist.
Herr Semola, beschreiben Sie uns zu Beginn unseres Gesprächs bitte mit drei Worten, was Backen für Sie bedeutet.
Jo Semola: Backen bedeutet für mich: Leidenschaft, Kontrolle und Achtsamkeit.
Aus eben jener Leidenschaft heraus haben Sie bereits zahlreiche Backbücher veröffentlicht. Ihr neues Buch heißt "Breadventures". Wie würden Sie den größten Backmuffel überzeugen, sich auf das Abenteuer Brotbacken einzulassen?
Für mich gibt es nichts Besseres als den Geruch eines frisch gebackenen Brotes, der durch das ganze Haus strömt. Der Moment, in dem man den Ofen öffnet, diesen besonderen Duft wahrnimmt und feststellt, dass das Brot gut geworden ist, ist nicht zu toppen. Denn natürlich gibt es auch den einen oder anderen Fallstrick beim Backen – auch mir passieren heute noch Misserfolge. Umso schöner ist der Moment, in dem man sieht, dass das Brot aufgegangen ist – darauf sollte sich jeder Mensch einmal eingelassen haben.
Warum Backen für Jo Semola Kontrolle bedeutet
Sie haben eingangs gesagt, Backen steht für Sie für Kontrolle. Inwiefern?
Das hat sehr persönliche Gründe, denn ich hatte lange Zeit mit mentalen Erkrankungen zu kämpfen. Ich habe vor einigen Jahren einen Burn-out erlitten, infolgedessen ich an Depressionen erkrankt bin. Heute habe ich die Depressionen weitestgehend im Griff, dennoch gehören sie zu meinem Leben dazu. Wenn ich also heute ein Brot backe, habe ich Kontrolle über den Teig in meinen Händen, was mir ein gutes Gefühl gibt.
Denke ich zurück an die Zeit, in der ich den Depressionen stark unterlegen war, hat mir Kontrolle in allen Bereichen meines Lebens gefehlt. Beim Backen konnte ich mir Stück für Stück diese Kontrolle zurückholen. Aus diesem Grund habe ich auch eine so leidenschaftliche Beziehung zu Brot, weil mir das Backen in einer sehr schweren Zeit sehr viel gegeben hat.
Brotbacken hatte also gewissermaßen eine heilende Wirkung für Sie.
Absolut. Eine Therapie ist natürlich richtig und wichtig und erzielt am Ende vermutlich den wohl größten Effekt. Aber kurzfristig konnte ich mir beim Backen immer wieder ein Stück Kontrolle über mich und mein Leben zurückholen.
Wo stehen wir Ihrer Meinung nach im Jahr 2024, wenn es um den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit mentalen Erkrankungen geht?
Wir sind mit Sicherheit deutlich weiter als noch vor zehn Jahren. Dennoch sind wir bei Weitem nicht da, wo wir sein müssten. Ich begrüße es sehr, dass immer mehr Menschen, vor allem Männer, öffentlich über mentale Erkrankungen sprechen. Ich glaube, dass diese Offenheit vielen Menschen Mut macht. Trotzdem gibt es meiner Meinung nach sowohl im gesellschaftlichen Kontext als auch im Kontext der Gesundheitsversorgung noch jede Menge zu tun.
Dass Menschen in Deutschland teilweise ein Jahr oder länger auf einen Therapieplatz warten müssen, ist katastrophal und untragbar. Dieser Missstand führt am Ende zu einer Arm-Reich-Schere, indem Betroffene mit finanziellen Ressourcen eine Therapie privat bezahlen können, während andere Menschen diese Möglichkeit nicht haben.
Warum fällt es noch immer vor allem Männern schwer, offen über mentale Erkrankungen zu sprechen?
Aus meiner Sicht sprechen wir hier von einem patriarchalen Problem. Die patriarchale Idee fordert einen starken Mann, der keine Schwächen zeigt und sich seine Probleme und Sorgen nicht anmerken lässt. Das ist meiner Meinung nach der Grund, weswegen auch wir Männer so dringend Feminismus brauchen. Denn der Feminismus setzt sich dafür ein, traditionelle Rollenbilder aufzubrechen. In der Folge profitieren wir Männer eben auch vom Feminismus – doch das verstehen sehr viele Männer leider nicht.
Welche positive wie negative Rolle spielen die sozialen Medien in diesem Zusammenhang?
Soziale Medien können empowernd wirken. Sie können Menschen ermutigen, sich Hilfe zu suchen und im Umgang mit Betroffenen sensibilisieren. Das sind definitiv positive Aspekte. Doch es gibt leider auch negative Effekte, unter denen ich persönlich in der Hochphase meiner Erkrankung sehr gelitten habe.
Für Betroffene finden sich auf Social Media leicht zugängliche und niedrigschwellige Lösungsansätze. Das ist gut, nichtsdestotrotz sind diese Ansätze in der Regel stark verkürzt. Ich für meinen Teil kam als Betroffener damals häufig an den Punkt, mich mit anderen Betroffenen und ihrem Genesungsweg zu vergleichen, was in meinem Fall zu einer Verschlimmerung meines Zustandes geführt hat. Denn die Inhalte, die ich konsumiert habe, haben meinen Selbstanspruch auf eine unrealistische Ebene gehoben.
Anfang 2024 sind Sie und Ihre Familie nach Mallorca ausgewandert. Worin liegt für Sie die Faszination der Insel?
Mallorca ist eine traumhaft schöne und wahnsinnig vielfältige Insel. Sie bietet den Malediven ähnliche Sandstrände, beeindruckende Felsbuchten und Klippen, Naturschutzgebiete und Wälder. Es gibt also von allem ein bisschen und es ist nur nachvollziehbar, dass Mallorca so beliebt ist. Hinzu kommt die Infrastruktur: Allein das Angebot an internationalen Schulen, Krankenhäusern oder mehrsprachigen Arztpraxen macht es einer ankommenden Familie, die zwar Spanisch lernt, es aber noch nicht fließend spricht, sehr angenehm. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die gute Fluganbindung nach Deutschland, die es ermöglicht, dass sowohl Sarah (Sarah Kim Gries, Jo Semolas Ehefrau; Anm. d. Red.) als auch ich weiterhin berufliche Termine in Deutschland wahrnehmen können.
Jo Semola: Auswandern ist mehr, als bloß den Speditionstransporter ein- und wieder auszuladen
Sie haben sich anfangs ein Ziel von einem halben Jahr auf Mallorca gesetzt, ehe dann die Entscheidung gefällt wurde, die Zelte in Deutschland endgültig abzubrechen. Fiel Ihnen diese Entscheidung leicht?
Ich glaube, Sarah und mir war vor dem Umzug nach Mallorca schon klar, dass wir bleiben möchten, und nach rund zwei Monaten haben wir dann final entschieden, zu bleiben. Der Testballon war vor allem für unsere Kinder gedacht: Wären die Kleinen komplett unglücklich gewesen, wären wir nicht nach Mallorca gezogen. Das Wohlergehen der beiden geht immer über unsere eigenen Wünsche. Aber glücklicherweise lieben die beiden Kleinen das Leben auf Mallorca genauso sehr wie wir, sodass wir alle bleiben dürfen (lacht).
Das Leben vom Auswandern wird oft sehr romantisiert. Hand aufs Herz: Ist Auswandern wirklich so easy, wie es häufig dargestellt wird?
Es gibt schon viele Stolpersteine. Man sollte sich der Tatsache bewusst sein, dass Auswandern mit deutlich mehr Aufwand verbunden ist, als lediglich den Speditionstransporter ein- und wieder auszuladen. Allein der Aufbau eines komplett neuen sozialen Umfelds ist anstrengend. Sich erneut einen engen Freundeskreis aufzubauen, erfordert Arbeit. Hinzu kommen die bürokratischen Fallstricke, die ebenso Arbeit bedeuten und deutlich mehr Zeit in Anspruch genommen haben, als ich anfangs erwartet hätte.
Welchen erprobten Auswanderertipp geben Sie also allen, die ebenfalls ins Ausland ziehen wollen?
Sollte das Ziel der Auswanderung Spanien sein, benötigt man eine sogenannte NIE-Nummer. Mein Tipp ist, diese Identifikationsnummer so früh wie nur irgend möglich zu beantragen. Vor allem auf Mallorca sind die Beantragungsprozesse durch die Masse der Anträge stark beeinträchtigt.
Über den Gesprächspartner
- Jo Semola ist Autor und Content-Creator. Als Back- bzw. Brotfluencer begeistert er Hunderttausende Menschen in den sozialen Medien mit Rezepten und Inspiration aus der Küche. Der gebürtige Süddeutsche und gelernte Veranstaltungstechniker ist verheiratet und lebt seit 2024 mit seiner Familie auf Mallorca.
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