Mit dem Start von "Wien – Tag und Nacht" hat nun auch Österreich seit Montagabend eine Fernseh-WG. Die Hauptdarsteller des neuen Trash-Formats schlürfen Sekt zum Frühstück, streiten sich ohne Ende und feiern bis zum Umfallen. Typisch wienerisch eben, oder?
Das Konzept von "Wien – Tag und Nacht" ist schnell zusammengefasst: Sechs junge Leute leben gemeinsam in einer WG. Sie heißen Paul, Chris, Theresa, Will, Vanessa und Vicky, sind zwischen 21 und 38 Jahre alt und irgendwo am Körper tätowiert.
Genau wie bei "Berlin – Tag und Nacht" und "Köln 50667" sind sie alle, mitsamt ihren Freunden und Verwandten, auf Krawall gebürstet. Und genau wie im deutschen Vorabendprogramm von RTL2 klopfen die Wiener Jungs und Mädchen von ATV plumpe Sprüche und denken nur an drei Sachen: Party, Sex und Alkohol. So läuft das ab, in Österreichs geilster Wohngemeinschaft.
Dass das alles nur gespielt ist, wird dem Zuschauer nicht vermittelt. Die Darsteller leben ihre Geschichten auch fernab der TV-Ausstrahlung im Netz weiter. Sie posten Videos und Beiträge auf Facebook, lassen die Zuschauer abstimmen und kommentieren.
ATV inszeniert dabei eine Realität, die auf Klischees baut und Jugendliche in einem unschönen Licht darstellen lässt. Dazu gehören grundlose Streits, endlose Feierorgien und Rumgammeln bis der Zuschauer abschaltet. Das ist cool, crazy und hat mit Wien genauso viel zu tun, wie ein Tafelspitz mit Essigreiniger.
Im Vordergrund der ersten Folge von "Tag und Nacht" steht Theresas Einzug. Die Unschuld vom Land kommt am Wiener Hauptbahnhof an und wird dort von Chris und Willi, zwei ihrer fünf neuen Mitbewohner, abgeholt. Obwohl sie sich alle nur aus dem Internet kennen, fährt das Trio singend und lachend nach Hause. Der obligatorische Smalltalk fällt aus. Wozu sich überhaupt kennenlernen, man streitet sich später doch eh nur.
Theresa erzählt dem Zuschauer: "Eigentlich wollte ich nur von daheim weg und ein neues Leben anfangen. Jetzt sitz' ich neben dem süßesten Typen der Welt in diesem coolen Auto in der geilsten Stadt!" Die Spritztour ist eine Art Ruhe vor dem Sturm. Denn das erste Drama lässt nicht lange auf sich warten. Kaum in der WG angekommen, fliegen schon die Fetzen.
Grund? Die beiden Frauen des Hauses sind stocksauer, denn von einem Neuzugang war nie die Rede. Während Mitbewohnerin Vanessa sich von Paul besänftigen lässt ("I trog di do auf Händen, Mausi"), fühlt sich eine gewisse Vicky hintergangen. Ihr Gekreische schallt durchs ganze Haus: "Das ist nicht in Ordnung. Ich werde überhaupt nicht akzeptiert." Erklärungen für den Ausrasters sucht der Zuschauer vergeblich. Einer ihrer Mitbewohner wagt dennoch eine Vermutung: "Vielleicht hat's roten Besuch oder so irgendetwas." Der weibliche Zyklus als Streitauslöser, das hat man im österreichischen Film und Fernsehen auch noch nicht gesehen.
Brüllen, streiten und beleidigen können die Darsteller der neuen ATV-Soap besonders gut. Im Club LVL7 (spricht sich "Level Seven") setzt eine geplante Neueröffnung Marlene zu. Die Teilhaberin und Lebensgefährtin von Paul ist wütend. Sie brüllt ihren Freund an: "Du bist kein Geschäftsführer. Du bist maximal ein Lulu. Schleich dich!" Harte Worte einer tätowierten Rothaarigen - doch es dauert nicht lange, bis sich beide wieder verliebt in den Armen liegen. Paul und Marlene schmusen und küssen sich. Ein Achterbahn der Gefühle, die so unterhaltsam ist, wie eine defekte Klospülung.
Aus dem Nichts spitzt sich das (nennen wir es) Drama kurz vor Schluss zu. Bei der Neueröffnung des Clubs bedrängen zwei Glatzköpfe mit schwarzem Anzug und Sonnenbrille die naive Theresa. Die WG-Kollegen eilen zu Hilfe und es kommt zu Handgreiflichkeiten. Erneut ist es Marlene, die brüllt ("Was ist da los? Was ist da los?"). Ehe man sich versieht, steigt Paul in den Wagen der Kahlköpfe ein und düst davon. Die Fortsetzung gibt es dann am Dienstagnachmittag und jeden Nachmittag um 18:15 Uhr bei ATV.
100 Folgen will der Sender in den nächsten acht Wochen noch ausstrahlen. Spätestens dann soll entschieden sein, ob das TV-Projekt der inszenierten Realität in Österreich eine Zukunft hat.
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