Ihrem aktuellen Programm hat Helene Bockhorst einen Zusatz verpasst: "Stand Up Comedy & Tragedy". Der ist so etwas wie ein Beipackzettel: Wer es nicht erträgt, dass es auch mal ernst wird in der Show, darf gerne das Programm eines Kollegen besuchen.
Wie ernst darf Comedy sein? Komikerin
Im Interview mit unserer Redaktion erklärt die 36-Jährige, wie sie Depressionen aus der Tabuzone und auf die Bühne holt, wann Comedy für sie aufhört und warum ihr neuer Roman "Der Supergaul" kein typischer Pferderoman ist.
Frau Bockhorst, aktuell sind Sie mit Ihrem Soloprogramm "Nimm mich ernst" auf Tour. Sie bezeichnen die Show als "Stand Up Comedy & Tragedy" – was steckt hinter dem Zusatz "Tragedy"?
Helene Bockhorst: Dieser Zusatz kann gewissermaßen als kleine Warnung an Besucherinnen und Besucher verstanden werden, die bei meiner Show 90 Minuten nonstop Gags erwarten. Somit haben sie vorab die Möglichkeit, alternativ das Comedy-Programm eines Kollegen oder einer Kollegin zu besuchen.
Umgekehrt richtet sich der Zusatz aber genauso an jene, die bereit sind, sich auf etwas Neues einzulassen und alle Gefühle miteinander zu teilen – immerhin kann es sich hierbei auch um eine sehr verbindende Erfahrung handeln. Es geht darum zu vermitteln, dass ich auf der Bühne nicht nur Comedy mache, sondern auch sehr persönlich werde und über Probleme spreche, mit denen einige Menschen im Publikum sich möglicherweise identifizieren können.
Comedy darf Ihrer Meinung nach also auch ernst sein?
Absolut! Niemand ist nur lustig. Wir haben alle unsere Probleme und Ängste. Für mich hat es etwas Oberflächliches, ausschließlich Witze zu machen. Umso wichtiger und authentischer ist es meiner Meinung nach, auch mal ernst sein zu dürfen, weil ich mich auf diese Weise als ganzer Mensch zeigen kann.
Warum Kritik eine befreiende Wirkung haben kann
In diesem Rahmen holen Sie auch Depressionen aus der Tabuzone und auf Ihre Bühne. Wie groß ist der Spagat, dieses sensible Thema in einem Comedy-Programm stattfinden zu lassen?
Schon in meinen vorherigen Programmen hat das Thema Depression stattgefunden. Mir war es immer wichtig zu kommunizieren, dass die Erkrankung ein Teil von mir ist. Irgendwann hat es sich für mich aber falsch angefühlt, ausschließlich witzig über dieses Thema zu sprechen, weil ich Depressionen nicht kleiner und einfacher darstellen möchte, als sie sind. Vielmehr wollte ich Momente schaffen, in denen ich dem Publikum die Schwere, Traurigkeit und Ernsthaftigkeit von Depressionen zumuten kann.
Haben Sie schon einmal die Erfahrung gemacht, dass Menschen diese Herangehensweise nicht ertragen oder missverstehen?
Einigen Menschen ist die ernste Thematisierung mentaler Erkrankungen zu viel, keine Frage. In manchen Teilen der Gesellschaft herrscht eine toxische Kultur der Stärke, die ich bei solchen Reaktionen herausrieche. Häufig fallen hier Argumente wie "Uns geht es doch allen schlecht, aber darüber spricht man nicht".
Geht es nach diesen Menschen, haben Depressionen in einem Comedy-Programm nichts zu suchen. Ich persönlich lasse mich auf diese Form der Diskussion nicht ein. Für mich wäre es Gefühlsprostitution, diesen Teil von mir zurückzuhalten oder nur in ganz leicht verdaulichen Häppchen zu servieren.
Verletzt Sie diese Form der Kritik dennoch?
Natürlich ist es manchmal nicht leicht, zumal ich eine große Angst vor Ablehnung in mir trage. Gleichzeitig hat es aber auch etwas Befreiendes, wenn ich erkenne, dass Kritik nicht automatisch vernichtend ist. Früher habe ich Kritik immer mit Vernichtung gleichgesetzt, diese Angst konnte ich inzwischen aber sehr gut bekämpfen.
Ihre Comedy zeichnet aus, dass Sie sich nicht über andere Menschen lustig machen, sondern Ihre eigenen Unzulänglichkeiten in den Fokus rücken und sich so mit dem Publikum auf Augenhöhe stellen. Ist das das Geheimnis Ihres Erfolges?
Ich brauche diese Herangehensweise, um mich auf der Bühne gut zu fühlen. Ich würde mich unwohl damit fühlen, über andere Menschen zu sprechen und auf sie herabzuschauen. Da ich nicht wissen kann, wieso andere Menschen so handeln, wie sie handeln, kann ich nur auf meine eigene Perspektive blicken und sie thematisieren.
Manche Menschen im Publikum finden sich dann darin wieder oder fühlen sich ertappt, ohne dass ich sie konkret auf ihr Handeln oder Wesen hinweise. Ich wähle damit einen weniger konfrontativen Weg, mit dem sich das Publikum wohlfühlen soll.
An welcher Stelle hört Comedy für Sie auf?
Natürlich kann ich nicht verhindern, dass es immer Menschen geben wird, die sich durch manche Themen meines Programms möglicherweise angegriffen oder getroffen fühlen. Damit, dass punktuell so etwas passiert, muss ich leben.
Comedy hört für mich an der Stelle auf, an der ganz bewusst Dinge gesagt werden, die andere Menschen verletzen. Hier befinden wir uns schnell in der Debatte, dass man ja nichts mehr sagen dürfe. Meine Meinung dazu ist: Du darfst ganz viel sagen, du musst im Anschluss nur damit leben, dass andere wissen, was für ein Mensch du bist. Wenn keiner lacht und alle erschrocken sind und sich verletzt fühlen, war das Gesagte schlichtweg kein Witz.
Austeilen um des Austeilens willen ist meiner Meinung nach kein Humor. Vielmehr rate ich diesen Menschen, einen Blick in die eigene Seele zu werfen und zu schauen, warum eigentlich despektierlich über fremde Menschen gesprochen werden muss. So kann im Idealfall herausgefunden werden, warum es als komisch angesehen wird, unbedingt Witze über Minderheiten machen zu wollen.
Sie sind nicht nur Komikerin, sondern auch Autorin. Am 27. Juni ist Ihr neuer Roman "Der Supergaul" erschienen. Auf dem Titel steht der Zusatz "kein Pferderoman". Damit vergraulen Sie vermutlich Fans von "Wendy" und "Black Beauty". Wer sollte dieses Buch lesen?
Pferdemädchen mit Sinn für Humor und Selbstironie können mein Buch sehr gerne lesen, denn Pferde spielen in der Geschichte natürlich eine Rolle. Im Vergleich zu einem klassischen Pferderoman, der ja häufig sehr schematisch aufgebaut ist, geht es hier neben Pferden auch um universelle Themen sowie die Persönlichkeitsentwicklung der Hauptfigur.
Helene Bockhorst ist aktuell auf Lesereise mit ihrem Roman "Der Supergaul":
- Hamburg, 08.07.2024
- Stuttgart, 12.07.2024
- München, 16.07.2024
- Karlsruhe, 17.07.2024
- Lorsch, 12.09.2024
- Mannheim, 13.09.2024
- Köln, 25.09.2024
Sie haben den Begriff "Pferdemädchen" verwendet, der – je nach Kontext – häufig bestimmte Assoziationen mit sich trägt. Was ist denn für Sie ein Pferdemädchen?
Ich bin ein Pferdemädchen (lacht). Natürlich kenne ich aber auch das gängige Klischee eines Pferdemädchens, das auch mir immer wieder serviert wird: Demnach sind einem Pferdemädchen Pferde wichtiger als Menschen, man verbringt seine gesamte Freizeit nur im Stall und erzählt anderen Menschen ungefragt von seiner Liebe zu Pferden.
Steckt also auch eine Portion Helene Bockhorst in der Hauptfigur Ihres Romans, Berenice?
Ja, Berenice hat auf jeden Fall Eigenschaften von mir, gleichzeitig ist sie aber auch eine Art Heldinnenfigur. Ich wollte gerne eine Figur schreiben, die sich nicht immer richtig verhält, hier und da mal eine Regel bricht, dennoch gut durchs Leben kommt und sympathisch bleibt, weil es sich hierbei um eine persönliche große Sehnsucht meinerseits handelt.
Helene Bockhorst über die Sichtbarkeit von Frauen in der Comedy-Branche
Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Sichtbarkeit von Frauen in der Comedy-Branche?
Ich habe das Gefühl, dass eine positive Entwicklung stattfindet und sich auch immer mehr Frauen für Comedy interessieren und Comedy machen wollen. Die Line-ups, vor allem im TV-Bereich, sind aber weiterhin männlich dominiert. Pro Folge einer TV-Aufzeichnung ist häufig nur eine Frau auf der Bühne zu sehen.
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Gibt es denn tatsächlich mehr männliche Comedians als weibliche?
Ich denke, es gibt aktuell noch mehr Männer, die Comedy machen und vor allem mehr Männer, die in der TV-Branche etabliert sind. Dennoch beobachte ich eine starke Welle neuer Komikerinnen, die sichtbar ist. Wenn ich etwa auf Open Mics bin, empfinde ich die Verteilung zwischen männlichen und weiblichen Comedians als sehr ausgeglichen.
Insofern braucht es vermutlich nur noch ein wenig Zeit, bis dieses Bewusstsein auch in den TV-Redaktionen angekommen ist. Umso mehr lege ich es den Verantwortlichen ans Herz, sich öfter bei Open Mics umzuschauen, um auf neue Talente aufmerksam zu werden.
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