Bei "Love Is Blind: Germany" lernen sich 30 Singles kennen, ohne sich zu sehen. Mehr gibt es erst nach dem Heiratsantrag – bis der erste Blick sie scheidet.
Ekstatisches Klatschen, hysterisches Lachen und eine Garderobe, wie sie nur zwei bis zwölf Gläser Prosecco zulassen, das kann eigentlich nur eines heißen: Der "Bachelor" ist zurü … Moment, Stopp, alles noch einmal von vorn. Nicht der dauergrinsende Muskelmann von RTL blickt einem aus dem Fernseher entgegen, nein, es ist der, wie Kenner es nennen, neue "Gold Standard" der Datingshows: "Love Is Blind", jetzt endlich auch in Deutsch.
Am 3. Januar startet das Format auf Netflix, das Prominente wie
Die behäbige Rudi-Carrell-Show und ihre Trennwand steckt auch ein wenig in der Datingshow, vor allem ist "Love Is Blind: Germany" aber der uneheliche Liebes- oder Hass-Spross, das ist Auslegungssache, von "Der Bachelor" und "Hochzeit auf den ersten Blick". 30 Frauen und Männer treffen in sogenannten "Pods" aufeinander, zwei durch eine Wand abgetrennte Räume. Sie können miteinander reden, sehen sich aber nicht.
So sollen sie eine emotionale Verbindung aufbauen, ganz ohne störende Libido. Ist das geschafft, geht es direkt zum Heiratsantrag. Wird der angenommen, dürfen sich die beiden sehen und in eine gemeinsame Wohnung ziehen – um die Hochzeit zu planen. Der ganz normale Ablauf einer Beziehung im Reality-TV.
Mit den Tattoos und Muskeln im Sakko bleiben die Manieren erhalten
In Deutschland produziert die Show Redseven Entertainment, ein Subunternehmen von ProSieben, das unter anderem "Germany’s Next Topmodel" und andere Reality-Formate an die Frau oder den Mann bringt. Das erklärt die Machart von "Love Is Blind: Germany": Es wird viel in Zeitlupe gelaufen, alle Teilnehmer sind stets gekleidet, als warte der nächste Abschlussball auf sie, nach 15 Minuten fließen die ersten Tränen. Wird es dramatisch, klimpert im Hintergrund ein Klavier.
Das wichtigste Utensil von "Love Is Blind" ist ein riesiger goldener Kelch, den alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer unentwegt von Zimmer zu Zimmer tragen. Der Inhalt: unbekannt. In den USA verklagten einige ehemalige Kandidaten die Produktionsfirma: Sie seien ständig zum Alkohol trinken animiert worden, ohne Wasser und Essen zu bekommen. Was einen Hinweis über den Inhalt des Kelchs geben könnte.
Ansonsten lernen die Zuschauer von "Love Is Blind: Germany" vor allem, in wie vielen Stellungen sich Menschen auf eine Couch drapieren können: sitzend, sitzend davor, sitzend davor mit ausgestreckten Beinen, liegend, liegend seitlich. Die Dialoge drehen sich um Sternzeichen ("Er ist halt ein Doppel-Skorpion, ich weiß nicht...") und winden sich nach einigen Minuten gen Drama: toxische Kindheiten und Ex-Partner.
Was "Love Is Blind: Germany" wohltuend von den Krawall-Formaten auf RTL unterscheidet, ist, dass zumindest in der ersten Folge der neuen Datingshow all das Gezicke, Gebalze und Mackertum entfällt, das sonst diese Art von Format dominiert. Mit den Tattoos und Muskeln im Sakko bleiben die Manieren erhalten.
Man kennt sich schließlich schon 53 Sendeminuten
Auch nervige kommentierende Sprecher mit hölzernen Texten gibt es nicht, das Moderatoren-Paar Steffi Brungs und Chris Wackert-Brungs hält sich bis zur Unkenntlichkeit zurück. Das lässt mehr Raum für die Teilnehmer der Show. Die sind weitgehend "normal", von statistischen Ausreißern abgesehen. Marcel zum Beispiel will seinen "Verantwortungsradius auf der Welt erfüllen", er lebt vegan, betreibt "Ecstatic Dance", ist konsumkritisch – und Marketing-Manager.
Trotzdem kommt es am Ende der ersten Folge, wie es kommen muss: Einer der Kandidaten geht vor der Wand auf die Knie, fragt: "Möchtest du den nächsten Schritt gehen und meine Frau werden?" Die potenzielle Gattin auf der anderen Seite kreischt, es wird gehüpft, durch die Hände vor Augen und Mund schlüpft ein "Ja!", man kennt sich schließlich schon 53 Sendeminuten.
Jetzt gilt es nur noch zu entscheiden, ob das Gegenüber auch heiratskompatibel ist, zumindest für die Dauer der Dreharbeiten. Die Auflösung folgt, natürlich, erst in Episode zwei. Es ist schließlich Reality-TV, ohne Drama geht es nicht. Und davon gibt es in den nächsten Folgen reichlich.
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