Nadja Abd el Farrag bei "Raus aus den Schulden" - für Fernsehliebhaber sind das gleich zwei Probleme in einem. Tatsächlich lässt das gestrige Promispezial den Zuschauer etwas ratlos zurück. Immerhin ist am Ende zumindest Naddel um eine Diagnose reicher.
Bei Naddel nicht nach "warum?" fragen
Es gibt etwas, das sollten Fernsehzuschauer nicht allzu oft tun: nach dem Warum fragen. Es gibt Sendungen, da leuchtet einem der Grund ihrer Existenz sofort ein.
Dann aber gibt es Sendungen, da können für die Beantwortung der Sinn-Frage Wochen, ja sogar Monate ins Land gehen - ohne, dass man am Ende einer Antwort auch nur einen Schritt näher gekommen wäre.
Bei einem Promispezial von "Raus aus den Schulden" mit Nadja Abd el Farrag geht die Einsortierung der Sendung angesichts der medialen Überpräsenz von Frau Abd el Farrag reflexartig in Richtung der zweiten Kategorie.
Aber widmen wir uns der Beantwortung der Warum-Frage einmal ganz unvoreingenommen.
Abd el Farrag bei Peter Zwegat: wieso, weshalb, warum
Warum also sollte man sich das gestrige Spezial mit Frau Abd el Farrag ansehen? Gehen wir die Gründe mal der Reihe nach durch:
- Grund eins: Man interessiert sich wirklich für das, was Nadja Abd el Farrag so macht. Die persönlichen Beweggründe mag jeder selbst recherchieren, aber insgesamt doch ein einleuchtender Grund, den man gelten lassen kann. Schließlich ist eine Sendung über das finanzielle Schicksal von Frau Abd el Farrag in der Tat eine mittelschwere Gelegenheit, etwas über ebenjene zu erfahren.
- Grund zwei: Das persönliche Schicksal von Frau Abd el Farrag ist einem mehr oder weniger egal, man legt eher Wert auf das mediale Beiwohnen einer Schuldnerberatung, weil es in der eigenen Kasse vielleicht auch nicht so gut aussieht. Ein durchaus veritabler Grund, vielleicht kann man bei
Peter Zwegat ja noch etwas Brauchbares aufschnappen. - Grund drei: Außer, auf einem Drachen zu reiten und das Bernstein-Zimmer zu finden, hat man schon alles gemacht. Nur das "Raus aus den Schulden"-Promispezial mit Naddel gucken steht noch auf der To-do-Liste. Dagegen kann man natürlich nur wenig einwenden. Dinge müssen erledigt werden.
Eine Diagnose für Naddel
Wie aber ist RTL auf diese drei Gründe vorbereitet? Auf Grund Nummer eins jedenfalls ganz passabel. So erfährt man gestern, dass Frau Abd el Farrag mal bei einem befreundeten Hotelier, mal bei Mutti und mal bei einer Freundin unterkommt und ebenso wenig eine eigene Wohnung hat wie regelmäßige Einnahmen.
Und wo wir gerade dabei sind, recherchiert Herr Zwegat noch, dass sie keine Alkoholikerin ist, keine Magersucht hat, die Boulevard-Medien gerne einmal ungünstige Fotos von ihr veröffentlichen, sie einmal in einem Altenheim gearbeitet hat, manchmal beim Gehen etwas taumelt, ALG II bekommt und nicht zuhören kann.
Da Spürnase Zwegat schon nach den ersten Gesprächen mit Abd el Farrag wittert, dass "irgendwas is", bekommt sie am Ende auch noch die Erklärung für "viele Ausrutscher" in der Vergangenheit: Nadja Abd el Farrag hat ADHS. Für alle, die mehr über Frau Abd el Farrag wissen wollten, ist das doch schon ganz ordentlich.
Neustart auf Mallorca
Diejenigen hingegen, die mehr am Finanziellen interessiert waren, hatten nicht so viel Glück. Eine richtige Schuldnerberatung war das gestern Abend nämlich nicht - gehören dazu doch Schulden. Die waren bei Frau Abd el Farrag vergleichsweise überschaubar. Knapp 10.000 Euro stehen noch ihrer Mutti zu, ansonsten bekommt die österreichische Sozialversicherung noch 3.500 Euro.
Mit einem Trip nach Wien konnte Zwegat das Problem schnell aus der Welt schaffen und sich so der Jobvermittlung - der Wunderwaffe gegen finanzielle Engpässe - widmen.
Einen potenziellen Job als Altenpflegerin schlägt Abd el Farrag aber aus, stattdessen heuert sie erst auf einem Party-Dampfer von Travestie-Künstlerin Olivia Jones an, um später der Einladung einer deutschen Gastronomin nach Mallorca zu folgen und unter deren Fittichen ihre Sangeskarriere anzukurbeln.
Dass der Fall Abd el Farrag denkbar ungeeignet ist, um als Weiterbildungssendung für Schuldner durchzugehen, muss nach vorangegangenem Absatz nicht lange erklärt werden. Wer zudem schon wusste, dass man für ein sorgenfreies Leben mehr Einnahmen als Ausgaben haben sollte und dafür zum Beispiel etwas arbeiten könnte, für den bot die gestrige Promi-Folge von "Raus aus den Schulden" nur wenig Neues.
Was ist mit "Naddel" los?
Aber deswegen, Hand aufs Herz, hat man ja auch nicht eingeschaltet und deswegen wurde das Ganze ja auch nicht gefilmt und ausgestrahlt. Hier geht es für den Zuschauer darum zu sehen, was eigentlich mit "Naddel" los ist. Der Boulevard war ja voll mit vermeintlichen Suff-Bildern und einer angeblich abgestürzten Nadja Abd el Farrag. Ist sie also wirklich so tief gefallen?
Peter Zwegat jedenfalls meint ja. "Ich glaube, dass Sie im Augenblick im freien Fall sind", erklärt ihr der Schulden-Dompteur aus Berlin und bei jedem anderen Klienten hätte man ihm vielleicht beigepflichtet. Aber hier geht es um Nadja Abd el Farrag. Jemand, der nicht gerade verdächtig ist, sich schnellstmöglich zurückzuziehen, sobald bei einer Kamera das rote Lämpchen angeht.
Hier geht es um RTL, das mit seinem Stil, menschliche Schicksale möglichst dramatisch zu zeigen, genau davon lebt. Schwer zu sagen also, ob das alles so stimmt. Was ist Vermarktung, was ist kalkulierte Nabelschau, was ist RTL-Dramatisierung, was Wirklichkeit?
Man mag vielleicht beiden Seiten Unrecht tun, aber am Ende weiß man einfach nicht, wer da gerade wem hilft. RTL der Frau Abd el Farrag, indem der Sender ihr die Währung der Medienbranche (nämlich Aufmerksamkeit) verschafft – und vielleicht den einen oder anderen Job und eine Wohnung. Oder aber Frau Abd el Farrag RTL, weil ihr Name immer noch zieht - und zwar Zuschauer vor den Fernsehapparat.
Irgendwie ist es, als ob man hier einer Katze zusieht, wie sie sich 90 Minuten lang in den Schwanz beißt. Da erübrigt sich dann auch irgendwann die Frage nach dem Warum.
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