Auf diesen Film hat die Hip-Hop-Szene gewartet: "Straight Outta Compton" erzählt die Geschichte vom Aufstieg und Fall einer der einflussreichsten und kontroversesten Rap-Crews der Welt: den Urvätern des Gangsta-Rap N.W.A. Leider wird der Film der Legende nur bedingt gerecht.

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Man muss kein Hardcore-Fan sein, um zu wissen, dass das N.W.A.-Biopic genauso heißt wie ihr millionenfach verkauftes Debütalbum. Man muss aber zumindest einigermaßen textsicher sein, um zu merken, dass der Film mit derselben Zeile beginnt wie der Song "Straight Outta Compton": "You are now about to witness the strength of street knowledge." Und noch bevor man sich über diese Erkenntnis zu Ende gefreut hat, steckt man schon mittendrin im Straßenkrieg von Compton Ende der 80er-Jahre.

Wie ein klassischer Rap-Song

Die Kamera folgt zunächst dem Kleinkriminellen Eric Wright (Jason Mitchell), der später als Eazy-E das ständig auf Hochtouren laufende Herz von N.W.A. sein wird. Bei einem seiner Drogengeschäfte steht der knapp 20-Jährige kurz davor, abgeknallt zu werden. Seine Rettung ist ausgerechnet eine Polizeirazzia, die zu einer atemlosen Verfolgungsjagd durch das heruntergekommene Viertel von Los Angeles führt.

Wie bei einem klassischen Rap-Song geht es weiter mit dem sogenannten "Introducing": Als nächstes wird Dr. Dre (Corey Hawkins) vorgestellt, das Nervensystem von N.W.A. Er liegt mit (was sonst?) Kopfhörern auf dem Boden seines Kinderzimmers, inmitten eines Vinylmeeres und atmet mit geschlossenen Augen die Beats. Bis ihn seine Mutter zurück in die Realität holt und den musikvernarrten Nichtsnutz und jungen Vater aus dem Haus wirft, damit er sich endlich einen anständigen Job sucht und um seine Familie kümmert.

Ohne Pause geht es weiter zum Hirn von N.W.A.: Ice Cube (dargestellt von O'Shea Jackson Jr., dem leiblichen Sohn von Ice Cube). Er sitzt im Schulbus, beobachtet weiße College-Girls, die im Cabrio sitzen und Tears For Fears hören, macht sich seine Gedanken und schreibt sie in sein Notizbuch. Wenig später hat auch er eine Knarre im Gesicht – der Schulbus wird von einer Straßengang gekapert, die einen von Ice Cubes Mitschülern zur Schnecke macht.

Ein freundliches Milieu sieht definitiv anders aus. Aber ein freundliches Milieu hätte eine Formation wie N.W.A. auch nicht hervorgebracht. Etwas mehr als eine Stunde lang erzählt "Straight Outta Compton", wie aus E, Dre, Cube sowie MC Ren und DJ Yella die Niggaz With Attitude wurden und wie die fünf Underdogs sich mit unbedingtem Willen, Talent und Ausdauer an die Spitze der Westcoast-Rap-Szene gesetzt haben.

Bandgeschichte trifft Gesellschaftskritik

Regisseur F. Gary Gray lässt dabei keinen Raum für Zweifel, dass N.W.A. mindestens die wichtigste Hip-Hop-Formation der Welt war. Und er lässt ebenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, dass er es ernst meint mit seiner Geschichtslektion. Denn parallel zur Bandgeschichte wird Gesellschaftskritik geübt: Polizeiwillkür und der alltägliche Rassismus im sozialen Brennpunkt Compton sind ebenso Thema wie die Mechanismen der Musikindustrie, die zum Auseinanderbrechen von N.W.A. beigetragen haben.

Das allein würde schon Stoff genug bieten für die epischen zweieinhalb Stunden, die "Straight Outta Compton" dauert. Aber weil die Geschichte weitaus komplexer gestrickt ist, bleibt die pumpende Energie der ersten Hälfte in der zweiten Hälfte fast auf der Strecke. Denn hier wird nur noch ein Punkt nach dem anderen abgehakt: die Solokarrieren von Ice Cube und Dr. Dre, die daraus erwachsenden Karrieren von Musikern wie Snoop Dogg, Tupac Shakur oder Eminem, die öffentliche Empörung nach der Misshandlung des farbigen Taxifahrers Rodney King durch prügelnde Polizisten, der Freispruch seiner Peiniger und die anschließenden Rassenunruhen in Los Angeles. Und natürlich: Der tragische Tod des einstigen N.W.A.-Mitglieds Eazy-E, der mit nur 31 Jahren seiner Aids-Erkrankung erlag.

Zwischen Oberfläche und Heldenverehrung

Es steht außer Frage, dass jeder dieser Aspekte erwähnt werden muss, um dem Phänomen N.W.A. auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Weil die schiere Menge an zusätzlichen Erzählsträngen aber keinen Raum für Tiefe lässt, bewegt sich der Film zum Ende gefährlich zwischen Oberfläche und simpler Heldenverehrung - und wird der Legende damit leider nur bedingt gerecht. Ignorieren sollte man den Film deswegen allerdings nicht. Denn schlussendlich überwiegt die Faszination, die auch heute noch von N.W.A. ausgeht.

"Straight Outta Compton" startet am 27. August in den deutschen Kinos.

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