Thilo Mischke soll ab Februar das ARD-Kulturmagazin "titel, thesen, temperamente" moderieren. Die Ankündigung löst aber einen Shitstorm aus. Mischke wird vorgeworfen, sich mehrfach sexistisch geäußert zu haben. Die "ttt"-Redaktion kündigt intensive Gespräche an.

Eine Analyse
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Kurz vor Weihnachten, am 19. Dezember, hatte Thilo Mischke etwas mitzuteilen. "Ich habe einen neuen Job. Ich habe eine neue Aufgabe in meinem Leben: das Näherbringen von Kultur. Am Sonntagabend, in der ARD. Als neuer Moderator von 'titel, thesen, temperamente'", erklärte Mischke in einem Video, das auf seinem eigenen Instagram-Kanal und dem von "titel, thesen, temperamente" veröffentlicht wurde.

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"Diese Nachricht bereitet mir große Freude, weil ich mir kaum etwas Schöneres vorstellen kann, als Menschen zu zeigen, was uns allen so zur Verfügung steht, mit dem wir uns beschäftigen können", fügte der 43-Jährige, der den Job im Februar antreten soll, an.

In der Kommentarspalte zeigten sich allerdings völlig gegensätzliche Emotionen, es braute sich ein regelrechter Shitstorm zusammen. Dem Moderator, Autor und Journalisten, der zuletzt vor allem für ProSieben-Formate wie "Galileo" oder "Uncovered" tätig war, wird Sexismus und Frauenfeindlichkeit vorgeworfen. Weshalb Mischke in den Augen vieler kommentierender "ttt"-Followerinnen und -Follower nicht geeignet als Nachfolger des scheidenden Max Moor ist.

Thilo Mischke schrieb das umstrittene Buch "In 80 Frauen um die Welt"

Die Vorwürfe beziehen sich in erster Linie auf das Buch "In 80 Frauen um die Welt", das Mischke 2010 veröffentlichte. In diesem Buch begibt er sich als Ich-Erzähler auf eine Weltreise, um seine Ex-Freundin zu vergessen. Gleichzeitig läuft eine Wette: Wenn es ihm gelingt, auf dieser Reise mit 80 Frauen zu schlafen, übernehmen seine Freunde die Kosten für den Trip um die Welt.

Der Ansatz des Buches wurde schon damals als sexistisch bezeichnet. Nun wird kritisiert, dass ein öffentlich-rechtliches Kulturmagazin sieben Jahre nach Beginn der #MeToo-Bewegung und ganz aktuell unter den Eindrücken des Missbrauchsfalls um Gisèle Pelicot den Autor einer solchen Geschichte - egal ob fiktiv oder dokumentarisch - als kommenden Moderator präsentiert.

"Hui, am Tag, wo in Frankreich der Pelicotprozess endet, bekommt Mr. 'In 80 Frauen um die Welt' ne Kultursendung im ÖRR. Traumhaft. Nicht", schrieb eine Kommentatorin, stellvertretend für viele andere Wortmeldungen.

Podcast hat "einen Haufen extrem unappetitliches Zeug" gefunden

Das Buch ist aber nicht der einzige Punkt, an dem sich die Kritik aufhängt. Mischke schrieb Kolumnen über Frauen und Sex für "GQ", in einer Folge seines Podcasts "Uncovered" stellte er 2019 die These auf, dass der Urmensch ausgestorben sei, weil er im Gegensatz zum Homo Sapiens Frauen nicht vergewaltigt habe.

Der Podcast "Feminist Shelf Protocol" veröffentlichte am Tag vor Heiligabend eine Folge mit dem Titel "Causa TTThilo Mischke", in der die Journalistinnen Annika Brockschmidt und Rebekka Endler in etwas mehr als zwei Stunden Laufzeit ihre Recherche-Ergebnisse präsentieren.

Man habe "einen Haufen extrem unappetitliches Zeug gefunden, das in einer nicht-patriarchalen Welt zumindest dazu führen würde, dass Mischke nicht das wichtigste Kulturmagazin des Landes moderiert", heißt es in der Beschreibung des Podcasts.

Hat Thilo Mischke sich von seinem Buch distanziert? Oder nicht?

Befragt wurde auch der Kulturwissenschaftler und Autor Simon Sahner. Wer sich heutzutage mit Kultur auseinandersetze, müsse in der Lage sein, sensibel über Themen wie Sexualität, Diskriminierung oder sexualisierte Gewalt zu sprechen, erklärte Sahner in dem Podcast.

"Die gesamte Karriere von Thilo Mischke, seit er 2010 das Buch 'In 80 Frauen um die Welt' geschrieben hat, zeugt davon, dass er dazu nicht in der Lage ist. Das zeigt auch die Podcast-Aufnahme von 2019, wo er über Vergewaltigung spricht. Und es zeigt auch, dass er sich 2024 in einem Gespräch überhaupt nicht von seinem Buch 'In 80 Frauen um die Welt' distanziert hat", sagte Sahner weiter.

Die Redaktion von "titel, thesen, temperamente" argumentierte in die andere Richtung. "Seit Erscheinen des Buches 'In 80 Frauen um die Welt' im Jahr 2010 hat sich Thilo Mischke vielfach mit den Vorwürfen, darin ein sexistisches Frauenbild vermittelt und stellenweise rassistische Sprache verwendet zu haben, selbstkritisch auseinandergesetzt, sich öffentlich der Kritik gestellt und für seine Ausdrucksweise entschuldigt", schrieb die "ttt"-Redaktion in einem Instagram-Kommentar.

Thilo Mischke hat sich noch nicht öffentlich zu der Kontroverse geäußert

"Wir, die Redaktion von ttt, haben ihn selbst hierzu befragt. Mischke distanziert sich bis heute vom Titel und Inhalt des Buches und hat den Druck einer Neuauflage untersagt", schrieb die Redaktion weiter und nahm auch Bezug auf das Podcast-Zitat zu den Vergewaltigungen durch den Homo Sapiens. Dieses sei laut Mischke aus dem Zusammenhang gerissen worden. Wenig später habe er in dem Podcast betont, wie beschämend dies für das männliche Geschlecht sei.

Es darf bezweifelt werden, dass diese Ausführungen die zahlreichen Kritikerinnen und Kritiker verstummen lassen werden. "Wir nehmen eure Kritik ernst. Deswegen gibt es bereits seit Tagen intensive Gespräche, um die Vorwürfe zu prüfen. Wir bitten euch an dieser Stelle um eines: Zeit. Wir wollen das Thema aufarbeiten und uns gründlich mit den geäußerten Sorgen auseinandersetzen. Wir sitzen das nicht aus", schrieb die "ttt"-Redaktion in einem weiteren Instagram-Kommentar.

Thilo Mischke selbst hat sich bislang nicht öffentlich zu der Kontroverse um seine Person geäußert.

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