- Pamela Pabst ist die erste von Geburt an blinde Strafverteidigerin Deutschlands.
- Ihr Leben gilt als Inspiration für die ARD-Serie "Die Heiland - Wir sind Anwalt", deren dritte Staffel am 2. November beginnt.
- Ein Gespräch über Unterschiede zwischen der Serie und ihrem realen Berufsalltag, Vorurteile über Menschen mit Sehbehinderung sowie die Fähigkeit, mal Hilfe annehmen zu können.
Pamela Pabst ist die erste von Geburt an blinde Strafverteidigerin Deutschlands. Mit einer Restsehkraft von einem Prozent auf dem linken Auge hat sie sich durch Mobbing-Erfahrungen in der Schule und das Jura-Studium gekämpft - nicht immer war es einfach, oft wurden ihr Vorurteile entgegengebracht.
Ihre Geschichte gilt als Inspiration für die ARD-Serie "Die Heiland – Wir sind Anwalt", deren erste Staffel 2018 ausgestrahlt wurde und die nun ab dem 2. November in die dritte Runde geht.
Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht Pabst über ihren Berufsalltag, ihre negativen Erfahrungen in Bezug auf ihre Sehbehinderung und warum das Annehmen von Hilfe keine Schande ist - egal, ob als Sehender oder Nicht-Sehender.
Frau Pabst, gibt man Ihren Namen bei Google ein, ist eines der ersten Ergebnisse: "Die erste von Geburt an blinde Strafverteidigerin Deutschlands" – für Sie ein störendes Label?
Pamela Pabst: Nein. Wenn man jetzt gesagt hätte, ich bin die erste Blinde, dann vielleicht. Die Formulierung "die erste von Geburt an blinde Strafverteidigerin" habe ich allerdings mit in die Welt gesetzt, weil es auch noch einige spät erblindete Kolleginnen und Kollegen gibt, von denen ich mich gerade in der Presse abgrenzen möchte. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich selbst Juristin bin und darauf achte, so präzise wie möglich zu formulieren, damit es nicht falsch ist und um keinen Ärger zu bekommen. Ich habe kein Problem damit, in gewisser Weise die Erste zu sein, weil ich in der Vergangenheit ganz oft das Versuchskaninchen war. So war ich zum Beispiel die erste blinde Schülerin auf meiner Schule. Außerdem wurde man sich [in Deutschland, Anm.d.Red.] erst durch mich bewusst, dass es blinde Rechtsanwälte überhaupt gibt.
Oft schwingt bei diesem Ausdruck mit, dass es in der Gesellschaft noch nicht ganz selbstverständlich ist, dass eine blinde Person so einen Beruf meistern kann. Sind Sie in Ihrem Alltag mit dieser oder einer ähnlichen Haltung mal konfrontiert worden?
Vor allem am Anfang meiner Berufstätigkeit habe ich Kollegen und Kolleginnen getroffen, die sich das nicht vorstellen konnten. Sie selbst waren sehend, haben dann die Augen zugemacht und gesagt: "Mit geschlossenen Augen kann ich doch meinen Beruf gar nicht ausüben. Wie soll ich das machen?" Die haben sich vorgestellt, dass man im stillen Kämmerlein irgendwelche juristischen Sachen ausarbeitet. Dass man geistig voll auf der Höhe ist, daran hat niemand gezweifelt. Aber daran, dass man es in der praktischen täglichen Umsetzung schafft – zu Terminen fahren, Mandantenkontakt und die Reaktion fremder Leute. Dieses Denken nehme ich aber niemandem krumm, ich habe dafür Verständnis.
Welche anderen Reaktionen haben Sie noch erlebt?
Ich habe es erlebt, dass Kollegen ihre Meinung relativiert und durch mich gesehen haben, wie es funktionieren kann. Auch hat mir eine Richterin vor ein, zwei Wochen erzählt, dass eine Person, die von der Serie ["Die Heiland – Wir sind Anwalt", Anm.d.Red.] gehört hatte, zu ihr gesagt hat: "Das ist doch alles Fiktion. Es gibt doch keine blinden Rechtsanwälte." Daraufhin hat dann die Richterin gesagt: "Wieso? Die Frau Pabst habe ich doch hier jeden Tag bei mir im Gericht. Klar geht das." Ich fand es interessant, dass jemand auf die Idee kommt, dass es keine blinden Rechtsanwälte geben könnte – aber auch ziemlich engstirnig.
Welche Vorteile, denken Sie, haben Sie als blinde Strafverteidigerin gegenüber Ihren Kollegen und Kolleginnen?
Ich würde es nicht Vorteile nennen, sondern eher Stärken, die mit dem Nichtsehen auf jeden Fall zusammenhängen. So denke ich zum Beispiel, dass ich mich besser konzentrieren kann, weil ich weniger abgelenkt bin. Wenn ich beispielsweise sehr lange in einer Gerichtsverhandlung sitze, dann kann ich nicht nebenbei eine Zeitung auspacken und lesen oder auf dem Handy spielen, weil mein Handy redet. Das würden die anderen mitbekommen. Nebenbei erwähnt finde ich das sowieso unverschämt. Außerdem glaube ich, dass ich mich gut auf die Leute fokussieren kann: Wenn jemand vor mir sitzt und etwas erzählt, kann ich sehr genau zuhören und bin empathisch. Ich würde auch sagen, dass ich sehr geduldig bin, weil alles in meinem Leben immer mehr Zeit braucht und ich oft Hilfe benötige. Da geht vieles nicht "schnell, schnell".
Wie sieht es in Bezug auf die Einschätzung Ihrer Mandantinnen und Mandanten aus?
Ich bin sicherlich kein Lügendetektor (lacht). Oft wird gesagt: "Wenn man nicht gut sieht, dann muss man doch hören, ob jemand lügt." Natürlich kann ich gut zuhören, aber dadurch nicht jede Lüge ohne Weiteres entlarven. Dafür sage ich häufiger, dass ich jemandem nicht glaube. Das liegt dann an der Art, wie der- oder diejenige spricht oder wie die Stimme klingt. Die überzeugt mich nicht.
Als Strafverteidigerin haben Sie häufiger mit Schwerkriminellen zu tun. Sind Sie manchmal auch froh, diese nicht zu sehen?
Das stimmt. Teilweise haben mir sehende Leute schon gesagt: "Sei froh, dass du den nicht gesehen hast." Dennoch hat man auch seine eigenen Vorurteile. Nicht immer geht mein Eindruck von der Stimme in die gleiche Richtung wie der Eindruck des Sehenden von dem jeweiligen äußeren Erscheinungsbild. Aber gerade bei den Fällen um Kindesmissbrauch ist es ein enormer Vorteil, dass ich diese Bilder nicht sehen muss.
Wie kann man sich Ihren Berufsalltag vorstellen – genauso wie in der Serie mit einer Assistentin?
Ich habe von 8 bis 18 Uhr zwei Arbeitsplatz-Assistentinnen, weil eine Person alleine das gar nicht mehr schafft. Die gehen mit mir auch zu Gerichtsterminen, sind mit mir draußen auf der Straße unterwegs, lesen mir Dokumente vor und scannen Akten ein. Ansonsten nutze ich auch viele Hilfsmittel, die in der Serie gezeigt werden: sprechende Computer, das sprechende Telefon, den weißen Langstock, das Diktiergerät und den Stift, der die Akten sprechen lässt.
Was sind die größten Unterschiede zwischen der Serie und Ihrem realen Arbeitsalltag?
In der Serie wird der Eindruck übermittelt, dass man als Strafverteidigerin immer nur einen Fall hat, an dem man arbeitet. In der Realität sind es allerdings viele Fälle parallel, man bekommt jeden Morgen etwa 20 Briefe. Außerdem ist es auch nicht so, dass man ständig zum Tatort geht. Man fährt auch nicht zu den Mandanten und Mandantinnen nach Hause. Sie kommen zu uns ins Büro – außer, sie sitzen im Gefängnis. Ein dritter Punkt ist, dass sich in einer Serie nicht die Vielschichtigkeit des Berufsalltags abbilden lässt. So bin ich üblicherweise vormittags im Gericht und nachmittags kommen jeweils im Stundentakt drei Mandantinnen oder Mandanten ins Büro. An manchen Tagen habe ich aber auch zwei oder drei Gerichtsverhandlungen an einem Tag hintereinander.
Inwiefern thematisieren Sie Ihre Sehbehinderung bei den Mandanten und Mandantinnen? Wurden Sie deswegen schon mal explizit abgelehnt?
In der Regel kommen Menschen durch Mundpropaganda zu mir, weil andere zufrieden gewesen sind. Ob die Empfehler dabei meine Sehbehinderung erwähnen, das weiß ich oft gar nicht. Meistens wird das nicht zum Thema, wenn der Mandant oder die Mandantin vor mir sitzt. Manchmal frage ich lediglich, ob man mir etwas vorlesen kann, wenn er oder sie gut Deutsch lesen kann und für mich die Schrift zu klein ist. Wenn das nicht der Fall ist, sage ich ganz offen, dass ich jemanden zum Helfen dazuhole. Eher erfahre ich mal drei, vier Jahre später – wenn man die Leute lange kennt –, dass sie sagen: "Am Anfang fand ich es komisch, dass wir zueinander keinen Blickkontakt hatten." Aber ich hatte noch nie, dass jemand gesagt hat: "Sie sind ja blind. Das wusste ich nicht, dann gehe ich wieder."
Apropos helfen: In der ersten Staffel gibt es eine Szene, in der sich Romy Heiland beim Essen das Fleisch schneiden lässt.
(lacht) Das ist eine Szene, die zu vielen Diskussionen geführt hat. Ich persönlich lasse mir das Fleisch schneiden. Aber nicht immer. Wenn ich zum Beispiel ein leckeres Steak habe, bei dem ich das Schneiden schwierig finde, dann bitte ich um Hilfe. Denn ich möchte es mit Genuss essen und mir nicht selbst irgendetwas beweisen. Aber ich weiß, dass viele blinde Leute diese Szene kritisiert haben, denn sie würden hier als hilflos dargestellt werden. Ich persönlich bin da allerdings so selbstbewusst, dass ich von Situation zu Situation entscheide und daraus keine Grundsatzdiskussion starte. Übrigens kam der Impuls zu der Filmszene von mir. Die Drehbuchautorin war mit mir zusammen essen und da hatte ich sie gebeten, ob sie mal mein Fleisch schneiden könnte.
Also ist das Sich-helfen-lassen für Sie ein Zeichen der Souveränität, dass man durchaus Hilfe annehmen kann?
Genau. Die Alternative wäre, dass ich es nicht esse. Aber das finde ich auch blöd. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass man es nicht schwerer machen muss, als es ist. Blinde Menschen sind aber sehr unterschiedlich. Für die einen kommt das Sich-Fleisch-schneiden-lassen nicht infrage und die anderen sagen: "Ja, wieso denn nicht?" Genauso unterschiedlich in ihrer Einstellung oder ihrer Herangehensweise sind aber auch nicht-behinderte Menschen: Manche wollen einfach keine Hilfe annehmen. Andere sagen, dass es nicht schlimm ist, mal Hilfe anzunehmen - das heißt nicht gleich, dass man hilfsbedürftig ist.
Haben Sie schon mal negative Erfahrungen gemacht, wenn Sie jemanden um Hilfe gebeten haben? Zum Beispiel, dass Sie jemand an einen falschen Ort gebracht oder anderweitig reingelegt hat?
Früher als Kind in der Schule. Da waren die Kinder grausam, haben mir Sachen weggenommen und versteckt. Aber jetzt als erwachsene Person habe ich das aufgrund meiner Sehbehinderung noch nie erlebt. Ich hatte allerdings auch schon mal einen Mandanten, der mir einen gefälschten Überweisungsträger geschickt hat. Aber das beziehe ich nicht auf meine Blindheit. Das hätte der mit jedem Sehenden genauso machen können beziehungsweise wäre jeder Sehende darauf auch reingefallen.
Oft sieht man auf der Straße, dass manche Menschen unbeholfen mit Sehbeeinträchtigten umgehen. Was würden Sie solchen Menschen raten?
Immer ran an den Mann oder die Frau und nicht abwimmeln lassen. Wenn eine blinde Person die Hilfe ablehnt, dann hat sie eher ein Problem: Vielleicht hat sie ihre Behinderung gerade erst bekommen und sich noch nicht daran gewöhnt, wie es ist, plötzlich hilfsbedürftig zu sein. Manchmal glauben Blinde, dass sie sich selbst etwas beweisen müssen.
Wie sieht es konkret bei Ihnen aus?
Grundsätzlich lehne ich Hilfe nie ab, wenn ich darauf angesprochen werde – selbst, wenn ich es in dem Moment vielleicht alleine könnte. Ich denke mir dabei immer, dass ich eine Aufgabe innerhalb der Gesellschaft habe: Da hat sich jemand zusammengenommen und entschlossen, mir zu helfen. Und wenn ich dann sage "Danke, brauche ich nicht" oder "Ich will nicht", finde ich das nicht menschlich und nett. Denn dadurch komme ich mit den Leuten nicht ins Gespräch und kann ihnen nicht helfen, ihre Unsicherheit gegenüber Blinden abzubauen. Ich will mit einer positiven Reaktion meinerseits zeigen, dass Behinderungen ein ganz normaler Teil dieser Gesellschaft sind. Die Sehbehinderung einer Person ist keine Schicksalsgeschichte, sondern ein Teil ihrer Persönlichkeit.
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