Während seine Lebensgefährtin den gemeinsamen Sohnemann aufzieht, betreibt Martin still und heimlich im Darknet eine gigantische Handelsplattform mit Drogen, gestohlenen Daten und gefälschten Dokumenten. Wie hat es der 31-Jährige geschafft, seine Machenschaften zu verheimlichen? Diese und andere Fragen stellte TV-Allrounder Jenke von Wilmsdorff in der dritten Ausgabe seines neuen "ProSieben"-Formats "Jenke. Crime".
Martin alias "The One" steht derzeit unter anderem wegen bandenmäßigen Drogenhandels vor Gericht. Es ist ein Präzedenzfall in der Historie der deutschen Justiz, der auch international mächtig Resonanz erzeugt. Dass der Angeklagte seine beiden Komplizen, die für den Aufbau des "Wallstreet Market", des zweitgrößten Darknet-Markts der Welt mitverantwortlich zeichneten, erst vor Gericht persönlich kennenlernt, ist eine weitere Besonderheit des Falls.
Im April 2019 wird Martin im Zuge einer groß angelegten internationalen Polizeiaktion von FBI und Bundeskriminalamt festgenommen. Er legt ein Geständnis ab, wird sich aber vermutlich dennoch in Bälde Richtung Knast aufmachen müssen. Aber der Reihe nach...
Fall Martin "The One": IT-Autodidakt taucht ins Darknet ein
Das "Wallstreet Market"-Mastermind wächst in der Baden-Württembergischen Stadt Tauberbischofsheim völlig konventionell auf. Er und sein Zwillingsbruder sind als Kind passionierte Fechter, Martin interessiert sich aber auch für Computer, Videospiele und das Programmieren. Er avanciert zum IT-Autodidakten und macht bereits im zarten Alter von 14 Jahren erste Erfahrungen im Darknet. "Es hatte für mich etwas Geheimnisvolles. Und so bin ich immer weiter eingetaucht", blickt er heute zurück. Das Darknet, also das "dunkle Netz", darf man sich als virtuelles Hinterzimmer vorstellen, das nicht ganz so einfach zu erreichen ist und seinen Usern weitgehend Anonymität offeriert.
"Hier gibt es nichts, was es nicht gibt"
Für Geld ist im Darknet jedenfalls so ziemlich alles zu haben – Drogen, gestohlene Kreditkarten, Covid-19-Vakzine und sogar Auftragsmorde. "Hier gibt es nichts, was es nicht gibt", weiß Matthias Nehls, Geschäftsführer der "Deutschen Gesellschaft für Cybersicherheit". Martins "Wallstreet Market", den er gemeinsam mit den Darknet-Komplizen "Kronos" und "Coder 420" aufgebaut hat, darf man sich als eine Art Amazon für Illegales vorstellen, wo Rechnungen ausschließlich mit Kyrptowährungen beglichen werden.
Martins neue Handelsplattform im Darknet reüssiert rasch mit schwarzen Geschäften und sorgt für unzählige zufriedene Kunden, die vorbildlich ihre positiven Bewertungen hinterlassen. "Man war sehr darauf bedacht, dass keine betrügerischen Angebote auftauchen", offenbart Staatsanwältin Julia Bussweiler. Dass die direkte Konkurrenz – "AlphaBay" und "Dream Market" – in dieser Zeit vom FBI hochgenommen wird und offline gehen muss, ist dem eigenen Erfolg natürlich zuträglich. Ross Ulbricht, Betreiber des Online-Schwarzmarkts "Silk Road" wird in dieser Zeit zu einer zweifachen lebenslangen Haftstrafe ohne Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung verurteilt. Dem längst im Kriminal agierenden Martin tangiert das nur marginal: "Damals war ich blind und verdiente viel Geld – da war kein Platz für Reflexion."
"Jenke. Crime": Doppelleben par excellence
Parallel zu seinen dunklen Machenschaften, mit denen er letztlich Millionen generiert, geht Martin erstaunlicherweise stets einem konventionellen Beruf als Elektroniker nach. Nebenberuflich ist er auch noch im Online-Marketing tätig. "Seine Tür zu seinem Homeoffice war sogar immer offen, aber ich hab nie irgendetwas bemerkt oder gesehen", so Martins Lebensgefährtin und Mutter seines heute fünfjährigen Sohnes.
Auch der Zwillingsbruder ahnt nicht, was hinter Martins formidabel errichteter Fassade abgeht. Auch er hat keine Ahnung vom Doppelleben des Bruders.
Exit-Scam: betrügerischer Ausstieg
Doch inzwischen sind die Fahnder Martin auf den Fersen. "Die Ermittlungen, an der verschiedene Länder beteiligt waren, begannen Ende Oktober 2017", erzählt Staatsanwältin Bussweiler. Zunächst keine einfache Angelegenheit, denn Martins Server stehen in einem Bunker in Deutschland.
Der Übeltäter selbst bekommt von den Ermittlungen nichts mit. Seine Pläne in dieser Zeit: "Wir wollten aufhören. Es wurde zu viel, und auch das Privatleben litt darunter", erzählt er in "
Ein Exit-Scam, zu Deutsch "Ausstiegsbetrug", ist Betrug, bei dem ein Unternehmen Vorauszahlungen für bestellte Waren oder Dienstleistungen vereinnahmt, ohne die vereinbarte Gegenleistung zu erbringen, und damit vom Markt verschwindet. "Das waren schon ein paar Millionen Euro", gesteht Martin. Doch aus dem Exit-Scam wird nichts, denn am Abend des 23. Aprils 2019 erfolgt ein groß angelegter Zugriff.
Das Ende und der Zugriff im Frühjahr 2019
Als er an diesem Abend nach Hause kommt, stürmen vor seiner Haustür Männer mit Masken, gezogenen Waffen und Taschenlampen auf ihn zu. "Ich lag sofort in Handschellen und mit einem Knie im Rücken da", erzählt er. Die Wohnung wird über sieben Stunden durchsucht, wobei die Beamten auch über 100.00 Euro in einem Schuhkarton unter dem Fernseher finden. Bei der Verhaftung der drei "Wallstreet Market"-Verantwortlichen stellen die Ermittler Bitcoins im Wert von mehreren hundert Millionen sicher.
Für seine Verhaftung legt Martin aber die Fährte selbst. Zum Verhängnis wird ihm eine Zahlung auf sein Konto, die seitens der Ermittler nachverfolgt werden kann und ihn aus der Anonymität holt. "Es war eine Unachtsamkeit sowie dumm und fahrlässig", so der Cyberkriminelle heute. Dass parallel dazu der "CyberBunker" – ein-Rechenzentrums, das über Jahre hinweg die Infrastruktur für das Darknet bereitstellte, auffliegt, spielt den Ermittlern in die Karten. Auch Martins Server wurden dort gehostet.
Zelle mit Holzpritsche und Loch im Boden
Die Verhaftung schlägt auch international Wellen. "Ich war wirklich komplett am Boden und hab das gleich unserem Vater erzählt, der das erste Mal völlig sprachlos war", so der Zwillingsbruder, der von der Tragweite erst in den Medien erfährt. Sein Bruder kommt jedenfalls umgehend in Untersuchungshaft "und in eine Zelle mit Holzpritsche und Loch im Boden", wie es verrät. Dank seinem Geständnis darf Martin nach einem Monat vorerst wieder raus.
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Urteil demnächst – alles ist möglich
Am 28. April 2021 startet der Prozess in Frankfurt. An diesem Tag lernt Martin auch erstmals "Kronos" und "Coder 420" persönlich kennen. "Das ist extrem komisch, die beiden heute zu treffen", gesteht Martin im Vorfeld. Die Frage, wer wen belastet, sei auch keine uninteressante.
Das Gericht tagt insgesamt drei Stunden. Danach erfährt Martin, dass die Staatsanwaltschaft für ihn 7,5 Jahre Haft gefordert hat. Das Urteil wird in den nächsten Wochen erwartet. Durch Martin und den "Wallstreet Market" fällt nun ein wenig Licht ins Darknet.
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