Conchita Wurst ist zurzeit in aller Munde. Als eine von zwölf Grazien stöckelt sie in der RTL-Trashsendung "Wild Girls" durch die Wüste Namibias. Im Interview spricht sie über Zickenkrieg, Toleranz und Rotz im Bart.
Die erste Sendung von "Wild Girls" ist gelaufen. Wie war's?
Ein großes Lob gab es vom Spiegel, der Sie als die "interessanteste Wüstendame" und "angenehm unhysterisch" bezeichnet. Kommt das überraschend?
Wurst: Überraschend? Weiß ich nicht. Ich finde es schön, weil das bin ich auch tatsächlich. Vielleicht bin ich zu langweilig. Aber es freut mich, dass es als angenehm empfunden wird, dass ich mich nicht so sehr in den Mittelpunkt dränge wie das viele vielleicht gedacht haben.
Glauben Sie, viele haben im Vorfeld damit gerechnet, dass Sie da so richtig reinkrachen?
Wurst: Natürlich! Was denken Sie sich denn, wenn Sie eine Dragqueen sehen - mit Bart? Da glaubt man natürlich, die sind laut und lustig... wobei: lustig bin ich. (lacht) Da denkt man, die sind wahnsinnig extrovertiert und überbrüllen alles, aber so bin ich nicht. In Wahrheit bin ich relativ schüchtern.
Wenn man so schüchtern ist, warum setzt man sich ausgerechnet ins Wüstencamp?
Wurst: Die Frage habe ich natürlich oft gestellt bekommen. Aus beruflicher Sicht: Ich habe in Deutschland noch nicht stattgefunden und habe mir gedacht, das wäre ein netter Weg, mich vorzustellen. Ich wollte so authentisch wie möglich sein - ob das nun gut oder schlecht für mich ausgeht, war mir dann egal.
Rückblickend war es eine wunderschöne Zeit. Vor allem die Naturspektakel in Afrika rauben mir immer noch den Atem. Ich habe alles so gemacht, wie ich es machen wollte - und so, wie ich es auch ohne Kamera machen würde. Wenn es den Leuten gefällt, freut mich das wahnsinnig.
Aber Hand aufs Herz: Es kostet doch Überwindung, sich mit
Wurst: Ich war in einer Mädchenschule, ich bin abgehärtet. Außerdem kann man das nur sagen, wenn man sie nicht kennt. Ich werde ständig auf den Zickenkrieg angesprochen. Den gab es natürlich, aber ich war da nie involviert und - das ist wirklich langweilig - ich hatte mit keiner einzigen Stress. Auch mit Fiona und auch mit Sarah Knappik hatte ich Spaß.
Ich kannte sie nur aus dem Dschungelcamp und hatte genauso meine Vorurteile. Aber im Endeffekt sind das alles hart arbeitende Frauen, sehr intelligent und haben viel mehr zu bieten, als sie vielleicht von sich preisgeben oder wie sie dargestellt werden. Aber das steht auf einem anderen Blatt.
Was hat Ihnen im Camp gefehlt?
Man denkt im Vorfeld: "Ich werde wahnsinnig Heimweh haben", aber das war gar nicht so. Wir hatten gar keine Zeit dazu. Erst als ich in Österreich gelandet bin, dachte ich mir, "Hach schöööön, dass ihr alle da seid".
Selbst die Toiletten etc. - das war alles gar nicht so schlimm, wie es hätte sein können. Als die Himba-Dame meinte, wir müssten in den Busch gehen, hab ich ihr das geglaubt und mir gedacht "Okay, alles klar". Dann habe ich diese Dixieklos gesehen, und es war auch alles wieder gut. Man gewöhnt sich so schnell daran. Am ersten Tag hast du wahnsinnige Angst vor den Skorpionen, die da so rumlaufen, und am vierten Tag schiebst du die einfach mit deinen Schuhen weg. Ich war selbst von mir überrascht, dass ich zur Camping-Freundin geworden bin.
Das ist der Festival-Modus, wo man sich nach dem zweiten Tag ohne Dusche sagt "Ach komm, pfeif drauf!".
Wurst: Genau, so ist es. Ich finde es schön, dass man meinen optischen Verfall schon in der ersten Sendung gesehen hat. Ich hatte dann ja statt wunderschönem Haar nur mehr eine Dread. Ich habe dann auch für mich selbst beschlossen, ich beschränke mich auf das Minimum.
Wo hat das Filmteam gewohnt?
Wurst: Komisch, darüber habe ich mir gar keine Gedanken gemacht. Wir wurden ja von denen aufgeweckt und ins Bett gelegt. Das war mit der Crew nach einiger Zeit so eine Skiurlaub-Atmosphäre, wo sich jeder kannte. Ich habe zumindest nicht gesehen, dass die in Zelten neben uns geschlafen hätten. Die waren woanders untergebracht.
Hatten Sie am Anfang Bedenken?
Wurst: Natürlich! Wer hätte das nicht? Ich war vorher noch nie außerhalb von Europa unterwegs. Es war zum einen spannend, auf einen neuen Kontinent zu fliegen, und zum anderen die Wüste. Wir wussten alle nicht, was auf uns zukommt. Ich habe mir tausend Gedanken gemacht. Wo wir schlafen, wen wir treffen, ob ich gestochen werde, ob ich überhaupt überlebe? (lacht)
Wären Sie auch ins Dschungelcamp gegangen?
Wurst: Mein Credo ist "Sag niemals nie". Ich habe von Barbara Herzsprung und Sarah viel erfahren. Ich war neugierig. Für sie war es eine spannende Zeit. Mein Bauchgefühl sagt eher "Nein", weil ich mich erst einmal auf meine Musik konzentrieren will. Ich kann mir schon vorstellen, dass ich irgendwann in den Dschungel möchte, aber da brauche ich dann keine Kamera dazu.
Und keine Kamelpenisse und andere lustige Dinge...
Wurst: Ich behaupte ja von mir immer, dass ich diese Dinge alle essen würde. Aber wenn ich dann davorstehe, weiß ich nicht, ob mir das so leicht fällt. In der Hinsicht habe ich vielleicht eine zu große Klappe.
Worauf können sich die Zuschauer beim Wüstencamp freuen?
Wurst: Auf die Dinge, auf die ich mich auch freue. So viel Spaß, wie wir hatten - das kann nur noch lustiger werden. Ich kann mich an eine Szene erinnern, als ich kurz vergessen habe, dass eine Kamera läuft. Ich hatte zu viel Sand in der Nase und habe - natürlich aus Versehen - geniest. Tja, und dann hing der Rotz da. (lacht) Da bin ich gespannt, ob der da noch draufgehalten hat oder nicht. Aber vielleicht hat sich ja gerade auch jemand gekloppt. Es ist interessant zu sehen, was die Mädels in den Einzelinterviews gesagt haben. Das haben wir ja nicht mitbekommen. Für die Zuseher? Es kommen noch viele lustige Aufgaben auf uns zu.
Sie betonen, wie viel Spaß Sie mit den Frauen hatten. Sieht man sich die Sendung an, entsteht der Eindruck, jeder würde sein eigenes Süppchen kochen. Sie legen Wert darauf, authentisch zu sein, nur: Wie authentisch sind die anderen?
Wurst: Eines vorweg: Wir haben alle unser Kameragesicht. Bei einigen ist das näher an dem, wie man sich sonst gibt, bei anderen weniger. Ich war schon von der einen oder anderen überrascht - wie sie dargestellt wird oder was sie gesagt hat, weil ich das abseits der Kameras oder in Einzelgesprächen mit denen nicht erlebt hatte. Es ging keine Spitze gegen mich, also kann ich nicht behaupten, ich wäre gekränkt. Und selbst wenn, bin ich da relativ entspannt. Mich kann man nicht so leicht verärgern.
In der ersten Folge verzichten Sie darauf, den Himba zu erklären, dass Sie als Mann in Frauenklamotten ein Zeichen setzen möchten für Toleranz - und dass es ein Konzept dahinter gibt. Wie fragwürdig ist denn das Konzept, Menschen und Kameras zu einem entlegenen Stamm zu karren, der möglicherweise zuvor noch nie einen Weißen gesehen hat?
Wurst: Das Konzept ist darauf aufgebaut, dass es polarisiert. Natürlich wollen uns alle stolpern sehen. Es wird daraus gemacht, was die wollen. Die stellen das sowieso so hin, wie sie das als Produktionsteam gerne haben. Für mich war das eine Möglichkeit, fremde Kulturen kennen zu lernen. Ich bin sehr respektvoll mit den Menschen umgegangen, und das habe ich auch von ihnen erfahren. Sie waren sehr interessiert an mir, aber auf eine vorurteilslose Art. Das fand ich schön.
In Deutschland werden Sie häufig mit Lorielle London verglichen.
Wurst: Tatsächlich? Die finde ich toll, die finde ich schön. Ich bin auch auf Facebook mit ihr befreundet. (kichert)
Frau London ist ja transsexuell. Käme für Sie eine OP in Frage?
Wurst: Nein, das ist etwas ganz anderes. Eine Lorielle ist ja Realität. Sie wurde im falschen Körper geboren und lebt jetzt ihr Leben, wie sie sich wohlfühlt. Das finde ich wahnsinnig mutig. Wir Dragqueens machen Kunst. Wir überzeichnen das. Wir arbeiten mit allen Tricks, die verboten sind. Wir liften uns auch mit Gaffa. Wir haben einfach Spaß daran, für ein paar Stunden am Tag Frau zu sein - und sind dann genauso froh, die Perücke wieder abzulegen und wieder privat sein zu können. Das darf man bitte nicht verwechseln - und da herrscht auch noch viel Aufklärungsbedarf.
Ist es in dem Zusammenhang ein Vorteil, dass Themen wie die Homoehe gerade dauerpräsent sind in den Medien oder dass jeder, der hip sein will, auf den Christopher Street Day rennt?
Wurst: Vorteil? Ich finde, das kann man jetzt nicht daran festpinnen, ob das gerade ein Thema ist oder nicht. Die Gesellschaft hat einfach toleranter zu werden und es nicht mehr als Abnormalität zu sehen. Es ist genauso normal, wie 2013 noch Minipli zu tragen. Das sind alles Dinge, wo ich mir an den Kopf fasse und mir denke "Gott, wie viel Zeit verschwendet ihr alle darüber nachzudenken, ob das jetzt okay ist oder nicht."
Und ja: Es ist okay, weil niemand tut dem anderen damit weh. Es hat verdammt nochmal niemanden zu interessieren, ob ich einen Bart habe oder nicht. Wenn ich mich so gut fühle, dann ist das so. Punkt, fertig. Diesen Respekt und diese Toleranz sollte man jedem gegenüber darbringen - ob das jetzt eine Geschlechtsanpassung ist, wo sich alle das Maul darüber zerreißen, oder weil jemand weiße Socken in Sandalen anhat.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.