War es über Jahre hinweg eine Strafe, im Dschungelcamp einzuziehen, freuen sich die diesjährigen Kandidaten regelrecht darüber, an der Show teilzunehmen. Für das Format hat das ungewohnte Konsequenzen.
Das Dschungelcamp hat ein Problem: Es hat seinen Schrecken verloren. Vor elf Jahren war man sich sicher, dass es nie eine schlimmere Sendung über die deutschen Fernseher flackerte als "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!". Medienwächter, Kirchen, Politiker, sie alle waren entrüstet.
Ein paar Grimme-Preis-Nominierungen später echauffiert sich nur noch das "Portal für Medienerziehung" "Flimmo" über den schädlichen Einfluss der Sendung auf Kinder. "Flimmo", noch nie gehört? Genau.
Das Dschungelcamp ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Was vollkommen in Ordnung ist. Denn hinter dem ganzen Ekel-Getier ist "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" noch immer eine der aufwendigsten und am besten produzierten Shows im deutschen Fernsehen.
Indes: Die Promis machen uns Sorgen! Natürlich hat RTL auch in diesem Jahr eine solide Mischung für die elfte Staffel des Dschungelcamps verpflichtet. Ein paar Luder, Reality- und Soapsternchen, abgehalfterte Altstars und ein einige, die noch nie berühmt waren.
Camp-Teilnahme als Karrierehöhepunkt
Nur Angst haben sie keine mehr vor der Show. "Das Dschungelcamp ist die Champions League", sagt zum Beispiel Trash-Veteranin
Für VOX-Auswanderer "Mallorca-Jens" Büchner ist es "die Sahnehaube meiner Karriere". So traurig das für ihn sein mag, so niederschmetternd ist es für den Zuschauer.
Ein nicht geringer Reiz des Dschungelcamps bestand immer darin, dass die dort versammelten ehemaligen Prominenten gar nicht hier sein wollten. Geld, Geltungssucht, Schulden und schlechtes Management trieben sie dorthin.
"Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" fungierte dabei als natürliches Bestrafungsorgan. Die Legionen an C-Stars, die das Privatfernsehen in den letzten Jahren gecastet hatte und die schnell nervten, konnten in einer natürlichen Verwertungskette für ihre bloße Medienpräsenz drangsaliert werden.
Die weniger brachial veranlagten erfreuten sich an den persönlichen Dramen zwischen den Teilnehmern.
Der einzige Kandidaten-Coup ist Gina Lisa Lohfink
Mit dem Aufkommen von Konkurrenz-Shows wie "Promi Big Brother" und leergecasteten Einkaufszentren und Provinzdiskotheken muss aber auch RTL mit den Kandidaten Vorlieb nehmen, die übrig sind. Warum schließlich Kakerlaken fressen, wenn man für die gleiche Gage zwei Wochen in Unterhosen in einem klimatisierten Container sitzen kann?
Die elfte Staffel begegnet dem mit dem üblichen selbstironischen Meta-Gefasel. Das Jahr 2016 habe alles in Sachen Prominenz leergekegelt, erklären Sonja Zietlow und Daniel Hartwich direkt zu Beginn. Man musste auf die zweite Liga zurückgreifen.
Das täuscht nicht darüber hinweg, dass in diesem Jahr wirklich kein hochkarätiger Star an Bord ist. Natürlich war die Verpflichtung von Gina Lisa Lohfink nach ihrer monatelangen Präsenz in den Medien ein Coup. Der ist aber teuer erkauft.
Mit ihrem Botox-Freund Florian Wess und Ex Marc Terenzi stellte der Sender der ehemaligen "Germany's Nex Topmodel" gleich zwei vertraute Personen zur Seite, damit sie sich im Dschungel auch ja wohl fühlt.
Der Dschungel als Therapiezentrum
Es wird also auf den Rest ankommen und ihre Fähigkeit sich über ihre angestammten Rollen hinaus zu entwickeln. Potenzial dazu gibt es genug. Alexander "Honey" Keen, in der letzten Staffel von GNTM als selbstverliebter Freund der späteren Gewinnerin Kim Hnizdo aufgefallen, gibt sich alle Mühe, den eitlen Kotzbrocken zu geben, für den er gecastet wurde.
Sarah Joelle Jahnel, monatelang wegen ihrer angeblichen Affäre mit Oliver Pocher durch die Boulevardpresse getrieben, gesteht bereits zu Beginn überraschend offen: "Wenn ich mich googeln würde, würde ich mich auch nicht mögen."
"Yoga-Bär" Markus Majowski beweist eindrucksvoll, wie viel schlechte Laune und wenig Witz ein Komiker besitzen kann. Und wer für diese Staffel als Choleriker auserkoren wurde.
Die dramatischste Entwicklung steht aber wohl "Mieten, kaufen, wohnen"-Maklerin Hanka Rackwitz bevor. Beladen mit einer ganzen Ladung Phobien, stellt sie sich im Dschungel ihren Ängsten.
Den ersten Seelenstriptease gibt es schon zum Auftakt der Staffel. Dort gesteht sie nach einer kleinen Wunde am Bein unter Tränen, dass nun "all das Böse" durch die Öffnung in ihren Körper gelangen könne. Eine Form von Selbstkasteiung, die selbst für "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" ungewöhnlich und nur schwer zu ertragen ist.
Aber vielleicht ist das die neue Mission der Königin unter den Trash-TV-Shows. Die Therapie seiner Kandidaten. Rackwitz begann ihre Fernsehkarriere vor elf Jahren in der zweiten Staffel von "Big Brother", von Phobien war da wenig zu spüren.
Elf Jahre später ist sie ein seelisches Wrack. Lassen wir uns überraschen, ob "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" es schafft, sie von einigen Ängsten wieder zu befreien.
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