- Auch und gerade in Skigebieten werden die Folgen einer verpassten Klimapolitik deutlich.
- Die ARD-Dokumentation "Felix Neureuther – Skifahren trotz Klimawandel" zeigte am Montagabend, wie sehr die Wintersportregionen bedroht sind und welche Lösungen es gibt. Leider mit Mut zur Lücke.
Denkt man an die Folgen der Klimakrise, kommen einem wahrscheinlich Bilder von Sturzfluten oder von durch Dürren ausgetrocknete Felder in den Kopf. Die ARD-Dokumentation "
In der Doku macht Neureuther erst einmal eine Bestandsaufnahme: "In Deutschland gibt es elf Millionen Skifahrer", erklärt Neureuther und bezieht mit Blick auf die Alpen eine menschenzentrierte Perspektive: "Skifahren gehört zur Kultur unserer Alpen." Neureuther liebe Skifahren und dementsprechend nimmt er die Klimakrise auch dort wahr: "Ich erlebe selbst die Problematik von Klimaerwärmung und Wintersport, sehe jeden Winter, dass der Naturschnee immer weniger wird."
Damit leitet Neureuther nach wenigen Sekunden zum zweiten "Hauptdarsteller" der Dokumentation über, der Klimakrise. Hier stellt er zusammen mit dem ARD-Meteorologe
Sven Plöger: "Keinerlei Schneesicherheit mehr unter 2.000 Metern"
Doch zunächst ein paar Fakten, die Neureuther anhand von ein paar Kennziffern erklärt. So ist die Durchschnittstemperatur etwa in Garmisch-Partenkirchen innerhalb von nur 42 Jahren von 5,8 auf 9,0 Grad gestiegen, "und oben auf der Zugspitze schwindet der Gletscher", so Neureuther. Beobachtungen, die Sven Plöger teilt, etwa, als er im Januar in knapp 1.000 Metern Höhe durch die schneefreien Landschaften Tirols fährt: "Wir gucken jetzt eigentlich in die Klimazukunft der nächsten 20, 25 Jahre, wie es dann fast immer wird."
Plögers Fazit: Es könne zwar immer wieder einmal Schneefall in einzelnen Jahren geben, aber "unterhalb von 2.000 Metern werden wir durch den Klimawandel in Zukunft keinerlei Schneesicherheit mehr haben." Im Tiroler Grünberg Obsteig, das Plöger besucht, wurde eine Skiliftanlage deshalb bereits abgebaut. Der Anteil der künstlich beschneiten Pisten ist in der Vergangenheit, so erklärt es die Doku, immer weiter gestiegen. Beschneit werden in Deutschland 25 Prozent, in der Schweiz 50 Prozent, in Österreich 70 Prozent, und in Italien sogar 87 Prozent der Pisten.
Ein dramatischer Wandel, der nicht nur die Natur einiges kostet, sondern auch den Menschen: "Ein Verzicht auf Beschneiung könnte Deutschland in einem Winter 12 Millionen Kilowattstunden Strom sparen. Damit könnte man 70 Millionen Kilometer mit einem Elektroauto zurücklegen", rechnet die Off-Sprecherin vor. Felix Neureuther sagt aber auch: "Skisport zu verbieten wäre in meinen Augen fatal." Der Ex-Skiprofi will eine Lösung für diese neue, dramatische Situation: "Ich möchte mit diesem Film zum Nachdenken anregen, nach Beispielen suchen, engagierte Menschen treffen, Ideen anhören, Impulse setzen."
"Skifahren trotz Klimawandel": viel Aufwand mit ein paar Lücken
Das Positive an der Neureuther-Doku: Das gelingt dem ehemaligen Skiprofi. Er macht die Dramatik der Lage greifbar und trifft dabei Experten, Betroffene, Aktivisten und findet Menschen und Gemeinden, die längst nach Lösungen suchen und sie umsetzen. Etwa die Gemeinde Wagrain im Salzburger Land. Dort können zum Beispiel Touristen, die ihre Lifttickets online buchen, aus dem ganzen Bundesland kostenlos mit dem ÖPNV anreisen, Elektrobusse pendeln direkt bis zur Piste, eine Expertenkommission steuert die Beschneiung nach ökologischen Kriterien, erklärt Neureuther.
Neureuther begleitet außerdem einen Inspekteur bei der Vergabe eines Bio-Zertifkats an ein Hotel; er besucht eine Firma für Wintersportbekleidung, die neue Wege beim Recycling zur Herstellung von Funktionskleidung geht; er testet die Anbindung von Skigebieten, denn die CO2-Belastung eines Winterurlaubs entsteht zu 60 Prozent bei der Anreise; er reist nach Kaprun, einer Klima- und Energiemodellregion, in der Wasserkraft zur Energiegewinnung genutzt wird und er spricht mit Simon Messner, Extrembergsteiger wie sein Vater Reinhold und Landwirt in Südtirol über die existenzbedrohenden Folgen der Klimakrise.
Der ehemalige Skirennfahrer betreibt tatsächlich einen vergleichsweise großen Aufwand für seine Dokumentation und bindet Betroffene, Experten und Aktivisten einigermaßen ausgewogen mit ein. Dennoch wird die ARD-Doku, vor allem durch die subjektiven Meinungsäußerungen Neureuthers an einigen Stellen etwas eindimensional. "Dieses Erlebnis Natur ist für mich etwas Einzigartiges", erzählt Neureuther etwa über das Skifahren. Doch mit Blick auf künstlich angelegte Pisten und Kunstschnee mit den entsprechenden Landschaftseingriffen wie Speicherseen wirkt dieser Satz doch ein wenig rätselhaft. Aber vielleicht meint Neureuther mit "Natur" ja auch einfach nur "draußen, an der frischen Luft".
Klimaschutz – keine Frage der Moral, sondern der Gerechtigkeit
Noch problematischer sind Neureuthers Aussagen, wenn er Wichtiges unter den Tisch fallen lässt. Zum Beispiel, als er durch das Skigebiet Wagrains geführt wird und die dortigen Nachhaltigkeitskonzepte vorgestellt bekommt. Da stellt Neureuther fest: "Nachhaltigkeit kostet Geld. Und da muss ja letztendlich auch der Kunde bereit dazu sein, für die Nachhaltigkeit auch zu bezahlen." Das ist in der Sache richtig. Genauso richtig ist aber auch: Nicht-Nachhaltigkeit kostet noch viel mehr Geld und zwar uns alle. Daher müsste eigentlich die Gemeinschaft bereit sein, die Kosten der Schäden, die der Einzelne durch sein nicht-nachhaltiges Verhalten verursacht, zu tragen. Das gehört auch zur Wahrheit.
Und als Neureuther in Wagrain fragt, ob die Tickets durch die Nachhaltigkeitsmaßnahmen teurer werden, verneint seine Gesprächspartnerin zwar, doch die eigentliche Antwort müsste lauten: Das spielt keine Rolle. Denn würden wir die Kosten der Schäden, die wir ohne diese Maßnahmen hätten, mit einpreisen, wären die Tickets schon seit vielen Jahren um ein Vielfaches teurer. Denn wer nicht nachhaltig skifahren will, darf die Kosten dafür nicht allen anderen aufbürden.
Umso fataler daher die Einschätzung von Tourismus-Expertin Ulrike Pröbstl-Haider, als Neureuther sie nach den Kosten für Nachhaltigkeit und dem Bewusstsein der Touristen fragt: "Jeder von uns muss sich überlegen, wie er in Sachen Klimaneutralität dasteht. Ich denke, da muss jeder seinen eigenen Weg finden. Und einseitig Sportarten, ob es jetzt Schwimmen im Hallenbad ist oder Skifahren zu moralisieren, davon halte ich jetzt nicht so viel." Also maximale Freiheit zuerst – Klimaschutz, wenn man mag. Bloß niemanden vor den Kopf stoßen. Doch Menschenschutz, denn nichts anderes ist Klimaschutz, ist keine Frage der Moral, sondern der Gerechtigkeit.
Wie schützt man den Menschen vor sich selbst?
Hinzu kommt: Neureuther geht es nicht vorrangig darum, wie man eine dramatische Zukunft verhindern, sondern wie man eine angenehme Vergangenheit so lange wie möglich beibehalten kann. Das ist aus Sicht der Menschen, die vom Wintertourismus leben, auch völlig verständlich, schließlich geht es hier um deren Existenzen. Das spricht die Dokumentation auch an, was dabei aber fehlt, ist eine Einordnung der Bedeutung des Skifahrens. Wintersport ist in der Menschheitsgeschichte maximal ein Wimpernschlag und wir reden hier, das gehört zu einer ehrlichen Diskussion dazu, um eine Freizeitbeschäftigung, die zu einem Wirtschaftszweig ausgebaut wurde.
Dementsprechend hört sich Neureuthers Weg für den Wintersport der Zukunft auch an wie aus einem FDP-Wahlprogramm. Er ist für "Ideen-Wettbewerbe, für Innovationen und Sensibilisierung" und "für Belohnung nachhaltiger, beweisbarer Klimakonzepte und deren Umsetzung. Ich bin aber auch für Regeln zum Schutze der Natur. Das heißt für mich aber nicht, Urlaub im Schnee zu verbieten oder zu verteufeln. Es geht um den Beitrag, den jeder Einzelne leisten kann und auch will."
Was Neureuther verschweigt: Es funktioniert ja beides gleichzeitig – Innovationen und Verbote. Denn natürlich wäre es am schönsten ohne Verbote und wenn jeder einsichtig ist und sich engagiert, wo er nur kann. Doch, auch das hätte Neureuther fairerweise dazu sagen müssen, die Erfahrung zeigt: Genau das passiert eben nicht und ohne Verbote hätte man Selbstverständlichkeiten wie die Anschnallpflicht bis heute nicht und Unternehmen würden ihre Abfälle einfach in den Fluss kippen. Manchmal muss der Mensch eben vor sich selbst geschützt werden.
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