- Der Jazz-Trompeter Till Brönner hat zum zweiten Mal ein Weihnachtsalbum aufgenommen, mit dem er im Dezember auf Tournee geht.
- Im Interview spricht er über Ungewissheit bei der Konzertplanung, Lametta-Klischees, Abwanderung aus der Kulturbranche und warum "Till Christmas" ein sehr besinnliches Album geworden ist.
Herr
Till Brönner: Mich hat vor allem die Musik selbst in die Stimmung versetzt. Wobei ich auch schon etwas Erfahrung damit hatte, so ein Repertoire im Sommer zu spielen, das hatten wir bereits für mein erstes Weihnachtsalbum gemacht. Diesmal waren wir allerdings nur zu dritt, drei Musiker, die sich seit vielen Jahren kennen und sich sehr aufeinander konzentriert haben.
Till Brönner: "Damals haben wir ganz bewusst mit den Lametta- und Schneeflocken-Klischees gespielt"
Im Gegensatz zum "Christmas Album" von 2007 schlagen Sie deutlich ruhigere Töne an ...
Damals haben wir ganz bewusst mit den Lametta- und Schneeflocken-Klischees gespielt, was mir auch wichtig war, um diese besondere Zeit des Jahres wirklich zu feiern. Bei der neuen Aufnahme schwang jetzt der Gedanke mit: Kann man in der aktuellen Situation einfach ein Wohlfühlprodukt machen, oder gibt es nicht auch alternative Ansätze? Zumal Weihnachten ja generell nicht für alle Menschen die feierlichste Zeit des Jahres ist, für nicht wenige ist es sogar die schlimmste.
Es hätte nicht meiner persönlichen Gefühlslage entsprochen, in diesen Tagen sozusagen 'gute Miene zum bösen Spiel' zu machen. Deshalb ist dieses Album nun das besinnlichere geworden. Für uns Musiker hatte es auch etwas Erbauliches und therapeutisch Wertvolles, sich für die Aufnahmen ins Studio zurückzuziehen und der Corona-Realität mal für ein paar Tage zu entfliehen.
Ist ein Weihnachtsalbum für Sie als Musiker eigentlich mehr Pflicht oder Kür?
Pflicht ist es auf keinen Fall, sondern Kür in jederlei Hinsicht. Ich bin ein großer Fan von Konzeptalben und habe Freude daran, eine Idee oder ein Thema ein ganzes Album hindurch zu zelebrieren. Und während wir von amerikanischen Interpreten oft das weltliche Broadway-Weihnachten hören, haben wir bei "Till Christmas" auch an die europäische und christliche Tradition angeknüpft, etwa mit Johann Sebastian Bach oder einer Interpretation von "Maria durch ein Dornwald ging."
"Miles Davis hätte vermutlich auch ein sehr gutes Weihnachtsalbum gemacht"
Und doch gibt es Reihe von Jazz-Musikern wie zum Beispiel Duke Ellington, John Coltrane oder Miles Davis, die in ihrer Karriere nie ein Weihnachtsalbum aufgenommen haben ...
Richtig. Von jemand wie Coltrane hätte ich mir tatsächlich eines gewünscht und Miles Davis hätte vermutlich auch ein sehr gutes Weihnachtsalbum gemacht. Warum es nicht dazu gekommen ist, dafür wird jeder seine individuellen Gründe gehabt haben. Zum Glück gibt es genügend Gegenbeispiele, wie etwa Chet Baker, Kenny Burrell, Wynton Marsalis, Tony Bennett oder Harry Connick junior, die zum Teil mehrere Weihnachtsplatten aufgenommen haben und es dabei nie an Virtuosität und Authentizität haben mangeln lassen.
Ich selbst habe mir früher viel zu viel Gedanken darüber gemacht, ob ich in einem bestimmten Kontext eine gute Figur mache oder nicht. Am Ende kann ich darauf bauen, dass ich mit meinem Sound, den ich im Kopf habe, immer Till Brönner bleibe, unabhängig davon, ob der Kontext Weihnachten oder ein anderes Thema ist. Und wenn ich mir zum Beispiel die Weihnachtsalben von James Brown, Aretha Franklin oder Rod Stewart anhöre – das sind wunderbare Aufnahmen, ganz im Idiom des Künstlers.
Aber wie reagieren Sie, wenn es zu kitschig wird?
Ich habe keine Angst vor Kitsch. Ganz im Gegenteil, ich würde sagen, dass ich selbst auf früheren Alben die Grenzen von Kitsch schon ausgelotet habe.
Sind Sie der typische Weihnachtsmarkt-Gänger oder entziehen Sie sich lieber dem Trubel der Adventszeit?
Für mich ist Weihnachten vor allem in meiner Kindheit verwurzelt. Deshalb freut es mich heute als zweifacher Vater, wenn dieses Leuchten in den Kinderaugen sich wieder ankündigt. Da bleibt einfach die Zeit stehen und das zu erleben ist jeden Aufwand wert. Wobei für mich die Entspannung meistens erst am Heiligen Abend einsetzt, da ich als Musiker in der Adventszeit normalerweise dauerbeschäftigt bin.
"Von Normalität würde ich keinesfalls sprechen"
Die Kultur wurde von Corona schwer getroffen. Konnten Sie dennoch im zweiten Jahr der Pandemie wieder ein Stück weit zur Normalität zurückkehren?
Von Normalität würde ich keinesfalls sprechen, aber zumindest war 2021 für mich von mehr Hoffnung begleitet. Die Hoffnung, die alle Bühnenkünstler hatten, dass die Corona-Zeit vielleicht noch 2021 vorüber sein könnte. Wobei es mich letzten Endes nicht ganz so überrascht hat, dass es jetzt doch noch länger dauert.
In einer Videobotschaft haben Sie im Oktober 2020 auf den hohen Stellenwert der Kultur hingewiesen – und auf das Fehlen einer "ernstzunehmenden Gewerkschaft." Hat sich seitdem etwas verbessert, im Hinblick auf die Interessenvertretung?
Eine Vertretung der Künstler und der Musiker insbesondere gibt es noch nicht in dem Maße, wie es in dieser Krise eigentlich erforderlich wäre. Im Moment mehren sich die Hinweise, dass man sich gewerkschaftlich organisiert, das ist aber ein längerer Prozess, der vermutlich erst nach Corona Früchte tragen wird.
Gleichzeitig sehen wir im Moment eine Entwicklung, dass bei nicht wenigen Menschen eine Art Entwöhnung eingesetzt hat: Sie haben sich bequem zu Hause eingerichtet, mit Streaming-Anbieter und Lieferservice. Für die hat das Leben auch ohne Live-Konzerte kulturell funktioniert, das muss ich als Musiker zur Kenntnis nehmen.
Es heißt, dass bereits eine große Abwanderung aus der Kulturbranche in andere Berufe stattgefunden hat. Können Sie das aus Ihrem Umfeld bestätigen?
Ja. Bei der Planung meiner aktuellen Tournee hatten wir zum Teil nennenswerte Probleme, eine Crew wie vor der Pandemie zusammenzubekommen. Allerdings weiß man nicht nur, dass einige den Beruf gewechselt haben, sondern man weiß leider auch von Menschen, die es nicht mehr gibt, weil sie für sich keine Perspektive mehr gesehen haben. In dieser Branche gibt es Menschen, die seelisch sensibel sind, die das Gefühl hatten, in dieser Gesellschaft und von der Regierung nicht mehr gesehen und wahrgenommen zu werden und deswegen Existenzängste der besonderen Art hatten. Manche stecken das locker weg und schauen einfach mal, wie es weitergeht, andere verkraften das aber nicht. Solche Fälle sind mir leider bekannt.
"Für die Veranstaltungsbranche und die auftretenden Künstler war 2G die große Hoffnung"
Die meisten auftretenden Künstler haben die neuen 2G-Zugangsregeln umgehend akzeptiert. Wie war es bei Ihnen?
Für die Veranstaltungsbranche und die auftretenden Künstler war 2G die große Hoffnung, weil es dafür gesorgt hätte, dass man die tatsächliche Zuschauerkapazität ausschöpfen kann. In dem Moment rechnet sich eine Veranstaltung wieder, während bei reduzierter Kapazität viele Kulturstätten von Förderprogrammen und Subventionen abhängig sind. Dass eine Gruppe von Menschen dann nicht mehr kommen kann, ist aus wirtschaftlicher Sicht offenbar eine verschmerzbare Erwägung gewesen.
… was aber auch Kritik hervorruft, wenn Kultur nicht mehr allen Menschen zugänglich ist.
Das geht auch an uns Künstlern nicht vorbei. Und als offene, sehr liberale Sparte, die der Jazz nun einmal ist, sind wir natürlich nicht für Ausgrenzung, im Gegenteil: Das ist nicht das, was ich inhaltlich befürworte. Hier geht es aber um etwas Anderes, nämlich um gesundheitliche Gefährdung. Und in dem Fall können Musiker nicht einfach sagen, dass ihnen das egal ist. Schließlich bedroht es im Zweifelsfall jeden im Saal, egal ob er ein Instrument in der Hand hält oder zuhört.
"Nein, Resignation ist meine Sache nicht"
Zum neuen Album planen Sie eine Weihnachtstournee, von der man nicht mit Sicherheit sagen kann, ob alle Konzerte am Ende stattfinden können. Wie gehen Sie mit dieser Ungewissheit um? Auch mit Resignation?
Nein, Resignation ist meine Sache nicht. Sicher ist diese aktuelle Situation ungewöhnlich und ungelernt, es macht einen nervös und nachdenklich. Andererseits weiß ich ja, dass das, was ich mache, durchaus ein Beruf sein kann, vielmehr sogar sein können muss.
Allerdings hat uns die Pandemie gezeigt, dass das Modell des sogenannten "Soloselbstständigen" in der Politik noch immer nicht wirklich gelernt oder bekannt ist, weshalb es zum Teil bis heute keine richtigen Hilfsprogramme gibt, die dieses kulturelle Erfolgsmodell abdecken. Keine Firma der Welt kann zwei Jahre Pause machen, ohne in schwerste Schieflage zu geraten, das ist bei Künstlern nicht anders.
Vor kurzem wurden Sie im ZDF gefragt, wie die Pandemie klingt, woraufhin Sie als Antwort die Titelmelodie von "Der Pate" spielten ...
Das war nur eine spontane Reaktion, ohne besonderen Hintergedanken. Ich würde sagen, dass die Pandemie vor allem digital klingt, schließlich gab es lange Zeit keine Konzerte. Es ist kein Klangerlebnis, dass man über die Luft und über die Schwingungen im selben Raum miteinander teilt. Deshalb klingt die Pandemie nicht analog, nicht wie mit den eigenen Ohren gehört, sondern nur durch einen Kopfhörer übertragen. Es ist eine sehr zurückgezogene, individuelle und auch sehr einsame Art und Weise, Musik zu konsumieren.
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