Darf man den Tod einiger Menschen in Kauf nehmen, wenn man dadurch den Tod vieler verhindert? Der Film "Terror - Ihr Urteil", welcher auf einem Theaterstück von Ferdinand von Schirach basiert, thematisiert ein klassisches ethisches Dilemma.
Nach dem Film "Terror - Ihr Urteil" durften die Zuschauer abstimmen. 87 Prozent hielten den angeklagten Piloten Lars Koch, gespielt von
Handeln in Extremsituationen
Wie verhält man sich in einer derartigen Extremsituation richtig? Wie urteilt man über jemanden, dem nur wenig Zeit blieb, um seine Entscheidung zu treffen? Wie fällt das Urteil aus, wenn man das Geschehene anschließend reflektiert und bewertet?
Das sogenannte Trolley-Problem ist ein Gedankenexperiment. Die Ausgangsfrage lautet: Darf man ein Menschenleben opfern, um fünf andere zu retten? Das folgende Szenario wurde 1967 von Philippa Foot entwickelt. Es beschäftigt die Moraltheologen bis heute.
Das Trolley-Problem
Ein Eisenbahnwaggon ("Trolley") rast auf fünf Männer auf einem Gleis zu. Er lässt sich nicht mehr rechtzeitig abbremsen. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, um den Tod der Männer zu verhindern: den Zug über eine Weiche auf ein anderes Gleis umleiten. Dort befindet sich ebenfalls ein Mann auf dem Gleis. Dieser würde sterben.
Bei diesem hypothetischen Experiment plädiert der Großteil der Befragten dafür, den Zug umzuleiten. Wer so argumentiert, entscheidet utilitaristisch. Utilitaristen bewerten Situationen nach dem "Prinzip der Nützlichkeit". Für sie macht es Sinn, ein Menschenleben zu opfern, wenn dafür fünf Menschen gerettet werden können. Der Großteil der Zuschauer von "Terror - Ihr Urteil" hat das Handeln des Piloten im Sinne des Utilitarismus bewertet. Allerdings wären die Flugzeuginsassen mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin ums Leben gekommen. Darin unterscheiden sich die Ausgangslagen des Films und des Trolley-Problems voneinander.
Eine Variation des Trolley-Problems
Wenn man das hypothetische Experiment modifiziert, ändert sich die Meinung vieler. Judith Jarvis Thomson hat diese Variante 1985 entwickelt: Wieder rast der Zug auf die fünf Männer zu, wieder besteht nicht die Möglichkeit, den Zug zu stoppen. Diesmal gibt es auch keine Ausweichmöglichkeit. Dafür gibt es eine Brücke, durch die der Zug fährt. Auf dieser steht ein sehr dicker Mann.
Würde man diesen von der Brücke aufs Gleis stoßen, würde der Zug durch ihn gebremst. Was also tun? Ein überzeugter Utilitarist würde den Mann wohl stoßen. Die Begründung lautet wiederum: Fünf Menschenleben zählen mehr als eins. Die Mehrheit der Befragten würde dies jedoch nicht tun.
Wo liegt der Unterschied?
Laut der New York Times würden sich bis zu 90 Prozent der Befragten dafür entscheiden, die Weiche umzustellen. Demgegenüber würden sich rund 90 Prozent dagegen entscheiden, den dicken Mann von der Brücke zu stoßen. Im Vergleich zu Männern hätten Frauen sowohl mehr Skrupel, den Mann von der Brücke zu stoßen, als auch größere Hemmungen, die Weiche umzustellen. Unsere Emotionen entscheiden mit.
Den Mann aktiv von der Brücke zu stoßen, seinen Todeskampf hautnah zu erleben, lässt den Großteil davor zurückschrecken, diese Option zu wählen. Würde der Mann mit Hilfe einer Falltür auf das Gleis befördert, so eine weitere Variation, würden rund 60 Prozent der Befragten diesem Szenario zustimmen.
Forscher konnten nachweisen, dass beim gedanklichen Durchspielen des Szenarios, den Mann selbst auf die Gleise zu stoßen, die Gehirnareale stark aktiviert wurden, die für die Verarbeitung der Emotionen zuständig sind. Zudem wird der dicke Mann instrumentalisiert, wohingegen die Person im Weichenbeispiel eher als "Kollateralschaden" gesehen werden kann.
Nur ein makaberes Gedankenspiel?
Beispiele dafür, dass das Trolley-Problem mehr ist, als ein theoretisches Gedankenspiel, finden sich immer wieder. So wurden und werden "Kollateralschäden" für die "große Sache" billigend in Kauf genommen. Man denke etwa an den Abwurf zweier Atombomben über Japan im Jahr 1945, um ein schnelles Ende des Zweiten Weltkrieges zu erzwingen.
Wie hätten die Zuschauer nach "Terror - Ihr Urteil" entschieden, wäre der Abschuss des Flugzeugs durch den Piloten nicht technisch, per Knopfdruck, und damit abstrahiert erfolgt? Wenn es ein Szenario gegeben hätte, bei dem Lars Koch den Menschen von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hätte, hätte dies das Urteil der Zuschauer vermutlich beeinflusst.
Handeln die Menschen rational oder nach Instinkt?
Laut manchen Psychologen würden Menschen, die in Extremsituationen utilitaristisch handeln, über ein hohes Maß an mentalen Fähigkeiten verfügen. Sie seien in der Lage, analytisch vorzugehen und das Pro und Contra einer Situation gegeneinander abzuwägen. Andere wiederum argumentieren, rein utilitaristisch zu entscheiden, spräche für ein geringes Maß an Empathie.
Was sagt das deutsche Recht?
Das deutsche Recht sieht hier ein Dilemma und spricht von "Pflichtenkollision". Einerseits ist der Bürger dazu verpflichtet, jemanden zu retten, andererseits ist er auch dazu verpflichtet, eine schädliche Handlung zu unterlassen.
Im Falle des Trolley-Problems wäre die Unterlassung einer Handlung laut Strafrecht wohl nicht strafbar, jemanden aktiv auf die Gleise zu befördern dagegen schon. Das sei, so die Argumentation, mit der Menschenwürde nicht zu vereinbaren.
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