Seit 2015 ermittelt Schauspieler Mark Waschke als "Tatort"-Kommissar Robert Karow in Berlin. In der Justizkrimi-Reihe "Ein Fall für Conti – Spieler" (zu sehen am 26.10. um 20.15 im ZDF) spielt der 52-Jährige einen mysteriösen Betrüger.

Ein Interview

Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht der Schauspieler über Moral und Manipulation – und verrät, dass es bezüglich der sexuellen Orientierung seiner "Tatort"-Rolle Robert Karow "noch einiges zu sehen geben wird".

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Herr Waschke, in dem Film "Ein Fall für Conti – Spieler" sind eigentlich Désirée Nosbusch und Malaya Stern Takeda die Protagonistinnen. Doch Sie eröffnen die zweite Folge der Justizkrimi-Reihe. Warum ist Ihre "mysteriöse" Rolle, die Sie ausfüllen, so bedeutsam?

Mark Waschke: Dieser Frank Stolpe, den ich spiele, ist auf den ersten Blick "ein ganz normaler Familienvater", der nur das Beste für seine Liebsten will. Er hat ein gutes Verhältnis zu seiner Frau und zu seiner Tochter, man sieht ihn liebend und sorgend. Am Beispiel dieser Figur wird beleuchtet, dass es auch diejenigen, die wir selbst überhaupt nicht sein wollen, im Grunde genommen gut meinen. Das Bedrohliche, das Unheimliche ist also ganz nahe. Häufig wird mir die Frage gestellt, ob ich lieber den Guten oder den Bösen spiele. Dieses Schwarz-Weiß-Denken bringen wir ein bisschen in Erschütterung und kratzen damit an den großen archaischen Fragen: Was ist denn ein moralisch gutes Verhalten?

Wie würden Sie diese Frage beantworten?

Es würde den Rahmen sprengen, hier ins Detail zu gehen. Aber grundsätzlich ist es doch erstmal etwas Gutes, wenn ich alles für meine Familie tue, oder etwa nicht? Die Frage ist doch: Wo bin ich wer? Man verhält sich kontextabhängig immer unterschiedlich. Zu Hause bin ich zum Beispiel ein anderer Mensch als auf der Arbeit. Mit meiner Tochter rede ich anders als mit meinem besten Kumpel nach dem dritten Bier in der Kneipe. Ich finde es spannend, all diese großen Fragen in dieser "Conti"-Geschichte, in der zum Glück auch mal zwei Frauen im Vordergrund stehen, verpackt zu sehen. Anna Conti (gespielt von Désirée Nosbusch) und Henry Mahn (Malaya Stern Takeda) nehmen das Verhalten dieses von mir gespielten Mannes Frank Stolpe ordentlich auseinander.

"Das, was wir im Leben machen, ist Manipulation."

Mark Waschke

Sind wir hier beim Thema "toxische Männlichkeit"?

Mit diesem Begriff wird gerade häufig um sich geworfen. Damit verteilt man gerne Labels, um sich etwas vom Leib zu halten und zu sagen: Das Schlimme, das Böse oder das Toxische – das sind die anderen. Wenn man jedoch mit dem Finger auf jemand anderen zeigt, dann zeigen mindestens drei Finger auf einen selber. In dem Film zeigen wir, wie das Verhalten von Menschen miteinander verbunden ist.

Steckt in uns allen ein kleiner Frank Stolpe, der ja auch eine manipulierende Ader hat?

Ja, aber auch das würde ich gerne miteinander verbinden. Bis zu welchem Zeitpunkt hätte man noch verhindern können, dass jemand etwas Böses tut? Wie weit müsste man zurückgehen, um sagen zu können, dass diese Person noch richtig "gut" war? Es ist nicht möglich, das zu beantworten, weil es immer eine Mischung aus Genen und sozialem Einfluss ist. Alles hängt zusammen. Das Wort "Manipulation" ist grundsätzlich negativ konnotiert, weil man dahinter etwas Böses und eine Strategie vermutet. Letzten Endes manipulieren wir uns einander aber den ganzen Tag. Das, was wir im Leben machen, ist Manipulation. Per se ist das erstmal nichts Schlimmes, sondern menschlich. Jede Form von Verhandlung oder sogar von Liebesbekenntnissen ist ein Versuch der Manipulation.

Wie meinen Sie das?

Die Wenigsten, die den Satz "Ich liebe dich!" sagen, meinen das als selbstloses Bekenntnis. Dabei klingt immer die Frage "Du mich doch auch, oder?" mit. Indem wir ein Liebesbekenntnis aussprechen, suggerieren wir dem anderen Menschen, dass diese Liebe niemals enden soll. Lasst uns doch dazu stehen, dass wir uns alle verändern wollen. Lasst uns aber ebenso dazu stehen, dass auch die anderen wollen, dass wir uns verändern. Es ist wichtig, alles auf den Tisch zu legen – ohne Angst vor den Konsequenzen zu haben.

So erklärt Waschke den Unterschied zwischen der "Conti"- und der "Tatort"-Reihe

Ein Banküberfall, auch darum geht es in "Conti 2", führt in der Regel immer zu Konsequenzen. Ist das nicht mittlerweile ein aussterbendes Verbrechen?

Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu, wobei unsere Geschichte ein bisschen verworrener ist. Bei dem Verbrechen spielt zudem ein Schließfach eine Rolle – einschließlich dieses schönen, analogen, körperlichen Vorgangs, dass es zum Öffnen des Schließfachs zwei Angestellte eines Bankinstituts braucht. Der Moment, in dem man in den Raum geleitet und dann alleine zurückgelassen wird, hat schon etwas sehr Intimes. Was mir an dem Klassiker "Banküberfall" außerdem gefällt: Es geht zunächst nicht um traumatisierende Gewalt. Bertolt Brecht hat einmal gesagt: "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" Das Geld gehört im Endeffekt ja nicht den Bankinstituten, die aber wiederum so tun, als würde es ihnen gehören – dafür verlangen sie dann obendrein horrende Zinsen. Ohne jetzt gleich den Kommunismus ausrufen zu wollen, kann man das meines Erachtens ruhig mal hinterfragen.

Worin liegt für Sie der größte Unterschied zwischen der "Conti"- und der "Tatort"-Reihe? Seit 2015 spielen Sie den Berliner Hauptkommissar Robert Karow.

Bei "Conti" habe ich es nicht mit einem klassischen Krimiformat zu tun. Der Fokus liegt nicht auf Kommissarinnen und Kommissaren, sondern auf der Justiz. Beim "Tatort" kommt mir die unheimlich große Bedeutung der Staatsanwaltschaft manchmal zu kurz. Dabei leitet diese Behörde die Ermittlungen erst ein. Gibt die Staatsanwaltschaft ihren Segen nicht, können sich die Kommissare so viel ärgern, wie sie wollen: Sie dürfen an dem jeweiligen Fall dann nicht weiterarbeiten.

In "Conti" hatten Sie es mit zwei starken Frauen zu tun, im "Tatort" ebenfalls – bis 2022 mit Meret Becker (spielte die Nina Rubin), seit deren Ausstieg mit Corinna Harfouch (Susanne Bonard) …

Es gibt sogar "Tatort"-Teams mit zwei Ermittlerinnen, was übrigens absolut unrealistisch ist. Meines Wissens gibt es diese Konstellation in der Realität leider noch nicht. Aber es ist spannend zu sehen, wie so etwas erzählt wird. Da sind zwei Frauen und da ist ein Mann. Auflösung der Geschlechtergrenzen hin oder her: In solch einer Konstellation herrscht eine andere Atmosphäre. Bei "Conti" geht es in Nebensträngen auch um die Frage, wie sich Frauen in der Gesellschaft behaupten müssen – nur weil sie Frauen sind. Aber steht voranschreitendes Handeln zwangsläufig für männliches Verhalten, oder kann das auch Désirée Nosbusch alias Anna Conti ausstrahlen? Ich finde schon, dass sie das kann. Während sie nämlich fordernd und provozierend agiert, wirkt Frank Stolpe eher weich und herumeiernd. Diese Seite wird einem Mann zunächst gar nicht zugetraut.

"Es ist wirklich sehr schade, dass Meret gegangen ist, ich kann sie aber total verstehen, weil die Epoche für sie beendet war."

Mark Waschke über den "Tatort"-Abschied von Kollegin Meret Becker

Ist der nahtlose Übergang von Meret Becker zu Corinna Harfouch im Berliner "Tatort" aus Ihrer Sicht geglückt?

Der Übergang ist großartig gelungen – insbesondere mit Blick auf den jüngsten Fall "Am Tag der wandernden Seelen" (ausgestrahlt im vergangenen Mai; Anm. d. Red.), der in der vietnamesischen Community gespielt hat. Es wurden nicht die gängigen Klischees bedient, worüber die mitwirkenden Vietnamesinnen und Vietnamesen sehr froh waren. Endlich wurden sie mal nicht als die freundlich grinsenden Blumenverkäufer oder die bösen Verbrecher gezeigt, sondern mitten im Leben stehend. Seit Mitte Oktober drehen wir übrigens einen neuen "Tatort"-Film, bei dem erneut Mira Thiel Regie führt.

Zwischen Nina Rubin und Robert Karow hat sich zum Ende hin von Film zu Film eine gewisse Liebe entwickelt. Und dann erscheint auf einmal eine Susanne Bonard auf der Bildfläche, die ganz viel mitbringt, wofür Karow vor rund zehn Jahren noch gestanden hatte: eine Kaltschnäuzigkeit, eine Härte und einen großen analytischen Verstand. Mir gefällt, dass sich die beiden auf Augenhöhe begegnen, obwohl sie in der Hierarchie eigentlich über ihm steht. Jedenfalls haben wir uns nach der ersten Doppelfolge ("Nichts als die Wahrheit") im dritten gemeinsamen Film endgültig gefunden – und jetzt entfaltet sich die Zusammenarbeit weiter. Für mich ist es eine andere Art und Weise, Berlin zu erzählen. Es ist wirklich sehr schade, dass Meret gegangen ist, ich kann sie aber total verstehen, weil die Epoche für sie beendet war.

Meret Becker ist nur wenige Jahre älter als Sie, während zwischen Corinna Harfouch und Ihnen 18 Jahre liegen. Was bedeutet dieser Altersunterschied für Ihr Spiel?

Dass Susanne Bonard zum Beispiel nicht sofort hinterherkommt, wenn Robert Karow mal losrennt (lacht). Das Zusammenspiel mit Corinna klappt hervorragend. Ich komme ursprünglich aus dem Theater und liebe das körperliche Spiel und die stillen Szenen, in denen kein Wort fällt. Mir sind die kleinen, feinen Gesten sehr wichtig – zum Beispiel, wenn sich Bonard durch die Haare fährt und Karow ihr ein Taschentuch reicht, weil sie sich die Hände verschmiert hat.

Knüpfen Sie Ihre "Tatort"-Zukunft auch an die von Corinna Harfouch, die mit Verweis auf ihr Alter bereits angedeutet hat, nicht ewig die Kommissarin spielen zu wollen?

Als ich vor rund zehn Jahren angefangen habe, habe ich mir sehr genau überlegt, ob ich das machen möchte. Denn wenn man so eine Rolle übernimmt, dann ist man in Deutschland kein Schauspieler mehr, sondern nur noch der "Tatort"-Kommissar. Heute bin ich selber überrascht, wie reizvoll es ist, immer wieder in eine Figur hineinschlüpfen zu dürfen, die sich natürlich über die Jahre verändert. Das genieße ich sehr. Ich plane nicht zu weit voraus, sondern denke eher von Film zu Film. Den Druck, aufhören zu müssen, verspüre ich im Moment allerdings nicht.

Zu Beginn der Reihe sorgte eine Sexszene zwischen Karow und einem anderen Mann für Schlagzeilen. Hat diese Darstellung aus dem Jahr 2016 dazu beigetragen, dass queere Lebensweisen heute ein Stück weit selbstverständlicher in Filmen erzählt werden?

Das war in meinem dritten "Tatort" mit dem Titel "Wir – Ihr – Sie". Ein queerer Blogger hat damals sinngemäß geschrieben: Das Tolle ist nicht vor allem, dass der rbb diesen Ermittler erzählt, der im Film mit einem Mann Sex hat. Das Tolle ist, dass sie es einfach gemacht haben – ohne sich zu erklären. Dahingehend hat sich in den vergangenen Jahren eine Menge zum Positiven verändert. Überall in der Mitte – und eben nicht nur am Rand – der Gesellschaft gibt es queere Menschen. In der Gesellschaft, von der ich träume, braucht es überhaupt keine Begrifflichkeiten. Daher hoffe ich, dass wir uns aktuell in einer Übergangsphase befinden.

Wird die Geschichte um Robert Karows Sexualität weitererzählt?

Warum ist "queer" für diesen Übergang der richtige Begriff?

Während ich mich mit anderen Begrifflichkeiten immer schwergetan habe, empfinde ich "queer" als sehr befreiend. Oft schließen andere Begriffe nämlich irgendetwas aus. Bisexualität etwa steht letztendlich für "sowohl als auch" beziehungsweise für "entweder … oder". Dabei wird völlig außen vor gelassen, wie man sich selber fühlt. Oder nehmen wir die Pansexualität, die komplett unabhängig vom Geschlecht ist. Doch auch Robert Karow ist es nicht egal, ob er mit Susanne Bonard flirtet oder nach einer Ermittlung mit einem Tatverdächtigen im Darkroom verschwindet.

Müsste Robert Karows sexuelle Orientierung Ihrer Meinung nach weitererzählt werden?

Wir sind körperliche, animalische, sexuell aufgeladene Wesen. Ich frage mich weniger, ob wir das weitererzählen müssen, sondern warum das bisher so wenig anwesend war. In einer Gesellschaft, die auf der Konsumseite so übersexualisiert wird, zum Beispiel in der Werbung, wird Sexualität in Filmen nach wie vor höchstens in einer extremen Form erzählt. Jetzt dabei zuzuschauen und im "Tatort" daran mitzuwirken, wie die Grenzen aufgelöst werden, empfinde ich als eine große Befriedigung. Insofern kann ich versichern, dass es diesbezüglich von Robert Karow noch einiges zu sehen geben wird. Er ist ein körperlicher, sexuell suchender Mensch, der – wie wir alle – manchmal sehr befriedigt und manchmal sehr unbefriedigt ist.

Über den Gesprächspartner

  • Mark Waschke ist deutscher Theater- und Filmschauspieler, der seit 2015 als Hauptkommissar Robert Karow im Berliner "Tatort" zu sehen ist. Für seine schauspielerischen Leistungen wurde Waschke mit diversen Auszeichnungen prämiert, darunter 2009 mit dem Preis als bester Hauptdarsteller des Roma Fiction Fests sowie mit dem Bayerischen Filmpreis, 2012 mit dem Franz-Hofer-Preis und 2013 mit dem Deutschen Schauspielerpreis. Im Februar 2021 outete sich Waschke im Rahmen der Initiative #actout mit 184 anderen lesbischen, schwulen, bisexuellen, queeren, nicht binären und trans* Schauspielerinnen und Schauspielern.
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