Auf Instagram dreht sich alles um Selbstdarstellung und Anerkennung. Wer am besten aussieht, bekommt die meisten Likes. Dafür gibt es nicht nur Filter, sondern mittlerweile auch spezielle Produkte mit Sofort-schön-Effekt.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Anja Delastik dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Seit auf Facebook nur noch herumgenörgelt wird, zieht es immer mehr Leute zu Instagram. Die Jungen sind längst da, und langsam entdecken auch die Älteren die Plattform für sich. Dort, so scheint es, ist die Welt noch in Ordnung: Alle leben ihr bestes Leben, tragen die schicksten Klamotten, haben die blondesten Haare, die krassesten Muskeln, den knackigsten Bikinibody.

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Auf Instagram kann jeder sein, wie er will. Also ganz anders, viel besser und vor allem schöner als in Wirklichkeit. Ein geschickter Winkel, eine schmeichelhafte Pose, ein cooler Filter, dazu noch das Selfie-Ring-Licht, wie es Beauty-Blogger und die Kardashians benutzen – und prompt werden aus grauen Mäusen heiße Feger und tolle Hechte.

Alles fake? Egal!

Es ist wie bei dicken Angeber-Autos: Je doller "getuned", umso mehr Daumen hoch. Nicht umsonst heißt die Lieblings-Bildbearbeitungs-App aller Like-Süchtigen "Facetune". Damit wischt man, zack-zack, auf dem Handy die Nase kleiner, die Zähne weißer, den Teint ebenmäßig.

Dank Selfie-Wahn erlebte zuletzt auch "Contouring" einen Riesenhype, eine spezielle Schminktechnik, mit der man die Gesichtskonturen betonen und verändern kann. Danach kam "Strobing", hier sorgen Highlighter-Produkte für den perfekten Glow. Oder: "Balayage", eine Strähnchen-Färbetechnik, die selbst bei dünnem Haar Fülle, Struktur und Dreidimensionalität vortäuscht.

Vortäuschen, darum geht’s hier. Denn ganz echt ist das alles nicht und muss es auch nicht sein. Helle Punkte auf Nasenspitzen, Ränder um Münder, Striche am Nasenrücken, Schatten am Kinn? Wer Contouring schon mal bei Tageslicht auf der Straße gesehen hat, weiß: Nur weil etwas Selfie-tauglich ist, funktioniert es noch lange nicht im wahren Leben.

Mehr Schein als Sein

Für manche indes, ist die schöne, weichgespülte Insta-Welt längst so real geworden wie die reale Welt. Wer im echten Leben wenig Anerkennung erfährt, holt sie sich halt online. Ein süßes Selfie oder heißes Bikinifoto posten, ein paar Likes von Wildfremden abgreifen und schon ist die Welt wieder in Ordnung. Nicht wirklich. Denn irgendwo auf Instagram ist immer irgendwer schöner, erfolgreicher, beliebter.

Scheinbar. Denn in einer Welt, in der allein anhand von Bildern entschieden wird, ob jemand schön oder hässlich ist, erfolgreich oder erfolglos, einflussreich oder irrelevant, beliebt oder unbeliebt, ist Schein eben wichtiger als Sein.

Und einige beherrschen das brutale, aber langweilige Spiel schlicht besser als andere. Meist, indem sie den "perfekten" ästhetischen Einheitsbrei servieren, weil der die meisten Likes und Follower bringt. Für alle anderen gibt’s immer noch jede Menge "Wunderprodukte."

Schummel dich schön

Seit man auf der Plattform auch shoppen kann, spielt Instagram zwischen einzelnen Posts auch Werbung aus. Meistens für Produkte, die künstlich schön machen – natürlich mit Sofort-Effekt-Versprechen: Bauch-weg-Strumpfhosen, magnetischer Eyeliner, an dem Fake-Wimpern haften, Haarverdichter, Instant-Lifting-Cremes, künstliche Augenbrauen, Anti-Schlupflider-Pflaster...

Absurd, aber wahr: Diese Produkte sind fast ausnahmslos Verkaufsschlager, auch wenn sie außerhalb der schönen Scheinwelt weitestgehend unbekannt sind: Kennen Sie diese Dracula-Gebisse aus Plastik, mit denen zum Fasching jeder aussieht als hätte er einen Überbiss? So in etwa, nur ohne die spitzen Vampirzähne, muss man sich die angesagten "Snap-On-Veneers" vorstellen, Zahnverblendungen also, die ab circa 250 Euro ein perfektes Hollywood-Lächeln versprechen.

Mehr Likes, weniger Leben

Doch so leicht ist das nicht. Und auch dank unsichtbarer Schuheinlagen wird man(n) nicht automatisch zu Tom Cruise, obwohl der angeblich auch sowas trägt. Schlimm sind hier weniger die beworbenen Produkte, sondern vielmehr die Versprechen: mehr Männlichkeit, dank ein paar Zentimetern mehr Körpergröße. Wahlweise ein perfektes Lächeln, ein schlankerer Körper, weniger Falten, volleres Haar... Und damit: mehr Popularität, mehr Anerkennung, mehr Likes, mehr Selbstbewusstsein, mehr Lebensglück.

Neulich schickte mir eine Bekannte einen WELT-Artikel vom März 2015. Er trug den Titel "Instagram macht uns alle zu Psychopathen" Die Autorin schrieb schon damals, die Plattform "zerstört das Glück durch seine permanente Verbildlichung." Sie sollte Recht behalten. Glücklicher sind wir durch Instagram nicht geworden, auch wenn wir (noch) keine Psychopaten sind.

Dennoch ist mittlerweile hinlänglich bekannt, dass zu viel Instagram nicht nur bei angeknackstem Selbstwertgefühl dafür sorgt, dass wir unser Leben hassen. Selbst wenn unser Leben eigentlich ganz in Ordnung ist. Und da helfen auch kein Contouring, keine Magnetwimpern und keine Plastikzähne, sondern nur eines: hin und wieder ausloggen und das echte Leben liken.

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