Nur wenige Tage nach seiner Entlassung aus der englischen Haft gab Boris Becker am Dienstagabend sein erstes Interview in Freiheit. Mit Steven Gätjen sprach Becker über die Momente vor Gericht, seinen Haftalltag, eine Todesdrohung, welche Prominenten ihn besuchen wollten und von wem er unverhofft Post erhielt.
Boris Becker. Eine Vita wie die seine ist beispiellos: jüngster und erster deutscher Wimbledon-Sieger, Olympiasieger, Weltranglistenerster, Tennis-Boom-Auslöser, vierfacher Vater, geschieden, Unternehmer, TV-Tennis-Experte, insolvent gegangen, Werbefigur, Pokerspieler, Trainer von Novak Đoković, und noch vieles mehr und dabei dauerpräsent in der Klatschpresse. Seit diesem Jahr kommt noch eine Station in seinem Lebenslauf dazu: Ex-Häftling.
Nur wenige Tage nach seiner Haftentlassung spricht
"Warst du unschuldig im Gefängnis, ja oder nein?", will
Boris Becker zu seiner Partnerin Lilian: "Du musst nicht auf mich warten"
Wäre er in allen Punkten schuldig gesprochen worden, wäre die Strafe deutlich höher ausgefallen, glaubt Becker und sagt: "Es ging wirklich fast um Leben und Tod." In den drei Wochen des Prozesses seien er und sein Anwaltsteam noch davon ausgegangen, dass er mit einer Bewährung davonkommt.
"Das Problem war, dass es in der britischen Justizgeschichte noch nie einen vergleichbaren Fall Becker gab", erklärt Becker. Daher sei das Strafmaß nicht absehbar gewesen. In den drei Wochen zwischen dem Schuldspruch und der Verkündung des Strafmaßes sei er jeden Tag in der Kirche gewesen und habe gebetet.
Weil er wusste, dass er nach einem entsprechenden Urteil gegebenenfalls direkt ins Gefängnis müsse, habe er sich bereits zuvor von seinen Engsten verabschiedet. Zu seiner Partnerin Lilian de Carvalho Monteiro, die ihn zum Interview nach München begleitet hat, habe er angesichts einer möglichen langen Haftstrafe und des Altersunterschieds gesagt: "Du musst nicht auf mich warten." Die habe ihm aber die Treue gehalten und gesagt, "Boris wir sind ein Team, du bist mein Partner." Dann seien sie ins Taxi zum Gericht gestiegen, hätten Beckers Sohn Noah abgeholt "und waren bereit für alles".
"Drinnen, das kann man sich nicht vorstellen", berichtet Becker von den ersten Stunden im Gefängnis Wandsworth. Das Gefängnis sei extrem groß, extrem schmutzig, extrem gefährlich. "Da gehts ums nackte Überleben." Man müsse auf sein Leben aufpassen, denn "die Wächter tun’s nicht". Was das genau bedeutet, schildert Becker dann in vielen Details. Vor dem Antritt habe er zwei große Ängste gehabt: Dass er in eine Doppelzelle kommt und vorm Duschen.
Boris Becker wird von Mithäftling mit dem Tod bedroht
Er sei dann aber in eine Einzelzelle gekommen, nicht aufgrund eines Promi-Bonus, sondern weil man ihn vor eventuellen Erpressungsversuchen der Mithäftlinge habe schützen wollen. In puncto Gefängnisduschen musste er sein Filmwissen korrigieren, denn diese seien durch Kabinen voneinander getrennt gewesen.
Trotzdem sei insbesondere die Anfangszeit sehr unangenehm gewesen. Denn beim Haftantritt wurde aus Boris Becker eine Nummer: A 2923 EV. Mit dieser Nummer sei er angesprochen worden und mit dieser Nummer habe er auch alles unterschreiben müssen. "Mich als Name gibts nicht mehr", so Becker.
Becker erzählt, wie seine kleine Zelle aussah und wie der Moment war, als sich zum ersten Mal die Zellentür hinter ihm schloss: "Der einsamste Moment, den ich in meinem Leben hatte." Wirklich viele Informationen, wie der Tagesablauf im Gefängnis funktioniert, habe er nicht bekommen.
Zu seinem Glück habe er drei Häftlinge, "starke Jungs", kennengelernt, die die Aufgabe gehabt hätten, ihm alles zu erklären. "Es war auch im Interesse des Gefängnisses, dass mir nichts passiert." Über die drei Häftlinge sagt Becker: "Die haben mein Leben gerettet."
In Wandsworth habe es nämlich einen Erpressungsversuch eines anderen Häftlings gegeben, erzählt Becker. Im späteren Gefängnis in Huntercombe habe es zudem eine Situation gegeben, in der Becker konkrete Angst um sein Leben gehabt habe. Ein Mit-Insasse habe ihn dort umbringen wollen.
Der konnte das gute Verhältnis Beckers zu seinem Zellennachbarn nicht verstehen und "wollte mir an die Wäsche und hat mir verbal alles erklärt, was er mit mir machen wird", erzählt Becker. Befreundete Mithäftlinge hätten ihn dann geschützt.
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Jürgen Klopp wollte Becker besuchen
Zurück in der Zelle habe der Zellennachbar Becker dann gesagt: "Keine Sorge, Bruder, der wird sich morgen bei dir entschuldigen." In der Tat habe sich der betroffene Häftling am nächsten Tag vor Becker auf den Boden geworfen, seine Hand geküsst und um Vergebung gebeten. "Ich habe den hochgenommen, umarmt …", beginnt Becker und muss an dieser Stelle kurz innehalten, eher er mit Kloß im Hals weiterspricht: "… und gesagt, dass ich großen Respekt vor ihm habe."
Die schöneren Momente waren, als er nach zehn Tagen in Haft die Chance bekommen habe, andere Häftlinge in Mathematik und Englisch zu unterrichten. Später habe er außerdem noch Philosophieunterricht gegeben. Die Besuche seiner Familie seien schön, aber auch beschämend gewesen. Freunde wie
Stattdessen habe er sehr viel Post bekommen, auch von prominenter Seite. "Michael Stich hat mir einen dreiseitigen Brief geschrieben", erklärt Becker über die Post seines ehemaligen großen Rivalen. "Drei Seiten, tolle Worte gefunden. Hätte ich so nicht erwartet", gesteht Becker, während ihm erneut ein Kloß in den Hals rutscht. Auch andere ehemalige Weggefährten wie Patrik Kühnen, Eric Jelen oder Barbara Rittner hätten ihm längere Briefe geschrieben.
Boris Becker: "Vielleicht habe ich das gebraucht"
Becker erzählt, wie ihm Häftlinge drei Kuchen zu seinem Geburtstag gebacken hätten und wie er mit seiner Mutter telefoniert hat. Er spricht über das Insolvenzverfahren, seine Motivation als Tennisspieler und auch, wie er seine Rückkehr geheim gehalten hat. Statt nach München oder Frankfurt, wie es die meisten vermutet hätten, sei er im Privatjet, den ein Freund bezahlt habe, von England nach Stuttgart geflogen und dort weiter zu einem anderen Freund gefahren. Dort konnte er sich erst einmal sammeln und ein Bier trinken: "Das war das beste Bier in meinem Leben."
"Wo ist die Tennis-Legende falsch abgebogen?", wollte Steven Gätjen vor dem Interview im Gespräch mit Becker herausfinden, als gäbe es einen vorgefertigten Weg im Leben. Dass der Gefängnisaufenthalt keine falsche Abzweigung des Weges war, sondern der Weg selbst, sieht auch Boris Becker.
So hätten er und seine Familie gelernt, dass sie mehr Zeit miteinander verbringen müssen. Mit manchen Häftlingen habe er einen starken Zusammenhalt gespürt, den er auch beibehalten möchte: "Ich glaube, dass ich mit einigen Häftlingen ewig verbunden bleibe."
Die Zeit im Gefängnis, so Beckers Fazit, sei die schlimmste Zeit seines Lebens gewesen, "aber vielleicht habe ich das gebraucht". Er habe seine Fehler eingesehen und erkannt, dass er über die Jahre bequem geworden sei.
Nun habe er die Qualitäten an sich wiederentdeckt, die ihn als Tennisspieler ausgezeichnet hätten. "Ich glaube, dass ich eine zweite Chance dadurch bekommen habe", erklärt Becker und sagt: "Ich glaube, das Gefängnis war gut für mich."
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