Essen, trinken, atmen - es gibt nicht viel, was alle Menschen müssen. Wohnen gehört auch dazu, doch damit endet schon die Verallgemeinerung. Denn wie Menschen wohnen, das ist in Deutschland höchst unterschiedlich. So zumindest das Ergebnis einer interessanten "stern TV"-Spezial-Ausgabe, die am Donnerstagabend bei RTL zu sehen war.
Die eigene Wohnung. Das ist mehr als nur zwei Zimmer, Küche, Bad. Das ist Rückzugsort, Statement, Zuhause, Anker und vieles mehr. Doch was, wenn nicht? Wenn es nur Spekulations- und Renditeobjekt ist? Oder was, wenn die eigene Wohnung, das eigene Zuhause schlicht nicht mehr zu bezahlen ist? Fragen, die mit Sicherheit tausende Menschen in Deutschland, auf der ganzen Welt bewegen und es sind Fragen, die sich auch die Redaktion von RTLs "stern TV" gestellt hat.
Entstanden ist daraus "stern TV Spezial - wie wohnt Deutschland?" und die schnelle Antwort ist: höchst unterschiedlich. Das klingt erst einmal banal, daher lohnt sich der Blick auf die Details. Denn wie Deutschland wohnt, das hängt, so die Botschaft bei "stern TV", von vielen Faktoren ab: vom Alter, vom Einkommen, von der Region, vom Durchhaltevermögen bei Besichtigungen, vom Viertel, vom Glück, zu erben, von der Bank, von findigen Bürgermeistern und so weiter.
Soziale Mieter zur Preistreiberei gezwungen
Nicht unerheblichen Anteil an der Antwort, wie man wohnt, hat Gisela Aeckerlein. Zumindest für ihre Mieter. Denn die 82 Jahre alte Vermieterin könnte für die Wohnungen in ihrem Mietshaus im Münchener Glockenbach-Viertel gut 17 Euro pro Quadratmeter verlangen, tut es aber nicht. Lediglich 9 Euro müssen Aeckerleins Mieter zahlen. "Wohnen gehört für mich zum Grundrecht", erklärt Aeckerlein, warum sie ihre Mieten im Münchener Vergleich klein hält.
Das ist zwar gut für die Mieter, aber schlecht für Aeckerleins Tochter. Denn die wird das Haus, das seit drei Generationen im Familienbesitz ist, irgendwann erben und weil der Wert des Hauses inzwischen bei 5,5 Millionen Euro liegt, wird die Erbschaftssteuer erheblich sein. Jedenfalls so erheblich, dass sie sich das eigentlich nicht leisten kann, denn Millionärin ist die Angestellte nur auf dem Papier.
Aeckerleins Vorschlag, den sie im Studio mit "stern TV"-Moderator
Den bekommt er auch vorläufig, doch Schroeter weitet die Perspektive: "Wir haben in Deutschland einen zweigeteilten Wohnungsmarkt", erklärt Schroeter und meint damit die Ballungsräume mit wenig Angebot und viel Nachfrage, wodurch die Preise steigen. "Das führt dann zu solch fatalen Situationen", meint Schroeter.
"Der Wohnungsmarkt ist bunt und vielfältig"
Schroeter hat aber auch eine andere Botschaft: "Wir sind eine bunte, vielfältige Gesellschaft und so ist auch der Wohnungsmarkt bunt und vielfältig." Klingt ein wenig romantisch, gemeint ist aber, dass Hamburg, München, Berlin eben die Ballungsräume sind, man aber dafür etwa in Cottbus deutlich weniger zahlt.
Das hilft natürlich niemandem, der in Berlin eine Wohnung sucht, aber es gehört trotzdem zum Bild des Wohnungsmarktes in Deutschland dazu. Und damit diese Bild für die "stern TV"-Zuschauer möglichst vollständig wird, hat die Redaktion ein paar Zahlen recherchiert.
So wohnen 77 Prozent der Deutschen in einer kleinen, mittleren oder großen Stadt. In den 80 deutschen Großstädten, also Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern, leben 25 Millionen Menschen, 7 Millionen Menschen leben in einer kleinen Ortschaft. Die 83 Millionen Einwohner Deutschlands leben verteilt auf 187 Millionen Räume, bei 16,5 Millionen Single-Haushalten. 2 Millionen Wohnungen stehen in strukturarmen Regionen leer. Bei denen, die nicht leerstehen, liegt die durchschnittliche Kaltmiete bei ungefähr 7 Euro pro Quadratmeter.
Die gefragteste Wohnung ist die 60-Quadratmeter-2-Zimmer-Wohnung. Dafür zahlt man in Deutschland durchschnittlich 600 Euro kalt. In Berlin sind es allerdings 850 Euro, in München gar 1.150 Euro - wenn man denn eine bekommt. In Cottbus hingegen kommt man hier schon mit 340 Euro zurecht.
Wohneigentum haben in Deutschland nur 51 Prozent der Menschen. In Polen sind es mit 85 Prozent deutlich mehr, ebenso in Spanien mit 76 Prozent und in Italien mit 72 Prozent.
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"stern TV Spezial": Zahlen und Geschichten
Interessante Zahlen, die die Zuschauer noch während der Sendung selbst mit ihren eigenen Daten ergänzen können. Denn die "stern TV"-Redaktion hat eine Umfrage auf ihren Webseiten eingerichtet und stellt dort Fragen nach der eigenen Wohnsituation, wie man damit zufrieden ist, dem Haushaltsnettoeinkommen, der Größe des Haushalts und so weiter. Doch die Sonderausgabe ist, so interessant die Ergebnisse auch sind, keine reine Zahlenschubserei - ganz im Gegenteil.
Denn Hallaschka und Redaktion haben zu verschiedenen Wohn-Themen wie immer kleinere Beiträge gemacht, die die Sendung inhaltlich aufteilen. So geht es um Ideen von kleineren Gemeinden, wie man Dörfer wiederbeleben kann, es geht um Mietnomaden und wie sehr deren Opfer leiden, um eine Geschäftsidee mit Tiny Houses aus ehemaligen Bürocontainern, es gibt eine Diskussion über den Sinn eines Mietendeckels, eine Rechtsanwältin klärt über Mietfragen auf oder ein Experte erklärt, dass und wie man besser mal seine tatsächliche Quadratmeteranzahl nachrechnet.
Das sind in ihrer Gesamtheit spannende Geschichten, die das abstrakte Thema "Wohnen in Deutschland" auf den Alltag herunterbrechen. Manche davon haben handfesten Nutzen, manche eher anekdotischen Wert. Trotz der Länge der Sendung von fast vier Stunden und wegen der vielen und vielfältigen Geschichten bleibt eines dabei ein wenig an der Oberfläche. Oder anders formuliert: Es fehlt ein bisschen der Blick auf das große Ganze. Zum Beispiel bei der Frage nach der Gerechtigkeit beim Wohnen.
"stern TV Spezial": Der Blick aufs große Ganze fehlt
Denn natürlich ist es ein Leichtes, größere Chancen auf Wohneigentum zu fordern, wie es Thomas Schroeter macht. Oder wie Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft nach mehr Bauland zu rufen. Aber Gerechtigkeit bedeutet auch Generationengerechtigkeit und so ist es lediglich Janine Wissler von den Linken, die zumindest kurz auf die Folgen des Bauens für Klima oder Bodenversiegelung aufmerksam macht.
Eine Einordnung der Ansprüche an die Wohnraumgröße pro Person wird ebenfalls übergangen, obwohl die enorm gestiegen sind. So hatte 1950 jeder Mensch in Deutschland 15 Quadratmeter zur Verfügung, 2021 sind es schon 47 Quadratmeter.
Es ist also die weite Perspektive, auch die auf die Zukunft des Wohnens, die fehlt. Zum Beispiel, wie sich angesichts der kommenden Extremwetter-Ereignisse der Wohnungsmarkt verhält, was Versicherungen und Banken dazu sagen oder wie man Häuser und Städte der Klimakrise anpasst.
Schwierig wird es auch dann, wenn der "stern TV"-Technikexperte Tobias Schrödel nicht nur die Umfragen betreut, sondern auch gleich auswertet. Da hätte es sicher nicht geschadet, wenn vor der Interpretation der Zahlen ein Statistiker mal draufgeschaut hätte. Trotzdem war dieses "stern TV Spezial" in seiner Gänze eine durchaus lohnenswerte Show und zwar für jeden. Denn, wie Michael Voigtländer bei Hallaschka treffend formuliert: "Wir müssen ja wohnen."
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