Was haben Schwertschlucken, Bungeespringen und Tätowieren gemeinsam? Genau, man sollte es können. Doch wo man bei ersteren bei Misslingen in der Regel nur sich selbst schadet, trägt beim Tätowieren die Folgen meist ein anderer. Und dass die nicht ohne sind, zeigte gestern Abend die neue Folge von "Horror Tattoos" bei Sixx.
Man weiß gar nicht mehr genau, wann es angefangen hat. Es muss irgendwann in den Nullerjahren gewesen sein, als das Hilfe-Fernsehen Einzug hielt. Plötzlich wimmelte es auf allen Kanälen von Beratern, Rettern und sonstigen Heilsbringern. Seitdem tummeln sich im Fernsehen Kindererziehungsberater, Haushaltsberater, Rechtsberater, Finanzberater, Einrichtungsberater, Hausbauberater, Schönheitsberater, Anziehberater, Ausziehberater, Abnehmberater, Ernährungsberater, Gastronomierettungsberater oder Ich-bin-ein-Freak-und-brauche-eine-Frau-Berater. Manchmal hat man beim Durchzappen das Gefühl, dass die Menschheit ohne TV-Retter nicht mehr funktioniert. Seit kurzem gibt es bei Sixx eine neue Form von Hilfe-TV: Die Tattoo-Retter. Während man bei den meisten anderen Fernsehberatern getrost davon ausgehen kann, dass man die vermeintlichen oder echten Baustellen eigentlich auch ohne fremde Hilfe hinbekommt, ist das bei versauten Tattoos aus naheliegenden Gründen anders. Dementsprechend hat die neue Sendung "Horror Tattoos" von Sixx durchaus ihre Daseinsberechtigung. Dort wurden gestern Abend nun schon zum dritten Mal ebensolche Horror-Tattoos von einem Team erfahrener Tätowierer verbessert.
"Was haste dir dabei gedacht?"
Wer die ersten beiden Folgen verpasst hat, für den kommen hier noch einmal die Regeln: Eine Gruppe von vier Profi-Tätowierern zieht durch Deutschland. Bei Massencastings können sich dann Leute mit wirklich schlimmen Tattoos (Standard-Frage: Was haste dir dabei gedacht?") mit der Entstehungsgeschichte ihres Permanent-Bildchens für eine Korrektur bewerben. Am Ende entscheiden die Profis dann, welche Horror-Tattoos sie einem sogenannten Cover-Up, also einer Überpinselung, unterziehen. Doch wer bei Horror-Tattoos nur an Jugendsünden, Suff-Tätowierungen und Hinterhof-Tattoos denkt, der kennt nur die halbe Wahrheit.
Da ist zum Beispiel Lena. Die 22-Jährige hatte sich ein Partner-Tattoo mit ihrem Verlobten stechen lassen. Doch irgendwann hat sie kalte Füße bekommen und Schluss gemacht. Was sie erst später erfuhr: Ihr Freund hatte sie zuvor betrogen. Geblieben ist ihr die eine Hälfte des Partner-Tattoos. Oder die Geschichte von Daniela. Sie hatte sich mit 16 Jahren von ihrem ersten Azubi-Gehalt einen schwarzen Panther tätowieren lassen. Oder zumindest etwas, das an einen Panther erinnern könnte. Denn was sie nicht wusste: Ihr "Tätowierer" war selbst Auszubildender und hatte sich die Nadel geschnappt, während der Chef zu Tisch war. Mahlzeit. Das Ergebnis sollen die TV-Tätowierer nun wieder retten.
Mehr oder weniger einfühlsam ("Das sieht ja auf'm Foto schon schlimm aus, aber live ist es noch 'nen Zacken schärfer") hören sich die Tätowierer die Geschichten der Geplagten an. Die reichen von persönlichen Schicksalsschlägen bis zu Klischee-Storys von selbsternannten "Profi-Tätowierern", aber alle Kandidaten eint ein Gedanke: Das Ding muss weg.
Mit heißer Nadel gestrickt
Am Ende schaffen es dann Mark, dem der Hautkrebs ein Narben-Tattoo hinterlassen hat, Katie, Opfer einer missglückten Laser-Entfernung und Nervenbündel Jessica, die mit ihrem Tattoo das reihenweise Ableben ihrer Familienmitglieder verbindet, unter die Nadel der Profis. Der Haken: Die Tätowierer haben zur Umsetzung nur acht Stunden Zeit.
Nun lässt sich über Geschmack ja immer streiten, aber ob selbst auferlegter Zeitdruck beim Verbessern schiefgegangener Tätowierungen die beste Herangehensweise ist, darf an dieser Stelle bezweifelt werden. Ohnehin hat man den Eindruck, dass die Sendung ein wenig mit heißer Nadel gestrickt wurde. Ständig stehen Scheinwerfer im Weg, vor den Türen postieren sich völlig grundlos irgendwo übrig gebliebenen Türsteher-Darsteller und was man so an Einspielern und Home-Storys aus anderen Casting-Shows kennt, hat man bei "Horror-Tattoos" gleich ganz weggelassen.
Am Ende ist das aber völlig in Ordnung, denn angesichts von "Horror-Shows" wie "Germany's Next Topmodel" ist man für jede Casting-Show dankbar, die nicht jeden Nonsens zum Hochglanz-Event aufbläst. Doch zurück zu den Tattoos und an dieser Stelle sei noch einmal ausdrücklich betont, dass Geschmack eben immer Geschmackssache ist. Und der Geschmack der Tätowierer scheint ein ganz eigener zu sein.
Frauen, die an Blumen lecken
Der lieben Jessi macht Tätowierer Randy aus ihrem kleinen Oberarm-Wolfskopf ein großflächiges Bild einer Frau, die sich ihr Gesicht mit einem Wolf teilt oder umgekehrt. Das Ganze erinnert irgendwie an ein Trucker-Tatoo aus den 1980er Jahren, als man sich Traumfänger an die Wand hängte und Porzellan-Harlekins ins Wohnzimmer stellte. Nicht viel besser erwischte es den armen Mark. Sein Narben-Tattoo verwandelte Nadel-Künstlerin Nancy in einen schwarzen Fleck auf der Schulter. Zumindest sieht es aus der Halbdistanz so aus. Erst in der Nähe erkennt man dann eine Schildkröte und einen Totenkopf.
Und Katie? Ihr "zauberte" Tätowierer Mick etwas auf den Oberarm, das wie ein Frauenkopf aussieht, der an einer Blume leckt. Doch, wirklich. Gefreut haben sich am Ende aber alle. Ob aus echter Überzeugung oder nur aus Freude, etwas Schlimmes durch etwas weniger Schlimmes verdeckt zu haben, darüber kann nur spekuliert werden. Fakt ist aber, dass man beim Übertätowieren das Gleiche machen sollte wie beim Tätowieren: Erstmal gründlich drüber nachdenken.
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