Es hätte die Love-Story des Jahres werden können. Eine Traumhochzeit, wie sie Linda de Mol seinerzeit nicht mal dann so glamourös und medienspektakulär hinbekommen hätte, wenn versehentlich Meghan Markle und Prinz Harry in ihr TV-Vermählungsstudio reingestolpert wären.
Kürzlich gaben sich Europas bekannteste Chefreporterin Politik und ein junger, hoffnungsvoller Nachwuchspolitiker der FDP das Jawort. In der evangelischen Kirche St. Severin in Keitum, quasi der Westminster Abbey Deutschlands. Und die schon vor langer Zeit um die Mondänität eines eigenen Königshauses betrogene Nation, dürstend nach "Freizeit Revue"-tauglichem Royal-Potenzial, machte die Zeremonie zu einem Straßenfeger, wie man ihn seit dem WM-Finale 2014 nicht mehr erleben konnte.
Wer es trotz 9-Euro-Ticket nicht persönlich nach Sylt geschafft hatte, saugte unter dem Hashtag #LindnerHochzeit die Social-Media-Kanäle leer und wurde dabei unweigerlich Zeuge einer Festlichkeit, die gelegentlich an einen Werbespot für den Sportwagenhersteller Porsche erinnerte. Schon bei der Anreise der hochdekorierter Promi-Entourage wurde dem außenstehenden Zaungast klar: Hochzeitsgäste durften augenscheinlich nur im Porsche anreisen.
Gut, einige besonders enge Freunde der neuen alemannischen Kennedys bekamen eine Ausnahmegenehmigung. So reiste
Porsche Guevara
Der Weg war also geebnet. Die Chefreporter Honeymoon der einschlägigen Klatschblätter hatten ihre Notizblöcke gezückt, ihre Bleistifte gespitzt und ihre Paparazzi-Kontakte instruiert. Alles war vorbereitet für einen wochenlangen Boulevard-Krieg um die exklusivsten, emotionalsten, romantischten Bilder von Deutschlands erstem echten Powerpaar seit Stefan und Claudia Effenberg. Würden sie ihre Flitterwochen an der Amalfiküste verbringen, im altehrwürdigen Luxus eines leicht in die Jahre gekommenen Art-Deco-Grand-Hotels? Oder hipsterstyle am Megapool auf dem Dach eines New Yorker Szenehotels? Würde die junge Braut ihrem Neuehemann verliebt einige in Trüffelschokolade getauchte exotische Früchte in den Mundraum träufeln? Würde der liebestrunkene Gatte seiner Herzdame lasziv die Bikini-Oberteile zurechtzupfen?
Von all dem, und vielem mehr, träumte die patricia-riekelisierte Fachpresse schon, kaum dass die Ringe ausgetauscht waren. Doch was soll ich sagen? Der Hochzeitsgott ist offensichtlich wie der Fußballgott: Immer für einen unverhofften Arschlochmove gut. Statt romantischer Love-Story und knisternder Teleobjektiv-Erotik gab es für die Celebrity-Journaille eine Familienpackung Frust und für das junge Eheglück die ernüchternde Erkenntnis: So sehr man sich auch auf viele unvergessliche Momente des Liebesglücks freut, der Alltag hat immer das bessere Blatt auf der Hand.
Lasst Blume sprechen
In diesem Fall in Form von Oliver Blume. Der Floralapostel aus Bietigheim-Bissingen fungiert zurzeit noch als Vorstandsvorsitzender der Porsche AG, also quasi dem inoffiziellen Hauptsponsor der Sylt-Sause. Blume sandte den Neuvermählten überraschend ein recht ungewöhnliches Bouquet zum schönsten Tag ihres Lebens: Einen Leak seiner internen Aussagen über die Koalitionsverhandlungen zwischen den heutigen Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP. Blume soll in einem Anfall von entweder Größenwahn oder Transparenzwucht gesagt haben: "Der
Mit dem Wissen von heute zählt dieser Vorgang vermutlich zur Kategorie "Geschmäckle", auch wenn Blume, diverse PR-Berater, Pressestellen und Sprecher sich wechselseitig bemühten, den Vorgang als unglückliche Lausbubenprahlerei abzutun. Das Hochzeitsgeschenk von Blume zeigt zumindest eindeutig: Der Markt regelt so einiges, allerdings nicht alles. Die strahlende Hochzeits-Hausse am Umfragemarkt jedenfalls blieb für die FDP zunächst aus. Dabei sollten der junge, dynamische Finanzminister und sein hollywoodreif inszenierter Gang zum Altar den dramatischen Abwärtstrend der FDP-Zustimmungswerte. Leider wissen wir turboliberalen Lobbyvertreter nach diesem Sabotageakt aus dem Sportwagen-Hinterhalt jetzt: Das Licht am Ende des Tunnels ist manchmal nur Oliver Blume, der in einem schwarzen Porsche Targa mit Vollgas auf uns zurast.
Gassenhauer
Ernüchternd für Christian Lindner, denn das Internet vergisst nicht. Er wird sich jetzt erheblicher Kritik ausgesetzt sehen, sollte er eines Tages die Politikschuhe an den Nagel hängen und als Aufsichtsratsmitglied in die Chefetage der Porsche AG wechseln. 911er sind nämlich sexier als Hotellobbys.
Nicht erst bis zu seinem Vorruhestand auf tonnenweise Kritik warten muss dagegen der Christian Lindner der wissenschaftsallergischen Corona-Freiheitskämpfer: Andreas Gassen, der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Der fordert (mal wieder) das Ende aller Corona-Maßnahmen. Diese, naja, Meinung hatte er auch im September 2021 schon mal sehr medienwirksam platziert, einen sofortigen Freedom-Day gefordert und dafür eine premiumtour durch Deutschlands Talkshows und Titelseiten gewonnen. Kurz nach dieser Prophezeiung liefen übrigens die Intensivstationen voll und Deutschland schlitterte in einen Corona-Herbst, der die medizinische Versorgung des Landes streckenweise komplett überlastete. Viele Patienten mussten teilweise über viele hundert Kilometer transportiert werden, bevor sie einen freien Platz in einem Krankenhaus fanden. Mutmaßlich nicht lebenswichtige Operationen wurden reihenweise abgesagt.
Aus Fehlern kann man klug werden, sagt der Volksmund. Das vergisst man aber schon mal, wenn man mit wissenschaftlicher Präzision keine Auftritte bei BILD TV ergattern kann. So absurd es klingt: Andreas Gassen, der in seiner Funktion bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung übrigens weder fachlich qualifiziert ist, noch legitimiert, Ratschläge zur Pandemie von sich zu geben, ist es offenbar wichtiger, sein eigenes Gesicht wieder öfter in den Medien zu sehen, als vernunftbasiert Leben zu retten. Also verschweigt er sein eigentliches Jobprofil, das ihn ausschließlich dazu beruft, die Kassenärztliche Vereinigung zu verwalten. Stattdessen suggeriert Gassen, seine medizinischen Ratschläge wären keine abseitige Privatmeinung, sondern er spräche als Oberhaupt aller deutscher Kassenärzte und Kassenärztinnen.
Auf dem Kreuzzug für weitere Einladungen zu "Markus Lanz" wirkt er mit seinen erneuten Corona-Verharmlosungen wie der HSV der Pandemie-Kommentatoren. Dieses Jahr ist dann aber wirklich endlich mal Schluss mit Corona. Dieses Jahr steigen wir jetzt aber wirklich endlich auf. In diesem Sinne plädiert Gassen in einer Zeit, in der ohnehin bereits beinahe alle Corona-Maßnahmen zurückgenommen wurden, nun auch noch schlagzeilenbettelnd dafür, mit Corona infizierte Arbeitnehmer sollten trotz positivem Test weiter zur Arbeit gehen, solange sie keine Symptome zeigen.
Das ist ein bisschen so, wie Autofahrern zu raten, sie könnten ruhig ohne Sicherheitsgurt fahren und jede Geschwindigkeitsbegrenzung ignorieren, solange sie halt keinen Unfall verursachen. Der unstillbare Drang nach Aufmerksamkeit trägt bisweilen eigentümliche Blüten. Hin und wieder allerdings auch solche, die Menschenleben kosten können. Spätestens da sollten wir dann irgendwann vielleicht doch etwas genauer hinschauen. Machen Sie das ruhig mal diese Woche. Bis Montag!
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