Heute möchte ich mit der Enttäuschung des Jahres anfangen. Und damit meine ich nicht die Einschaltquoten der großen Dschungelshow. Nein, es geht um diesen Skandal: Christina Dimitriou, Sam Dylan und Oliver Sanne wurde bei Vertragsunterschrift zur Teilnahme an der großen Dschungelshow von RTL zugesichert, im Januar 2021 würde es ein Haus geben, über das ganz Deutschland spricht. Von Elyas M´Barek und Kai Diekmann bis zu Cathy Hummels und Lars Klingbeil. Von Luisa Neubauer und Caro Daur bis zu Klaas Heufer-Umlauf und Dunja Hayali. Es gibt kein anderes Thema.
Das Blöde an der Sache ist nur:
Und so sitzen sie da also, zwischen Pappholzwänden und Fake-Palmen und langweilen sich fast so sehr wie ihre Zuschauer. Selbst
Haare sind Sam Dylans kleinstes Problem
Aus lauter Verzweiflung beginnt er mit theoretischen Hochrechnungen über die Entwicklung seines eigenen Körpergewichts: "Als ich mich das letzte Mal gewogen habe, hatte ich 110 Kilo. Wenn wir hier raus sind und ich mich wieder wiege, werden es wohl so 107 sein". Von 110 auf 107 Kilo, oder wie Sam Dylan sagt: "Wow! Das sind ja so ungefähr 9,8 Kilo weniger!"
Was genau uns El Romantico mit seinem Ausflug in die Welt des Körperfetts sagen möchte, bleibt unklar. Drei Kilo weniger wiegen, das ist ja erstmal kein Kunststück. Drei Kilo verliert Sam sogar, wenn er sich abends seine Stylingprodukte aus den Haaren wäscht.
Bei Sam, dem einzigen Menschen der Welt, der sich selber einen IQ von 9,8 attestiert, sind Haare allerdings das kleinste Problem. Eher fragt man sich, wie gut vorbereitet er sich wohl in das Dschungel-Abenteuer gestürzt hat.
Nach drei Tagen Tiny House kann man sich jedenfalls kaum vorstellen, dass Sam vorher jemals das Dschungelcamp gesehen hat. Er beschreibt das Original-Camp in Australien nämlich so: "Das ist wie eine Hotelanlage, nur halt draußen, mit Pool und so". Ja. Das stimmt. Und "Der Bachelor" ist ein Hochschulabschluss, nur halt mit Rosen.
Oliver verteidigt Sam beinahe liebevoll
Obwohl
Sehr schade, dass ich aufgrund der Corona-Situation nicht persönlich in Köln-Efferen dabei sein kann. Sonst hätte ich die Gelegenheit direkt nutzen können, um Dr. Bob zu fragen, ob ich mal einen Blick auf Sams Blutwerte werfen darf:
- Referenzbereich Leukozyten: Okay.
- Referenzbereich Thrombozyten: Okay.
- Referenzbereich Hämatokrit: Okay.
- Referenzbereich Hämoglobin: Okay.
- Referenzbereich Versprecher: Oh, deutlich zu hoch, da müssen wir was machen.
Dazu mal kurz was anderes: Wenn man sich oft verspricht und sich im Allgemeinen nicht so gut mit Wörtern auskennt, was würdest Duden da machen? Ja, ich weiß. Ein Witz, nur haarscharf an der Dönerteller-Versace-Medaille für das schlechteste Wortspiel des Jahres vorbei. Sorry.
Aber mal im Ernst. Was ist mit Sam los? Sitzt in seinem Sprachzentrum der RTL-Kollege, der gestern "Karussel" als richtiges Lösungswort eingeblendet hat, kippt wahllos ein paar dutzend Buchstaben in Sams Mund und der formt daraus dann das erste Wort, das ihm einfällt?
Symbiose aus Langeweile und Enttäuschung
Anders sind Sprachperlen wie "Ravaioli" oder "Proseco" ja nicht zu erklären. Wenn RTL für jeden Buchstabendreher im Vokabular von Sam eine COVID-Impfdose bekommen würde, hätten Daniel Hartwich und Sonja Zietlow bis Mittwoch ganz Deutschland durchgeimpft.
Wortneuschöpfungen sind aber nicht das größte Problem im Tiny Hirn. Äh, House. Die gefährliche Symbiose aus Langeweile und Enttäuschung über bislang nicht unbedingt herausragende Leistungen bei den Prüfungen treibt die drei Glücksritter auf der Suche nach dem Goldenen Ticket sogar zurück in die Zeit, als sie in der siebten Klasse waren. Sie spielen "Wahrheit oder Pflicht".
Na gut, Oliver und Christina treibt es zurück in die Zeit. Sam hat ja vermutlich nie eine siebte Klasse von innen gesehen. Die wichtigste Erkenntnis dieser ungeplanten Ausgabe von "Promi Wahrheit oder Pflicht" (nur halt ohne Promis) ist: Sam hatte schon mal einen Dreier. Christina aber noch nie. Schade, dass die Spieler von Borussia Dortmund nicht in der Nähe sind. Wie es sich anfühlt, wenn man nie einen Dreier macht, davon können die ja ein Lied singen.
Christina lässt sich in der lustigen Fragerunde dann noch entlocken, durchaus schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten zu sein. Überraschenderweise aber nicht im Zusammenhang damit, dass sie ihren plastischen Chirurgen verklagt hätte. Sondern deswegen: "Wenn man die Hand gegen mich hebt, sehe ich Schwarz und dann gebe ich Faust."
Oliver: "Lästern ist ein ganz natürlicher Akt"
Warum sie dann schwarz sieht und nicht rot und weswegen sie glaubt, es würde deeskalierend wirken, ein ziemlich dickes Buch von Johann Wolfgang von Goethe zu verschenken, verrät sie aus Zeitgründen nicht. Um den Konfro- und Drama-Pegel am letzten Tag von Testgruppe 3 noch ein wenig zu erhöhen, spielt RTL nämlich Sam schnell einige explizite Szenen der vergangenen 72 Stunden vor, in denen Christina und El Romantico über ihn, naja, sagen wir mal freundschaftlich: geredet haben.
El Romantico verteidigt sich anschließen wortreich für Sätze wie "Wenn man so viel Alkohol gewohnt ist, braucht der Körper natürlich irgendwann seinen Stoff". Gestern noch der Prostitutions-Vorwurf, heute zum Alkoholiker abgestempelt. Das ist zu viel für Sam, der seine beiden Mitbewerber umgehend zur Rede stellt.
El Romantico ist sich jedoch keiner Schuld bewusst: "Lästern ist ein ganz natürlicher Akt, ich finde das nicht schlimm". Gleichzeitig versichert er natürlich, auf keinen Fall gelästert zu haben. Und falls das in den gezeigten Ausschnitten bisweilen anders wirkt, liegt das daran, dass RTL die Zusammenhänge durch bösartige Schnitt-Techniken manipuliert. Andrej Mangold ist stolz.
Aber das sind natürlich Fake News. Das Einzige, was im Tiny House durch eigenartige Schnitte versemmelt wurde, ist die Frisur von Sam. Und der ist sichtlich schockiert. Also, nicht über seine Haarpracht, sondern darüber, dass ausgerechnet El Romantico sich als Chefmobber entpuppt. Dabei hatte Oliver "El Romantico" Sanne doch beteuert: "Ich bin mehr der Typ, der alles auch ins Gesicht sagt". Gut, halt nur nicht, wenn man es auch hinter dem Rücken machen kann. Von 30 Kameras gefilmt.
Fiasko für "El Romantico" Sanne
Ausgerechnet hier aufzufliegen, ist natürlich ein Fiasko für El Romantico. Immerhin hatte er Sam und Christina ja gerade erst das Leben als Reality-Star erklärt. Ja, mehr noch. Sogar seine neuesten Pläne zu genau diesem Thema hatte er seiner Tiny-House-Clique exklusiv als erste verraten: "Ich kenne mich ja mit Realtiy-TV sehr gut aus, also vor und hinter den Kulissen. Ich weiß, wie das abläuft, darum schreibe ich ja jetzt auch ein Buch darüber".
Als kleinen Teaser zu seinem Ratgeber, wie man "Bachelor" wird, beim Promiboxen ran darf oder ein Trash-TV-Format gewinnt, verrät er schon mal vorab das größte Geheimnis der Reality-TV-Branche: "Authentizität ist wichtig. Und ein Reality-Star muss hilfsbereit sein, echt und unterstützend". Potzblitz. Wer hätte das gedacht?
Aber naja, was will man erwarten von einem Mann, der vor sechs Jahren mal einen trüben Frühling lang den TV-Rosenkavalier gegeben hat und sich deswegen heute so beschreibt: "Ich wurde ja vom Klosterschüler zum sexy Bachelor".
Da zeigt sich an Sympathie-Granate El Romantico mal wieder ein weit verbreitetes Phänomen: Man bekommt den Jungen aus der Klosterschule, aber man bekommt die Klosterschule nicht aus dem Jungen. Denn das nächste, was Oliver Sanne zum Besten gibt, ist folgende Geschichte: "Ich hatte schon mal so einen Leder-Tanga mit Reisverschluss an". Der Nachmittag ist plötzlich so zotig geworden, Sam ist noch Stunden später fix und Fetisch.
Doppel-Fiasko: Zuschauer wählen Oliver raus
Der zart besaitete Jüngling beichtet sogar: "Lack und Leder ist nichts für mich. Ich stehe auf Blümchensex". Ich weiß nicht, wie Jasmin Wagner das findet, aber war Sam nicht glücklich vergeben? Auch Christina fühlt sich mit Sannes Sex-Offensive nicht wohl. Solidarisch mit Sam und seiner leichten Buchstaben-Allergie gesteht sie: "Ihr bringt mich damit in Verlegung". Aha. Verlegung? Druckt sie Sannes Buch etwa direkt selber? Man weiß es nicht. Für Oliver Sanne hat es sich danach jedenfalls aus ge-el-romanticot. Die Zuschauer schmeißen ihn raus. Sam und Christina ziehen ins Halbfinale ein.
Um sich nicht die vollen zwei Stunden nur mit Sams Haaren und Olivers toxischer Männlichkeit beschäftigen zu müssen hat RTL dann noch wie immer einige Abgesandte eines alten Dschungelcamp-Jahrgangs im Studio. An Tag neun sind das Peer Kusmagk und
Dann jedoch, und hier bitte ich zu beachten, dass der Ironie- und Sarkasmus-Modus dieser Kolumne für die letzten Sätze am heutigen Tag deaktiviert ist, möchte ich kurz ernst werden:
Was im Dschungelcamp 2011 mit Sarah Knappik gemacht wurde, unter anderem von ihren Show-Kollegen Jay Khan, Indira Weis und Mathieu Carrière, ist unverzeihlich und verachtenswert. Es sprengt alle Grenzen des Miteinanders, vor allem während einer TV-Sendung, die von einem Millionenpublikum verfolgt wird.
Wenn Kandidaten zur Zielscheibe werden
Sarah Knappik wurde damals durch eine Melange aus Lügen, Hetze, Ungerechtigkeiten, Anfeindungen, Beleidigungen und Lästereien zu einer Leidtragenden, die der damalige Dschungelkönig Peer Kusmagk in der Nachbetrachtung heute als "das erste öffentliche Mobbing-Opfer der Nation" bezeichnet.
Alle Beteiligten, auch der ausstrahlende Sender, können sehr froh sein, dass Sarah Knappik eine so starke Persönlichkeit ist, dass sie diesen orchestrierten Frontalangriff auf ihre Person überstehen konnte.
Natürlich: Wer als Kandidat in den Dschungel geht, weiß, worauf er sich einlässt. Er wird zu einer Art Känguru-Hoden-Witzfigur für die Nation und zur Zielschreibe teilweise bitterböser Häme, die kübelweise über ihn ergossen wird. Von den Moderatoren, von der Öffentlichkeit, von den Medien und ja, auch von mir, zum Beispiel in dieser Kolumne.
Allerdings mit einem Unterschied: Sarkasmus, Ironie und Wortwitze über die vermeintlichen Unzulänglichkeiten der Kandidaten oder billige Sprüche über einen ihrer Fauxpas gehören zu diesem Spiel dazu. Es ist die Antriebsfeder des Genres Trash-TV. Das kann mal lustig finden oder bescheuert, es ist ein freies Land. Das was mit Sarah Knappik passiert ist, kann man nicht lustig finden. Einen Menschen zu erniedrigen ist kein Werkzeug der Entertainment-Industrie. Bitte vergessen Sie das nicht. Bis morgen.
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