Die neue Netflix-Serie von "Haus des Geldes"-Macher Álex Pina ist ein wilder Mix aus verschiedenen Genres. Eine Engländerin versucht in "White Lines", das Verschwinden ihres Bruders auf der Party-Insel Ibiza vor 20 Jahren aufzuklären. Dabei gerät sie immer tiefer in einen Sog aus Partys, Drogen, Sex und Gewalt.
Man könnte glauben, dass man nach mehreren Jahren mit Streamingdiensten und einem echten Überangebot an Serien und Filmen wirklich alles irgendwie schon einmal gesehen hat.
Doch dann passiert tatsächlich wieder etwas Verblüffendes. Die Idee, einen DJ mit elektronischer Musik zu foltern, ist jedenfalls ziemlich skurril. Dabei wollte Cristobal Martinez (Agus Ruiz) eigentlich nur mal kurz und ziemlich benebelt von diversen Drogen sein DJ-Pult verlassen, um eine Dixie-Toilette aufzusuchen.
Im Klohäuschen wird er aber eingesperrt, auf einen LKW verladen, gekidnappt und schließlich vor ziemlich große und leistungsstarke Lautsprecherboxen gekettet. Oriol Calafat (Juan Diego Botto), der Spross einer einflussreichen Familie auf Ibiza, will Antworten, Martinez weigert sich zu sprechen. Also dreht Oriol die Elektro-Beats immer weiter auf, die Musik wird lauter und lauter, bis der angekettete DJ schließlich mit blutenden Ohren und geplatzten Trommelfellen zusammenbricht.
Die Szene fasst ganz gut zusammen, was die Zuschauerinnen und Zuschauer bei der neuen Netflix-Serie "White Lines" erwartet. Es geht um Musik und Drogen, es geht um junge, schöne, feiernde Menschen, Partys und Sex auf Ibiza, der hippsten Insel im Mittelmeer. In die Leichtigkeit des Sommers mischt sich aber immer wieder blutige Gewalt.
DJ Axel verschwand spurlos – bis jetzt
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Engländerin Zoe Walker (Laura Haddock), die aus Manchester einfliegt, um einen 20 Jahre zurückliegenden Mord aufzuklären und dabei immer tiefer in die Abgründe der Vergnügungsinsel gezogen wird.
Zoes Bruder Axel Collins (Tom Rhys Harris) ist damals spurlos verschwunden, nun sind seine Überreste von einem heftigen Regenschauer ans Tageslicht gespült worden. Axel hatte sich einst mit seiner Familie in Manchester überworfen und war nach Ibiza ausgewandert, um dort als DJ zu arbeiten – bis er Opfer eines Verbrechens wurde.
Was mit ihm geschah, ist unklar. Für die spanische Justiz ist der Mord verjährt, weshalb Zoe auf eigene Faust ermittelt. Dabei verwandelt sich die biedere Ehefrau und Mutter innerhalb von kürzester Zeit in eine mutige Abenteuerin, die unter anderem einem Mann mit einer Harpune ins Bein schießt.
"Haus des Geldes"-Macher steckt hinter "White Lines"
Der spanische Produzent Álex Pina, der den Serien-Hit "Haus des Geldes" für Netflix schuf, steckt auch hinter "White Lines". Er erzählt die Geschichte in zwei verschiedenen Zeitebenen: Zoes Erlebnisse in der Gegenwart werden geschickt mit den Geschehnissen auf Ibiza vor 20 Jahren verwoben.
Die Schauspieler spielen ihre Rollen überzeugend, die Kamera fängt die sommerliche Atmosphäre in schönen, warmen Bildern ein, die aufwendigen Partys sind perfekt inszeniert. Ein echtes Highlight ist auch der Soundtrack, der natürlich von den typischen Ibiza-Elektro-Klängen dominiert wird. Aber auch 90er Hits, Rock und die Gypsy Kings gibt es zu hören. Im Netz finden sich bereits mehrere Playlists, die zu den Songs verlinken.
Die Serie streift diverse Genres
Doch dann sind da die blutigen Morde, die drastisch dargestellte Gewalt, die es unmöglich machen, "White Lines" einem Genre zuzuordnen. Krimi, Komödie, Thriller, Mystery, Gangsterstück, Familiendrama, ein psychedelischer Trip - die Serie kratzt an allem so ein bisschen.
Und das ist vielleicht auch das Problem. Es gibt so viele Protagonisten, so viele Geschichten, dass für ein tiefes Eintauchen in das Seelenleben der Figuren und der zunächst rätselhaften Vorfälle in den zehn, knapp einstündigen Episoden einfach keine Zeit bleibt.
"White Lines" ist trotzdem spannend, aber eben kein großer Wurf, wie er Pina mit "Haus des Geldes" gelungen ist. Letztlich ist die Serie ein bisschen wie eine Partynacht auf Ibiza. Laut und wild - aber lange im Gedächtnis bleibt sie nicht.
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