"Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" ist psychologisch durchchoreografiert. Mit zentralen Elementen des Ekels und der Erniedrigung wird der Zuschauer an den Fernseher gefesselt. Eine Strategie, die jedes Jahr aufs Neue aufgeht.
Jedes Jahr im Januar holt das Dschungelcamp bei RTL einen Quotenrekord nach dem anderen. Dieses TV-Event zieht Millionen von Menschen vor die Fernseher. Aber warum schauen wir das Dschungelcamp, bei dem sich "Promis", die man teilweise gar nicht kennt, selbst zur Schau stellen und von RTL bei ekligen Dschungelprüfungen erniedrigt werden?
Die Antwort auf dieses "Warum" ist recht simpel: Das RTL-Dschungelcamp befriedigt einige unserer ureigenen menschlichen Bedürfnisse. Diese reichen von Machtgefühl und Schadenfreude bis hin zur Steigerung unseres Selbstwertgefühls, indem wir uns mit den Teilnehmern vergleichen.
"Aus der Sozialpsychologie wissen wir, dass der soziale Vergleich immer dann gut funktioniert, wenn wir uns nach unten vergleichen können. Das gelingt, wenn wir dafür Personen heranziehen, die eher scheitern als wir. Der Abwärtsvergleich lässt uns erhaben dastehen. Und beim Dschungelcamp ist meist genau dieses Angebot vorhanden. Macht sich dann dort jemand lächerlich, fühlt man sich als Zuschauer gleich besser", erklärt Medienpsychologe und Professor Frank Schwab dieses Phänomen.
Bei den Promis im Dschungelcamp handelt es sich meist um gescheiterte Existenzen oder Personen, die um jeden Preis ins Rampenlicht wollen. Es fällt uns leichter, über solche vermeintlich nicht erfolgreichen Persönlichkeiten zu lästern und uns darüber auszulassen, wenn diese eine Dschungelprüfung abbrechen oder dabei nicht erfolgreich sind.
Ekel als zentrales Element im Dschungelcamp
Weitere Bedürfnisse, die beim quotenstarken TV-Event im australischen Dschungel bedient werden, sind Unterhaltung und Spannung – und zwar vor allem durch Ekel. "Beim Dschungelcamp ist Ekel das zentrale Element. Das zieht einfach immer. Wenn ein Teilnehmer in der Dschungelprüfung Känguruhoden essen oder in Kakerlaken baden muss, ist es spannend zu sehen, ob er daran scheitert oder seinen Ekel überwinden kann", erklärt der Experte. Schafft derjenige es nicht, kommen wir dank Schadenfreude auch auf unsere Kosten.
"Das gelingt aber nur dann, wenn wir uns nicht empathisch auf das Opfer einlassen. Sonst entsteht das Gefühl des Fremdschämens. Wer dazu neigt, hält das Dschungelcamp unter Umständen weniger lange aus und muss schneller umschalten. Dann werden solche Situationen nicht als witzig oder unterhaltsam empfunden", erläutert Schwab.
Zuschauer haben die Macht über das Schicksal der Kandidaten
Auch unsere moralischen Werte und Standpunkte werden durch die Geschehnisse im Dschungelcamp aktiviert. "Wir entwickeln Sympathie für manche Kandidaten und eine regelrechte Abneigung gegen andere. Werden die Blender, Angeber, Lügner oder Nervensägen dann durch Dschungelprüfungen 'bestraft', befriedigt das unser eigenes Gerechtigkeitsgefühl", sagt Schwab.
Dadurch, dass der Zuschauer aktiv mit einbezogen wird, entsteht zudem ein Gefühl von Überlegenheit und Macht. Durch ihre Anrufe können die Menschen vor dem Fernseher entscheiden, wer in die nächste Dschungelprüfung muss, oder wer womöglich ganz aus dem Camp fliegt. Die Entscheidung wird den Zuschauern überlassen – außer, der Kandidat entscheidet sich selbst für seinen Ausstieg.
Einen nachhaltigen Effekt auf unser Verhalten im Alltag hat das Dschungelcamp laut Schwab eher nicht: "Wir werden nicht zu einem schlechteren Menschen oder entwickeln moralisch bedenkliche Verhaltensweisen nur weil wir dieses TV-Format schauen."
Warum das Dschungelcamp Quote bringt
Aus medienpsychologischer Sicht werden beim Dschungelcamp viele Elemente kombiniert, um beim TV-Publikum diverse Emotionen hervorzurufen. "Auch die Auswahl der Kandidaten ist kein Zufall. Teilnehmer, von denen erwartet wird, dass sie polarisieren, werden ganz bewusst dafür gecastet", erläutert Schwab die Herangehensweise der TV-Macher.
Zwar polarisiert das Dschungelcamp seit seiner ersten Ausstrahlung im Jahr 2004. Dadurch schafft es RTL aber auch, immer mit der Sendung im Gespräch zu bleiben – egal, ob unter Freunden, im Büro oder innerhalb der Familie.
Selbst unter denjenigen, die es gar nicht schauen, wird es dadurch irgendwie zum Thema. Auch wenn sich am Format an sich nicht viel ändert und die "Promis" immer noch unbekannter erscheinen, ist das Dschungelcamp Jahr für Jahr ein Quotenhit.
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