Eine ereignisreiche Woche geht zu Ende. Sieben Tage voller Höhepunkte, gekrönt von der befreienden Erkenntnis, dass Richard David Precht in diesem Rückblick nicht auftauchen wird. Oder na ja, jetzt ja irgendwie schon. Aber für den Rest des Textes nicht mehr. Versprochen.
Alternativ gibt es einige Neueinsteiger in die Top Ten der Echauffierungs-Resterampe. Und ein Lehrstück über die – ich kann es leider nicht anders formulieren – grenzenlose Dummheit rechter Telegram-Junkies.
Aber mal der Reihe nach: In der vergangenen Nacht, so sieht es jedenfalls jetzt, am sehr frühen Montagmorgen, aus, ist der eher dem linken Spektrum zuzuordnende Luiz Inácio Lula da Silva zum neuen brasilianischen Präsidenten gewählt worden. Mit hauchdünnem Vorsprung konnte er sich gegen den rechtsextremen Amtsinhaber Jair Bolsonaro durchsetzen, obschon dieser am Wahltag noch tatkräftig Unterstützung von Turbodemokraten wie
Dabei hatte die Woche für die Totengräber des freiheitlichen Diskurses so gut begonnen. Nach langem Hin und Her, einigen aktienkurskorrigierenden PR-Manövern und der Aussicht auf eine krachende Niederlage vor Gericht hatte der einstige Silicon-Valley-Sunnyboy Elon Musk am Ende doch noch den für die Meinungsmache strategisch so wichtigen Kurznachrichtendienst Twitter gekauft.
Und in einer ersten Amtshandlung sämtliche hochrangige Mitarbeiter vor die Tür gesetzt, die bislang für die Sperrung von Nutzern verantwortlich waren, die gegen geltende Gesetze verstoßen.
Satirischer Wochenrückblick: Meinungsfreiheit à la Musk
Musk hatte, nachdem ihm mit der Erfolgsgeschichte von Tesla offenbar nicht mehr ausreichend Medienpräsenz zuteilwurde, reichweitenwirksam angekündigt, nach der Twitter-Übernahme endlich wieder echte Meinungsfreiheit einkehren zu lassen. Zum Beispiel mit der Reaktivierung des nach dem Sturm auf das Kapitol aufgrund des "Risikos zur weiteren Anstiftung zur Gewalt" dauerhaft gesperrten Kontos von Donald Trump.
Wie viel es mit Meinungsfreiheit zu tun hat, ausgerechnet jemanden zurückzuholen, der es in seiner nur vierjährigen Amtszeit auf mehr als 30.500 von der "Washington Post" dokumentierte Lügen und irreführende Behauptungen gebracht hat, wird das Geheimnis von Free-Speech-Papst
Die Akquisition des 280-Zeichen-Horts durch Trump-Fan Musk sorgte natürlich für Begeisterung beim selbstdenkenden "Jana aus Kassel"-Fanclub und der gesamten Rechtsausleger-Melange aus Corona-Verharmlosern, Putin-Fans und Attila-Hildmann-Jüngern. Die von staatlicher Zensur träumenden Freiheitskämpfer, die den verhassten linksgrünversifften Gegenmeinungen nur zu gerne den Mund verbieten würden, sahen sich nach Musks Einstieg bei Twitter dem Endsieg nahe. "Jetzt habt ihr hier nichts mehr zu melden", las man in tausendfachen mal mehr, mal weniger aggressiv formulierten Euphorie-Bekundungen, die ungefiltert und nach Gießkannenprinzip kübelweise über linke Twitternutzer ausgegossen wurden.
Es wurde gefeiert und gefeixt, denn unter diskursunfähigen Agenda-Bots war man sich sicher: Die Ankunft des Heilands bedeutet, man dürfe jetzt umgehend wieder nach Lust und Laune drohen, doxxen, beleidigen und rassistischen Müll verbreiten – und Elon Musk würde das als "Meinungsvielfalt" durchwinken.
Gut, dass auch Elon Musk ein Unternehmen immer noch den Gesetzgebungen des jeweiligen Landes unterwerfen muss, wurde dabei schnell vergessen. Aber Vertreter der Gattung "Ich weiß besser Bescheid als alle Wissenschaftler zusammen, weil ich lese täglich in einer Telegram-Gruppe, was der Mainstream uns so alles verheimlicht" neigen insgesamt zu tendenziell unterkomplexen Interpretationen von eigentlich recht klaren Sachverhalten.
Die Unendlichkeit der Dummheit
Ein aktuelles, persönliches und damit anekdotisches Beispiel: Als erste Gerüchte über Elon Musks Ansinnen, Twitter zu erwerben, auftauchten, kündigten einige prominente Accounts an, sich in diesem Fall umgehend von Twitter zu löschen. Als Persiflage darauf schrieb ich am 25. April: "Wenn Elon Musk wirklich Twitter kauft, lösche ich meinen Account. Also, meinen PlayStation-Account." Als besagter Kauf nun Realität wurde, schrieb ich diese Woche: "Es ist schmerzhaft, aber ich stehe natürlich zu meinem Wort. #ByeBye” – natürlich mit eingebettetem Hinweis auf die Referenz, nämlich meinen Tweet aus dem April.
Im Prinzip bestehen selbst beide Tweets zusammengenommen lediglich aus drei recht kurzen Sätzen mit insgesamt 24 Wörtern, darunter kaum Fremdwörter. Jeder Drittklässler erkennt den Sinn der Sätze: Wenn Elon Musk Twitter kauft, lösche ich meinen PlayStation-Account.
Nun ist es kein sonderliches Geheimnis, dass unter Querdenkern und Rechtsbubble-Reitern der Apokalypse Sorgfalt beim Faktencheck nicht unbedingt an allererster Stelle steht. Mehr als 400 Reaktionen auf meinen Tweet, die mir mal mehr, mal etwas weniger beleidigend vorwarfen, warum ich meinen Twitter-Account nicht schon längst wie angekündigt gelöscht hätte, waren dann aber dennoch auch für mich überraschend. Und ich bin Reaktionen knapp über intellektuellem Brechdurchfall nun wirklich gewohnt.
Das Land der Dichter und Querdenker
Was war also geschehen? Können "Welt"-Abonnenten und Sahra-Wagenkencht-Fans wirklich nicht bis drei zählen? Kennen sie den Unterschied zwischen PlayStation und Twitter nicht? Lesen sie nur noch – wenn überhaupt – Überschriften, glauben aber dennoch, sie hätten den einzig wahren Durchblick in jede erdenkliche Materie? Oder lassen sie sich einfach durch orchestrierte Manipulation per Aufruf in Telegram-Gruppen als strunzdummes Kanonenfutter verheizen, das ungeprüft jede Aufgabe stolz erledigt, ohne auch nur drei Sekunden über den Inhalt nachzudenken oder ihn wenigstens kurz zu prüfen?
Und wenn es so ist: Warum macht man sich freiwillig zum Gespött einer ganzen Nation, obwohl es (in diesem Beispiel) lediglich zwei Sekunden Aufmerksamkeit gebraucht hätte, um die Vokabeln PlayStation, Account, Musk und Löschen in einen erkenntnisbringenden Kontext zu setzen?
Ich saß mal in einer Programmkonferenz bei einem großen Privatsender. Der Senderchef philosophierte darüber, dass die neuen Formatideen so genial wie einfach sein müssten, damit selbst der durchschnittlich eher dumme, träge und arme Zuschauer alles mühelos begreifen könne. Ich bekam damals ein recht plakatives Bild davon, wie Privatsender ihre Klientel einschätzen. Ähnlich sieht es die AfD bei ihren Wählern. Der mit Abstand imposantesten GAD ("Größten anzunehmenden Dummheit"), die ich im Zusammenhang mit meinem PlayStation-Account erleben durfte, kann aber selbst das nicht das Wasser reichen.
Stichwort GAD: False-Balance-Koryphäe Ulrike Guerot hat ein neues Buch vorgelegt, in dem sie behauptet, die Ukraine hätte den Krieg gegen Russland begonnen (ja: BEGONNEN) – und das stellvertretend für die USA und den Westen.
Das kann man nun geschichtsleugnend nennen oder einfach Putin-Propaganda. Anders als Troll-Bots mit intellektuellem PlayStation-Dilemma wird sie aber nicht im Strudel der Bedeutungslosigkeit verpuffen, sondern mit dieser abstrusen, na ja, Meinung, vermutlich wieder die Talkshows von Lanz bis Will fluten und davon berichten, wie der friedliebende
Dass dieses Narrativ gleichzeitig bedeuten würde, dass in vier der vergangenen sechs Jahre ausgerechnet Donald Trump als US-Präsident maßgeblich an der Planung dieses "Stellvertreterkrieges" involviert gewesen sein müsste, scheint in der verkremelten Welt der Ulrike Guerot keine Rolle zu spielen. Ob sie es mit dieser "USA hat die Ukraine angestiftet, einen Krieg gegen Russland zu beginnen"-Tour 2022 diese Woche wirklich in alle Talkshows schafft, davon berichte ich nächste Woche. Bis dann!
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