Vor wenigen Monaten hat Samu Haber öffentlich gemacht, dass er wegen mentaler Probleme für mehrere Jahre in Therapie gewesen ist. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der frühere "Sunrise Avenue"-Frontmann darüber, wie es ihm heute geht – und verrät seine deutschen Lieblingswörter und was er an Deutschland am meisten liebt.
Samu Haber, "Me Free My Way" ist Ihr erstes englischsprachiges Album als Solokünstler, nachdem sich Sunrise Avenue aufgelöst hat. Was bedeutet das für Sie?
Ich bin wirklich froh, dass ich in meinem Herzen das Feuer für die Musik wiedergefunden habe. Ich werde es genießen, solange es geht.
Was erwartet die Fans auf dem Album? Was ist anders im Vergleich zu Sunrise Avenue?
Jedes Sunrise-Avenue-Album war verschieden. Am Anfang, in den alten Zeiten, um 2010 herum, war es ein bisschen rockiger, später ein bisschen weicher. Eigentlich ist mein Album gar nicht so anders. Die Songs sind so, wie ich sie schon immer geschrieben habe. Manche haben ein bisschen mehr Gitarre drin, andere mehr Violine oder Klavier. Es ist einfache Musik für einfache Menschen. Ich weiß: Für die, die mich von der Bühne oder aus dem Fernsehen bereits kennen, wird es keine große Überraschung sein. Ich bin immer noch ich. Aber ich denke, wir werden trotzdem zusammen Spaß haben. Ich hoffe es. Zumindest werde ich Spaß haben (lacht).
In Ihrem Song heißt es "It’s me free, I’m on my way". Wie definiert sich dieser freie Samu?
Es geht nicht nur um die Musik. Ich war immer frei und habe das an Musik gemacht, was immer ich wollte. Ich habe die Songs geschrieben und selbst Entscheidungen getroffen – auch mit Sunrise Avenue.
Aber das Loslassen von der Band, die zwei Jahre Pandemie und die Therapie, die ich in den letzten fünf Jahren gemacht habe: All die Dinge haben mir geholfen, mich ein bisschen besser zu verstehen – als Künstler und als Mensch. Zu verstehen, was ich will. Was ich in meinem Leben will – und was ich nicht in meinem Leben will. Ich denke, das ist Freiheit. Ich wünschte, jeder auf dieser Welt hätte diese Freiheit zu sagen, was er fühlt, und die Freiheit, er selbst zu sein – solange er niemandem wehtut und nett zu anderen Menschen ist. Ich mache jeden Tag kleine Schritte in Richtung meiner Freiheit und es fühlt sich gut an.
Samu Haber: In Therapie zu gehen "ist keine Schande"
Sie haben vor rund einem halben Jahr öffentlich gemacht, dass Sie fünf Jahre lang wegen mentaler Probleme zur Therapie gegangen sind. Wie geht es Ihnen heute mental?
Ich habe in Finnland viel Mental-Health-Work geleistet, war dieses Jahr zum Beispiel Teil einer öffentlichen Kampagne. Es ist sehr wichtig, darüber zu sprechen, weil sich so viele Menschen – in Deutschland und in Finnland – dafür schämen, in Therapie zu gehen. Aber das ist keine Schande. Ich war für fünf, sechs Jahre in Therapie. Jetzt gehe ich da nur noch alle zwei Monaten hin. Ich hatte nie diese großen Themen, zum Beispiel meine Kindheit, aufzuarbeiten. Dennoch werde ich nie mit der Therapie fertig werden. Es wird nie so sein, dass man irgendwann ein Abschlussdiplom von einem Arzt bekommt (lacht). Aber ich finde, dass das Leben ein bisschen einfacher ist, wenn man sich nicht um bestimmte Emotionen kümmern und sich für etwas schämen muss. Ich bin sehr froh, dass ich mir diese Zeit gegeben habe, um mich besser zu kennenlernen.
Sie gehen noch regelmäßig zur Therapie. Gibt es noch andere Dinge, die Ihnen helfen, wenn Sie sich mental nicht gut fühlen?
Was mir wirklich wichtig ist, ist Sport. Ich mache sechsmal pro Woche Sport, wenn ich kann. Egal was es ist: Es kann Tennis, Golf oder Boxen sein. Bewegung hilft. Ich mache gerne Martial-Arts – und Yoga. Das geht selbst im kleinsten Fitnessstudio. Aber mein Lieblingssport ist definitiv Taekwondo und das brasilianische Jiu-Jitsu. Ich liebe das! Ich mache das fast jeden Tag.
Und manchmal hilft es, einen Moment innezuhalten und auf sich selbst zu hören. Zum Beispiel hat mein Manager mir neulich eine Nachricht geschickt, dass am selben Tag ein Justin-Timberlake-Konzert in der Stadt ist. Der alte Samu hätte sofort zugesagt. Aber ich habe ihm nur geantwortet, dass ich noch darüber nachdenke und gucke, wie ich mich in ein paar Stunden nach den ganzen Interviews fühle. Vielleicht ist mir später eher nach Fahrradfahren und frische Luft schnappen.
Samu Haber: "Mir fiel es schwer, Leuten Grenzen zu setzen"
Was ist oder war die schwierigste Sache, an der Sie an sich selbst arbeiten mussten?
Das Schwierigste war, zu verstehen und zu akzeptieren, was ich wirklich will – und aufzuhören, Leuten gefallen zu wollen. Als Künstler hat man viele Leute, denen man die ganze Zeit gefallen muss: die Band, das Musik-Label, das Management, Agenten, Verleger und das Publikum.
Aber auch in meinem privaten Umfeld gibt es solche Leute. Ich weiß zum Beispiel, dass meine Mutter gerne mehr Zeit mit mir verbringen würde (lacht). Ich liebe sie sehr. Sie hat mir so ein schönes Leben ermöglicht. Sie hat mir gezeigt – besonders, als ich jung war –, was es bedeutet, jemanden zu lieben. Egal, ob er scheitert oder gewinnt.
Mir fiel es auch schwer, Leuten Grenzen zu setzen und zu sagen: 'Nein, das ist nicht gut für mich.' Zum Beispiel beim Thema Selfies mit Fans. Es war eine schwierige Entscheidung, keine mehr zu machen, weil ich Angst hatte, dass sonst niemand mehr zu meinen Konzerten kommen würde und dass die Leute denken könnten, dass ich ein Arschloch bin. Es war schlimm, weil ich es liebe, mit Fans zu sprechen. Es ist so schön, wenn sie nach Selfies fragen. Das ist wie ein Kompliment.
Aber manchmal werden die Leute sehr wütend. Da war zum Beispiel in Helsinki ein Vater mit seinem Sohn, der mich an meinem T-Shirt angefasst und nach einem Selfie gefragt hat, das ich dann abgelehnt habe. Ich verstehe das. Aber ich bin sehr glücklich, dass ich es nicht mehr tue: Die ständige Nachfrage bringt dich immer wieder dazu, dich die ganze Zeit umzuschauen und auf der Hut zu sein.
Was raten Sie jemandem, der sich mental nicht gut fühlt?
Vielleicht zwei Dinge. Erstens, es ist es in Ordnung, traurig und deprimiert zu sein. Manchmal sind wir alle traurig. Das ist das Leben. Manchmal ist es sonnig, manchmal regnet es. Wir müssen nicht immer glücklich und cool sein. Ich bin auch manchmal sehr traurig und emotional. Und eigentlich ist das sehr schön. Es ist in Ordnung, man muss sich nicht dafür schämen. Es gibt nichts Schlechtes daran.
Und zweitens: Wenn es über eine längere Zeit andauert – viele Tage, Wochen oder sogar länger –, dann sollte man sich vielleicht damit beschäftigten und versuchen zu verstehen, woher es kommt. Vielleicht muss man etwas in seinem Leben verändern, zum Beispiel den Ort.
Aber man darf nicht vergessen: Da draußen gibt es Liebe. Irgendjemand wird dich unterstützen, irgendwie wirst du es da rausschaffen. Es gibt immer einen Ausweg. Also hab' keine Angst und schäme dich nicht.
Oft werden Personen, die zur Therapie gehen, noch stigmatisiert. Gibt es in Ihrer Wahrnehmung Unterschiede zwischen Finnland und Deutschland?
Ich denke, in beiden Ländern findet immer noch Stigmatisierung statt. Man zeigt sich von seiner schwachen Seite. Aber ich denke, dass es in beiden Ländern viel besser wird.
Von meinen Freunden habe ich gehört, dass es in Deutschland schwer ist, überhaupt einen Psychotherapeuten zu finden – und dann auch noch einen, bei dem man sich gut fühlt. Aber ich glaube, das ist überall auf der Welt so: Du brauchst jemanden Professionelles, der deine Gefühle versteht und zu dem du eine emotionale Verbindung hast. Ich habe das selbst erlebt, ich erinnere mich noch gut an meine erste Therapiestunde.
Es ist schwer, einen Therapeuten zu finden, bei dem du mutig genug sein und dich öffnen kannst. Das gehört zum ganzen Therapie-Prozess dazu. Du musst dafür kämpfen. Es wäre zu einfach, wenn man nur eine bundesweite Nummer wählen müsste.
Samu Haber verrät seine Lieblingswörter auf Deutsch
Zurück zu Ihrem Song "Me Free My Way". In dem dazugehörigen Video fahren Sie nach beziehungsweise durch Berlin. Welche Bedeutung hat diese Stadt für Sie?
Ich weiß nicht, wie viele Nächte ich schon in Berlin gewesen bin: vielleicht 500 oder 600? Wir drehen dort "The Voice of Germany". Für mich ist es die sechste Staffel, das allein macht schon 400 Nächte. Die Plattenfirma ist da, das ganze Show-Business. Ich liebe es dort. Allerdings wüsste ich nicht, ob ich dort jemals leben wollen würde, denn: Wenn ich für zwei Wochen in Berlin gewesen bin und dann wieder nach Helsinki zurückkehre, denke ich mir jedes Mal: 'Ah, Luft! Ich kann wieder durchatmen.' Dennoch liebe ich Berlin: die Geschichte der Stadt und das Gefühl der Gleichheit. Jeder wird akzeptiert. Berlin ist einfach cool.
Welche drei Dinge aus Deutschland vermissen Sie, wenn Sie wieder in Finnland sind?
Das Publikum bei einem Konzert. Die Deutschen sind in ihrer eigenen, besonderen Art und Weise das beste Publikum der Welt. Sie sind nicht nur cool, sondern auch sehr lustig und sehr emotional.
Und ich liebe hier die Autobahnen (lacht). Es ist der einzige Ort, wo man so schnell fahren darf. In Finnland ist es illegal. Wenn ich morgen [05. September, Anm. d. Red.] von Frankfurt nach Stuttgart fahre, werde ich mir vielleicht ein schnelles Auto mieten und wie ein Verrückter fahren.
Und ich mag diese Tage vollgepackt mit Interviews, Events und Auftritten. Ich mag es wirklich, hier in Deutschland zu sein. Viele Male habe ich darüber nachgedacht, was Festes in Köln zu haben. Meine ganze Karriere hat dort angefangen. Ich liebe auch die südlichen Bundesländer, wegen ihrer Seen und Nähe zu den Alpen. Und ich liebe den Osten, weil es so cool da ist. Zum Beispiel Leipzig: Da wohnen so viele Studenten. Ich kann da in eine Bar gehen und sagen, dass ich einer von Sunrise Avenue bin. Aber niemanden interessiert das wirklich. Das ist wie in Berlin. Und Hamburg ist wie Helsinki. Es riecht nach Zuhause, mit dem Meer und dem Wasser. Ich könnte hier leben. Aber natürlich wird mein Zuhause immer Helsinki bleiben, weil hier die Menschen sind, die mir am wichtigsten sind. Aber sag niemals nie. Vielleicht werde ich ja irgendwann ein richtiger Deutscher (lacht).
Und umgekehrt? Was vermissen Sie am meisten aus Finnland, wenn Sie in Deutschland sind?
Meine Freunde. Wenn ich am Sonntag [08. September, Anm. d. Red.] nach Hause fliege, werde ich wahrscheinlich mit ihnen schwimmen gehen oder einfach nur chillen. Wir machen, was wir immer machen.
Aber ich vermisse auch mein Zuhause, in meinem eigenen, sicheren Ort zu sein, mein eigenes Bett zu haben, meine Kaffeemaschine, Routinen, Workout-Buddys und Taekwondo-Freunde. Und natürlich das Meer. Ich könnte jeden Tag, wenn das Wetter gut wäre, mit meinem Boot rausgehen und frische Luft tanken. Allein oder mit einem Freund.
Haben Sie Lieblingswörter auf Deutsch?
Ich habe einige. Zum Beispiel Trockenbeerenauslese. Beerenauslese ist schon süß, aber Trockenbeerenauslese ist 'übersüß'.
Und ich liebe dieses Wort, das Yvonne Catterfeld ungefähr 50 Mal am Tag bei 'The Voice Of Germany' sagt. Ich kann es noch nicht mal richtig aussprechen. Es ist: 'tatsächlich'. Es ist mein Ziel, es dieses Jahr noch korrekt aussprechen zu können.
Und dann 'Autobahn-Scheißhaus'. Es ist das einzige in Deutschland, bei dem ich es nicht verstehe, warum man dafür zahlen muss. Es ist sehr schmutzig. Wenn ich irgendwann Deutscher werde – oder Politiker oder Bundeskanzler –, dann werde ich das ändern.
Samu Habers größte Rivalen bei "The Voice of Germany"
Im Herbst startet die neue Staffel von "The Voice of Germany". Die letzten Male haben Sie dafür extra Deutsch geübt. Gab es für dieses Jahr auch nochmal einen Crash-Kurs?
Ja, ich bin nach Mannheim zu meinem Lehrer gefahren. Er ist Lehrer an einer öffentlichen Schule und ein wirklich cooler Typ. Sein Name ist Dirk. Wir kennen uns schon seit zehn Jahren. Wir hatten nur einen Tag, aber aus irgendeinem Grund fiel es mir – obwohl ich ungefähr drei Jahre lang nicht mehr in der Sprache gesprochen habe – einfach.
Dennoch habe ich immer noch Schwierigkeiten, Deutsch zu verstehen, und bekomme bestimmt die Hälfte nicht mit, was
Warum? Wegen der anderen Coaches?
Die Chemie zwischen uns war sehr gut. Es waren zwar viele harte Kämpfe, aber immer in einem liebevollen Umfeld. Am Anfang hatten wir alle zusammen ein sehr langes Gespräch. Jeder von uns vier Coaches hat über seine Ängste, Hoffnungen und Träume sprechen können.
Welchen Coach sehen Sie als Ihren größten Rivalen an?
Ehrlich gesagt, geht es nicht um den Coach, sondern um die Talente. Aber wenn, dann sind es alle. Lass uns mit Mark beginnen. Er ist 'Mister Voice of Germany'. Er hat 450 Staffeln von "The Voice", "The Voice Kids", "The Voice Senior", "The Voice Ost-Berlin" und "The Voice Everything" gemacht. Dennoch wird er im Studio nicht gegen mich gewinnen können. Ich denke, er hat ein bisschen Angst vor mir (lacht).
Yvonne Catterfeld. Sie ist diese Staffel so gut! Ich weiß nicht, was sie gemacht hat, dass sie so gut ist. Sie ist die Chefin im Haus, eine echt coole und beeindruckende Frau. Sie hat diese Fähigkeit, die Talents anzuschauen und ihnen stets zu vermitteln: 'Mach dein Ding!' Sie ist sehr stark.
Kamrad genauso. Er ist neu, und bei der ersten Staffel macht man halt ein paar Fehler. Dennoch ist er wirklich gut, lustig, intelligent und liebenswert. Ich liebe es, neben ihm zu sitzen. Wir waren schon früher Freunde, weil er Sunrise Avenue unterstützt hat.
Sie sind alle sehr stark. Aber ich glaube an meine Chancen.
"Manchmal ist es sehr schwierig, sich zu erinnern, wer man ist"
Welchen Teil der Show mögen Sie am liebsten?
Die Blind Auditions. Es ist der Teil mit dem größten Spaß, weil wir dann gegeneinander kämpfen. Das ist das Coolste. Es tut förmlich weh, wenn jeder buzzert und wir uns alle verkaufen. Das ist so anstrengend. Aber wenn ein junges Talent zu mir sagt, dass es in mein Team will – nachdem ich meine ganzen Zirkus-Tricks ausgepackt habe, weil ich eigentlich sicher war, dass es zu Mark Forster oder Kamrad gehen wollte –, dann kickt das Dopamin [Glückshormon, Anm. d. Red.]. Es fühlt sich so gut an.
Was geben Sie den Talents mit auf den Weg?
Ich sage ihnen, dass sie sie selbst sein sollen. In dieser Show ist es manchmal sehr schwierig, sich zu erinnern, wer man ist. Es gibt viele Produzenten, Stylisten, Make-Up-Artisten und andere Leute, die ihnen sagen, was sie tun sollen. Mich eingeschlossen. Am Ende sage ich aber immer: "Das ist meine Meinung. Aber du bist der Boss deiner eigenen Karriere." Ich bin dazu da, die Talents zu unterstützen, nicht, um ihnen Anweisungen zu geben. Ich sage ihnen immer: "Euer größter Fan sitzt euch gegenüber auf dem Stuhl. Einen Fan habt ihr also immer da."
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