- Am 19. April wird Bernd Stelter 60 Jahre alt – und arbeitet gerade an einem Buch über das Älterwerden.
- Für Spaß im Alter sei es wichtig, körperlich und geistig beweglich zu bleiben und nicht zu verbittern, rät der Sänger, Autor und Komiker im Interview.
- Außerdem spricht Stelter über neue Hobbys, fehlende Debattenkultur, sein Humorverständnis - und welchen Shitstorm er einst mit der Sendung "7 Tage 7 Köpfe" erlebte.
Herr
Bernd Stelter: Also, mir fehlt die Bühne tatsächlich sehr. Ich brauche den Kontakt zum Publikum, genieße den Applaus, ich bin schon wirklich eine Rampensau. Andererseits bestand meine Arbeit immer auch zur Hälfte aus dem Schreiben, egal ob es nun Lieder, Sketche oder Bücher waren. Und als die Auftritte alle abgesagt wurden, war ich froh, dass ich schreiben durfte. Mich an den Schreibtisch zu setzen und mir Sachen auszudenken, das ist im Moment mein berufliches Rückzugspotential.
Also keine große Umgewöhnung?
Doch, von jährlich 100 Bühnenauftritten herunter auf Null ist eine große Umstellung. Wenn man viel unterwegs ist, kommt man nach Hause, ist froh, den Partner zu sehen, man verwöhnt sich... – und wenn man anfängt, sich auf die Nerven zu gehen, muss man auch schon wieder los. Insofern war das jetzt eine Herausforderung, meine Frau und ich haben gemeinsam überlegt, wie wir das hinkriegen. Ein Beispiel: Anstatt, dass wir gemeinsam spazieren gehen, laufe ich jetzt allein, weil das bedeutet, dass meine Frau zuhause ihre Ruhe hat. Es ist wichtig, sich gegenseitig bestimmte Inseln zu lassen.
Sie haben dieses Jahr Ihren dritten Krimi "Mieses Spiel um schwarze Muscheln" veröffentlicht. Schreiben Sie jetzt bereits den nächsten?
Das wollte ich eigentlich, aber dann merkte ich, dass mich ein anderes Thema umtreibt, nämlich wie man sich beim Älterwerden den Spaß am Leben behält.
In Ihrem Programm "Hurra, Montag ist wieder Wochenende" gibt es ja den Satz "Älter werden macht glücklich"...
… und der stimmt. Allerdings nur, wenn man sich dafür bestimme Voraussetzungen schafft.
Erstens: Man muss körperlich beweglich bleiben, weshalb ich mich auch bemühe, jeden Tag 10.000 Schritte zu gehen. Wenn man einmal anfängt, gebückt durchs Leben zu gehen, wird es schwieriger.
Zweitens muss man geistig beweglich bleiben. Und da die Gesellschaft einem in diesem Alter ja nichts mehr aufträgt, muss man sich eben selbst neue Dinge suchen.
Zum Beispiel?
Ich habe vor drei Jahren begonnen, Niederländisch zu lernen, inzwischen kann ich mich dort prima mit den Leuten unterhalten. Außerdem finden die Niederländer das klasse, denn viele Gäste aus Deutschland stehen ja eher auf dem arroganten Standpunkt "wieso soll ich Niederländisch sprechen, die sprechen hier ja alle Deutsch."
Aktuell mache ich eine Ausbildung zum "Junior-Sommelier", ich werde jetzt also ein bisschen Weinfachmann, lerne Rebsorten kennen und bekomme am Ende der Ausbildung eine Urkunde. Und danach suche ich mir das nächste Hobby.
Was braucht es neben solchen Beschäftigungen noch, um im Alter Spaß zu haben?
Man darf nicht verbittern. Ich kenne viele ältere Menschen, die sehr verbittert sind. Da gab es eine Kränkung, Rachegefühle, man fühlt sich ungerecht behandelt... Wenn zum Beispiel ein 55-Jähriger, der eigentlich noch voll im Saft ist, vom Chef rausgeschmissen wird oder eine Frau, die alles für die Familie getan hat, von ihrem Mann verlassen wird für eine Jüngere – so etwas führt oft zur Verbitterung. Und im Moment denke ich viel darüber nach, wie sich das verhindern lässt, denn in Verbitterung älter zu werden, macht keinen Spaß.
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Sie selbst klingen heute nicht mehr so ernst wie noch auf Ihren ersten LPs in den 80er Jahren, wo Sie unter anderem über Militärdienst und Friedens-Demonstrationen gesungen haben...
Das hat sich in meiner Laufbahn permanent gewandelt. Mit 30, 40 war es ausgesprochen heiter, beim Karneval, mit Liedern wie "Ich hab drei Haare auf der Brust" und der Zeit bei "7 Tage 7 Köpfe", wo ich ganz klar Comedian war. Aber etwa seit meinem Programm "Mittendrin – Männer in den Wechseljahren", 2008/2009, finden Sie bei mir auch wieder ernste und nachdenkliche Sachen. Zum Beispiel das Stück "Random Act of Kindness".
Worum geht es da?
Zuerst einmal um den Hass in der Welt und die Shitstorms in Internetforen – und dann darum, wie man dem begegnen kann: mit kleinen Gesten und guten Taten im Alltag. Einfach mal im Café den Cappuccino für den Nachbarn mitbezahlen oder den Porsche-Fahrer, der an der roten Ampel wütend gestikuliert und schimpft, anlächeln und ihm die Vorfahrt geben.
Neulich musste ich zur Apotheke, ich hatte auch den Gutschein von Jens Spahn für die Masken dabei. Da habe ich zur Apothekerin gesagt: 'Ich kann mir die Masken selbst kaufen, wenn Sie bei einem Kunden den Eindruck haben, er könne sechs Masken gebrauchen, geben Sie ihm gerne meinen Gutschein'. Ich muss sagen: Mir ging es danach sehr gut.
Nun sind Masken und Corona zu Themen geworden, die leicht für Streit sorgen können...
Ja, das stimmt. Oder wenn man über die Impfungen oder Armin Laschet redet. Da kommt bei vielen Menschen eine Aggressivität und Boshaftigkeit hoch, die ich bedenklich finde. Es wird nicht mehr diskutiert, sondern nur noch geschimpft. Unsere Debattenkultur existiert nicht mehr, stattdessen sehe ich viele Leute, die es offenbar mit Genugtuung erfüllt, andere in die Pfanne zu hauen und niederzumachen.
Ich hatte ja letztes Jahr den Satz geschrieben "Karneval kann man nicht absagen, Karneval steht im Kalender." Daraufhin bin ich wüst beschimpft worden, ich wäre für den Tod von Tausenden Jecken verantwortlich und so weiter. Dabei hatte ich auch geschrieben "... natürlich können wir ihn nicht so feiern wie sonst". Doch diesen zweiten Satz haben viele schon gar nicht mehr gelesen, weil sie bereits ganz empört ihren Kommentar in die Tastatur hauen mussten. Social Media hat sicher viele Vorteile, aber manchmal ist es auch eine echt kranke Geschichte.
Worte von Komikern werden heute häufiger in die Waagschale geworfen. Beeinflusst Sie das? Sind Sie vorsichtiger geworden?
Nein, zumindest schränke ich mich nicht bewusst ein. Ob es unbewusst beim Schreiben geschieht, da bin ich mir nicht ganz sicher. Auf jeden Fall gibt es Themen, die mir so wichtig sind, dass ich es in Kauf nehmen würde, dass man mich dafür anfeindet. Wenn man 60 wird, darf man vor so etwas keine Angst haben.
Was wäre so ein Thema?
Die Sprache. Etwa wenn ich jetzt in Büchern lese, dass man für Menschen anderer Hautfarbe nicht mehr das Wort "Farbige" verwenden soll, sondern stattdessen "Schwarz" oder "Weiß", groß geschrieben, dann fehlt mir dafür das Verständnis. Was mache ich denn, wenn ich in einem Roman jemanden beschreiben will, der einen südländischen Teint hat? Wenn ich aus politischer Korrektheit Farbnuancen gar nicht mehr benennen darf, führt das zu Schwarz-Weiß-Denken, zu Schwarz-Weiß-Malerei. Solche Beschneidungen finde ich schrecklich.
Was halten Sie von gendergerechter Sprache? Diskutieren Sie darüber auch mal mit Ihrer Frau?
Ja, wir sprechen darüber zuhause, auch mit meiner Tochter. Sie ist Lehrerin und bei ihr ist die gendergerechte Sprache bereits in den Alltagsgebrauch übergegangen. Für sie ist das völlig normal – und mit ihr diskutiere ich gerne.
Hätte die Sprache Ihrer Tochter Platz in Ihren Krimis?
Nein. Sie sagte mir aber, ich müsste dann zumindest im Vorwort schreiben, dass ich gegen niemand etwas habe, dass ich alle Geschlechter akzeptiere, nur dass es sprachlich in meinem Krimi so nicht stattfindet.
Gut, das in einem Vorwort zu schreiben, würde mich nicht stören, aber ob es wirklich notwendig ist? Wenn ich schreibe, "am Deich waren Polizisten unterwegs", liest es sich doch besser als wenn ich schriebe "Polizist*innen".
Ich habe mir durchgelesen, was Disney vor kurzem in den Vorspann von "Peter Pan" (1953) hineingeschrieben hat, wie falsch, gemein und böse manche Darstellungen in dem Film wären – nur damit es alles politisch korrekt ist. Ich fand das ziemlich unglaublich.
Sie sind, im Vergleich zu manchen Kollegen, nicht für bösartige oder verletzende Witze bekannt. Wo verlaufen für Sie die roten Linien?
Mein Humor ist nicht tabulos. Ich mache keine Witze über Behinderte, keine schmierigen Witze über Sex, ich bin auch kein Chauvinist, weder in Richtung Frauen noch in Richtung anderer Nationalitäten. Ich bin Menschenfreund, Philanthrop – und das darf mein Humor auch enthalten.
Von 1997 bis 2005 waren Sie im Ensemble von "7 Tage 7 Köpfe" (RTL). Gab es damals auch schon entrüstete Zuschauerreaktionen, wie man sie heute manchmal erlebt?
Ja, zum Beispiel aus Bielefeld. Los ging es damit, dass die FAZ und die Frankfurter Rundschau etwa zeitgleich Artikel über die angebliche Spießigkeit von Bielefeld gebracht hatten. Das haben wir in der Sendung aufgegriffen und jede Menge Bielefeld-Witze gemacht. Oliver Welke etwa sagte: "Die Bielefelder freuen sich, wenn ein Tier überfahren wird, denn dadurch kommt wenigstens ein bisschen Farbe ins Spiel" – so auf diesem Niveau. Und dann ist die Gästebuchseite der Sendung explodiert. Ganz Bielefeld hat sich eingetragen, "Warum wir?", "Was fällt Ihnen ein!" – das war herrlich und so typisch. Nach zwei Tagen hatte sich das aber auch wieder gelegt.
Heute wäre das vermutlich anders gelaufen: Zwei Stunden nach der Sendung gäbe es die ersten Forderungen nach Rücktritt des Programmdirektors, am nächsten Tag hätten sich Politiker eingeschaltet und der Oberbürgermeister von Bielefeld hätte die Abschaltung des Senders gefordert.
2001 war Stefan Raab in der Show zu Gast und witzelte mit einer Blinden-Binde über den Fußballprofi Oliver Bierhoff, gefolgt von dem Nachsatz: "Mit der Armbinde gehe ich ins Kino, da bekomme ich Prozente." Glauben Sie, man könnte so einen Witz im Fernsehen heute noch machen?
Ganz sicher nicht.
Ist das in Ihren Augen gut oder schlecht?
Allgemein gesprochen, würde ich sagen: Wenn man nur noch politisch korrekt sein will, geht einem viel verloren, politische Korrektheit kann viel kaputt machen.
Was nun diesen konkreten Witz betrifft: Ich persönlich würde ihn nicht machen, andererseits finde ich nicht, dass sich Raab über Blinde lustig machte, sondern in erster Linie über den Mittelstürmer, der das Tor nicht trifft.
Eine Sendung wie "7 Tage 7 Köpfe" gibt es heute nicht mehr. Welche Humor-Formate gefallen Ihnen als Zuschauer im aktuellen Programm?
Eines meiner Lieblingsformate ist die "heute-show". Das ist großartiges Fernsehen mit tollen Geschichten – und Oliver Welke ist sich für nichts zu schade, der macht im Notfall einen richtig schlechten Witz, was auch mal sein muss.
Jan Böhmermanns Humor gefällt mir ebenfalls sehr gut, er setzt die Boshaftigkeit an der richtigen Stelle ein, macht es aber gleichzeitig mit einer gewissen Eleganz.
Als Sie im Februar in der Sendung "Kölner Treff" zu Gast waren, sagten Sie "Wenn eine Tür im Leben zufällt, wurde fast immer eine Weiche gestellt, in eine Richtung, die am Ende besser war." Welche Türen waren das in Ihrem Leben?
Diese Situation habe ich immer wieder erlebt, etwa nach dem Ende von "7 Tage 7 Köpfe" oder auch als das "NRW-Duell" (WDR) abgesetzt wurde: Das habe ich zehn Jahre lang moderiert, dann gab es die Sendung plötzlich nicht mehr und du fragst dich: Wie soll es jetzt weitergehen?
Aber dann öffnen sich Türen, die man vorher nicht gesehen hat. Das NRW-Duell hatte relativ oft meinen Terminkalender geblockt, weshalb ich mit meinem Bühnenprogramm in manche Theater einfach nicht mehr reinkam. Als dann die Sendung vorbei war, konnte ich viel besser und entspannter die Tourneen planen.
Auch in der Corona-Zeit stellen sich neue Weichen. Ohne diese Zwangsbeurlaubung hätte ich vermutlich nicht angefangen, über das Älterwerden zu schreiben. Und mir ist in den vergangenen Monaten klar geworden, dass ich zwar wieder zurück auf die Bühne will, aber nicht zurück in den Workaholic-Modus.
Zum Schluss: Ihre erste LP trug den Titel "Das darf uns doch nicht egal sein". Was sollte uns heute nicht egal sein?
Die zwischenmenschliche Beziehung. Es darf uns nicht egal sein, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen. Die Hass-Geschichten, die im Netz und draußen in so großem Ausmaß stattfinden, dürfen uns nicht egal sein. Wir haben heute eine Demokratie mit Freiheiten und Diskussionsmöglichkeiten, wie es sie bislang nur ganz selten auf der Welt gegeben hat. Es wäre sinnvoll, wenn wir uns bemühen, das alles zu erhalten und es nicht kaputt zu reden.
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