Die neue ProSieben-Show "Das Ding des Jahres" sucht die Erfindung, die das Publikum am nützlichsten findet. Dabei zieht in der gestrigen Folge drei ein Produkt ins Finale ein, das symptomatisch dafür ist, was bei "Das Ding des Jahres" falsch läuft.
Am Ende stand er ein wenig ungläubig da. Ulrich Müller, Diplomingenieur aus Bayern, konnte nicht so recht fassen, dass das Studiopublikum ihn und seine Erfindung gerade ins Finale von "Das Ding des Jahres" gewählt hat. Und in der Tat war damit nicht unbedingt zu rechnen, und zwar aus zwei Gründen.
Zum einen, weil die Entscheidung des Publikums denkbar knapp ausfiel. Für Ulrich Müller stimmten 32 Prozent der Zuschauer, für den Sockenkuss, ein Clipsystem für Strümpfe, damit diese nicht mehr in der Waschmaschine verloren gehen, stimmten 30 Prozent.
Zum anderen, weil die Jury aus Moderator
Den Dreien hatten es die Erfinder von Ridetronic mit ihrem E-Bike-Antrieb "TronicDrive" angetan.
Wieso kaufen, wenn man auch leihen kann?
Trotzdem ist die Entscheidung für Ulrich Müller und seine Erfindung am Ende gar nicht so überraschend, spiegelt sie doch recht eindeutig den Geist wider, der bei "Das Ding des Jahres" von Anfang an herrscht: Haben statt Sein.
Im Fall von Ulrich Müller sieht das so aus: Der 29-jährige Bamberger hat ein Problem. Um die Gartenabfälle seiner Eltern wegzubringen, musste er sich immer den Auto-Anhänger der Nachbarn ausleihen.
Er wollte aber lieber einen eigenen Anhänger, doch da spielte seine Mutter nicht mit. Denn wie Müller die drei Probleme, die Frau Mama mit dem Anhänger hat, formuliert: "Steht nur rum, verbraucht Platz, sieht scheiße aus."
Also macht sich der Ingenieur an die Arbeit, um diese drei Probleme zu lösen und er erfindet "Faltos". Das ist ein Auto-Anhänger, der sich via Ziehharmonika-Prinzip Platz sparend zusammenfalten lässt.
An sich eine durchaus clevere Idee, hätte Müller die eigentliche Lösung seiner Probleme nicht bereits beim Erzählen seiner Geschichte präsentiert.
Denn was spricht denn dagegen, sich weiterhin den Anhänger der Nachbarn zu leihen? Gerade einen Anhänger! Ein Gerät, das man vielleicht zweimal im Monat braucht und das den Rest der Zeit herumsteht, wie Müllers Mutter ja bereits erkannt hatte.
Eine kluge Frau, denn deshalb gibt es aktuell den Trend zum Sharing. Weil wir eben nicht alles haben müssen, um es zu nutzen.
Model Lena Gercke vertritt hingegen eher die Kauf-Mentalität: "Ich kenne viele Leute, die teilen sich so einen Anhänger, weil nicht alle den Platz haben. Ich glaube, dass viel mehr Leute sich so einen Anhänger holen würden, wenn man den zusammenfalten kann."
Ja, aber warum sollten sie, wenn sie ihn sich doch leihen können? An Müllers drei Problemen ändert die Faltversion jedenfalls auch nichts.
Der TWOCK zeigt, wie es geht - und verliert
Ganz anders hingegen ist der Ansatz von Designerin Nina Julia Walter, die ins direkte Duell gegen den Faltanhänger geschickt wird. Die Berlinerin hat den TWOCK erfunden.
Das ist ein Rock, der sich mit einem einfachen Handgriff zu einer Weste und sogar zu einer Tasche umfunktionieren lässt. Außerdem legt die 33-Jährige Wert darauf, dass ihr TWOCK fair produziert wird.
Ob der TWOCK nun dem eigenen Modegeschmack entspricht oder nicht, kann jeder selbst entscheiden, interessant ist aber vor allem die Motivation Wagners: "Ich möchte, dass man insgesamt nicht mehr so viel besitzt, sondern die Kleidungsstücke, die man hat, auf unterschiedliche Weise kombinieren kann."
Sein statt Haben also. Nicht der Besitz steht im Vordergrund, sondern das, was man daraus macht.
"Es ist an der Zeit, dass wir das Thema Nachhaltigkeit in der Mode neu angehen. Dass wir die Ressourcen schonen", erklärt Wagner ihre Idee. Ein Gedanke, der nötiger denn je ist.
Auch die Jury lobt diesen Weitblick, am Ende stimmt aber nur
Das Ding des Jahres? Von wegen!
Ein Grund, warum Jury und Publikum mehrheitlich für den Anhänger und gegen den TWOCK gestimmt haben, liegt im Ansatz der Show.
Dort sollen nämlich nicht die Produkte gekrönt werden, die einen wirklichen Nutzen für die Menschheit haben, sondern die, die jeder im Saalpublikum gerade am besten gebrauchen kann.
Das ist so erschreckend unwichtig, zeigt aber besonders anschaulich das generelle Problem von nachhaltigen Ideen: Dass eben nicht an die Zukunft gedacht wird, sondern nur an die schnelle Befriedigung momentaner Bedürfnisse.
Oder wie Moderatorin Janin Ullmann nicht müde wird zu betonen: "Es geht nicht um gut oder schlecht, sondern um das, was man gerade besser gebrauchen kann."
Das Bizarre dabei ist: Trotzdem erhebt die Show den Anspruch, das Ding des Jahres hervorzubringen. Dabei wäre es ehrlicher, wenn man die Show "Das Ding, das das typische ProSieben-Studiopublikum gerade besser gebrauchen kann" nennen würde.
Bisher stehen neben dem Anhänger noch ein E-Bike, ein Trinkbecher fürs Fitness-Studio, ein ferngesteuertes Auto und eine Zehn-Sekunden-Zahnbürste im Finale. Dann kann die Zukunft ja kommen.
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