- Am 3. Dezember wird Alice Schwarzer 80 Jahre alt. Anlässlich ihres Geburtstages widmet die ARD ihr einen zweiteiligen Film, der in den 1960er Jahren spielt und ihren Weg zur bekanntesten und streitbarsten Frauenrechtlerin Deutschlands zeigt.
- Gespielt wird Schwarzer in dem Biopic von Nina Gummich. Die 31-jährige Schauspielerin spricht im Interview mit unserer Redaktion darüber, wie sie sich darauf vorbereitet hat, Alice Schwarzer zu spielen.
- Der Zweiteiler "Alice" läuft am Mittwoch, 30. November 2022 ab 20:15 Uhr im Ersten und ist ab 23. November 2022 in der ARD-Mediathek abrufbar.
Frau Gummich, Sie haben auf Instagram ein Bild mit
Wenn man das Bild von Alice Schwarzer und Ihnen sieht, könnte es sich auch um ein Familienfoto handeln. Welche Rolle hat diese gewisse Ähnlichkeit beim Casting gespielt?
Das ist lustig, weil sowohl die Produktion wie auch Alice selbst gesagt haben, dass Frauen gecastet wurden, die ihr sehr viel ähnlicher waren. Wir empfinden uns gar nicht als äußerlich so ähnlich. Es ist zum einen die Perücke. Sie hatte eine Signature-Frisur, die nicht jede so getragen hat und die sehr gut nachgemacht wurde. Und ich habe sie auch extrem erforscht. Wie sie läuft, wie sie dasteht, wie sie guckt. Ich habe mich ein halbes Jahr in der Vorbereitung mit ihr beschäftigt und dann gleicht man sich vielleicht ein bisschen an. Und so entsteht diese Ähnlichkeit, die eigentlich gar nicht so vordergründig da ist.
Wie sah Ihre Vorbereitung auf diese Rolle aus?
Ich habe Dokumentationen und frühe Interviews mit ihr angeschaut, ich habe ihre Biografie und ihre Bücher gelesen, ihre Briefwechsel mit Freundinnen aus jungen Jahren. Ich habe mich richtig in ihr Leben reingearbeitet. Und wir haben uns natürlich auch getroffen, wobei ich ihr Fragen gestellt und sie beobachtet habe.
Sie haben gesagt, dass Sie zu einem stärkeren Menschen geworden sind, weil Sie Alice Schwarzer gespielt haben. Können Sie das erläutern?
Als ich mich auf die Rolle vorbereitet habe, habe ich geschaut, wo es Gemeinsamkeiten und wo es Unterschiede gibt. Und der größte Unterschied zwischen Alice Schwarzer und mir ist, dass sie unglaublich angstfrei ist. Anderen Menschen gegenüber, auch Vorgesetzten. Die Idee, dass ein Gespräch möglichst harmonisch ablaufen soll, gibt es für sie einfach nicht. Für mich hingegen schon. Als ich das in meiner Rolle einfach außen vor gelassen habe, habe ich eine große Freiheit gespürt. Das hat mich sehr inspiriert und dazu bewegt, noch viel mehr als vorher für meine innere Wahrheit einzustehen. Für mein Leben, für das, was ich für wichtig halte. Auch auf die Gefahr hin, Sympathiepunkte zu verlieren.
Alice Schwarzer ist mit ihren Meinungen oft angeeckt und hat trotz heftigem Gegenwind zu ihren Ansichten gestanden. Sie haben während der Corona-Pandemie wegen Ihrer Teilnahme an der Aktion #allesdichtmachen einen Shitstorm erlebt, sind aber bei Ihrer Meinung geblieben. Ist das etwas, dass sie beide verbindet?
Beim Casting habe ich daran gedacht, dass ich so etwas schon mal erlebt habe und es mich nicht umgehauen hat. Das ist keine unwichtige Erfahrung, um die Rolle der Alice Schwarzer zu spielen.
Alice Schwarzer ist eine Person, die oft ein wenig einschüchternd wirkt. Wie ist sie in Wirklichkeit?
Sie ist sehr humorvoll, sehr warmherzig, offen und sehr genussvoll. Sie hat einen sehr ironischen Tonfall. Als ich sie besucht habe, um den Film gemeinsam anzuschauen, wusste ich nicht, wie ich einparken soll. Sie hat dann gesagt: "Ach ja, die Schauspielerinnen. Dafür sind sie bekannt: Sie sind schön, aber ein bisschen dumm." Danach mussten wir beide total losprusten. Aber ich glaube, dass ein solcher Spruch auf viele Menschen einschüchternd wirken könnte. Diese Momente, in denen sie einschüchternd wirkt, sehe ich als Herausforderung, etwas genauso Starkes zu entgegnen. Ich liebe es, ihr auch mal zu widersprechen, eben weil sie ihre Meinung so stark vertritt.
Wie hat Alice Schwarzer reagiert, als Sie den Film gemeinsam geschaut haben?
Sie hat sich ihren Block zur Hand genommen, um Dinge zu notieren, die vielleicht falsch gelaufen sind (lacht). Ich habe sie dann gefragt, ob sie sich den Block genommen hat, damit sie die Distanz wahren und sich nicht zu sehr auf ihre eigene Geschichte einlassen muss. Das war auch wieder so ein Moment. Daraufhin hat sie den Block weggelegt und gelacht. Sie war vorher aufgeregt. Aber nach ein paar Minuten hat sie dann zu mir rübergeschaut und gesagt: "Nina, du bist verdammt nah an mir dran!" Da habe ich erst mal durchgeatmet. Beim zweiten Teil hat sie dann gesagt, dass sie das Gefühl habe, sich selbst zu sehen. Sie hat gelacht, geweint, sich erkannt. Mehr hätte ich mir nicht erhoffen können.
Wie biographisch ist der Film und was ist Fiktion?
Der große Teil des Films ist biographisch. Fiktional ist zum Beispiel die illegale Abtreibung von Alices Freundin Renate zu Beginn des Films. Die hat sich unser Autor Daniel Nocke ausgedacht, um die Zuschauerinnen und Zuschauer emotional mitzunehmen und Verständnis für ihren Weg als Frauenrechtlerin zu wecken. Ihre Kindheit und Jugend, in der für diesen Weg der Grundstein gelegt wird, ist im Film ja nicht zu sehen.
Der Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche ist ein zentrales Thema in dem Film. Angesichts der Entwicklungen in den USA ist das Thema auch 50, 60 Jahre später wieder sehr aktuell …
Ich weiß nicht, ob viele Menschen in den USA den Film sehen werden. Aber auch in Deutschland ist es wichtig, wieder Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu legen, um zu verhindern, dass es solche Rückschritte wie in den USA gibt.
Sehen Sie die Entwicklungen, für die Alice Schwarzer gekämpft hat, angesichts aktueller politischer Strömungen in Gefahr?
Gewisse Dinge sind immer in Gefahr. Es ist diese menschliche Pendelbewegung. Einen Schritt nach vorne, zwei zurück. Das scheint in jedem Bereich so zu sein. Irgendwie scheint es in der Geschichte der Menschheit immer große Einbrüche geben zu müssen, bevor ein richtiger Bewusstseinsschritt gemacht werden kann. Das ist eine Arbeit, die niemals aufhört. Alice hat ja auch angekündigt, dass sie damit niemals aufhören und ihren Mund bis zum letzten Atemzug nicht halten wird. Und ich glaube, das wird sie auch tun.
Alice Schwarzer hat einmal gesagt, dass viele Influencerinnen ein Frauenbild von vorgestern vermitteln würden. Ist der Film auch eine Chance, ihre Werte an die jüngere Generation zu vermitteln?
Ich hoffe es natürlich! Es ist immer gut, an den Ursprung zurückzugehen und zu schauen, wie etwas angefangen hat und was es bewegt hat. Für mich selbst war es überraschend, wo wir noch vor 50 oder 60 Jahren waren. Man kann es auch mit den aktuellen Diskussionen vergleichen. Sprechen wir über die Dinge, die wirklich etwas bewegen? Auch in den normalen Haushalten? Können sich wirklich Leute befreien, oder kratzen wir nur an Oberflächen rum? Der Film inspiriert sicher dazu, solche Dinge zu hinterfragen. Abgesehen von der Person Alice Schwarzer ist es ein Film über eine junge Frau, die zu ihrer Wahrheit steht. Die sich nicht umhauen lässt. Die Steine in den Weg geräumt bekommt und trotzdem weitergeht. Das kann junge Frauen inspirieren. Damals wie heute.
Verwendete Quellen:
- Zoom-Interview mit Nina Gummich
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