Bitte weit aufmachen: Jan Böhmermann guckt mit seinem "ZDF Magazin Royale" am Freitagabend ganz tief in den Rachen deutscher Zahnarztpraxen. Was er dort sieht, sind Leistungen mit nicht bewiesenem Nutzen und zweifelhafte Fortbildungen. Da wird Böhmermann kurzerhand selbst zum Zahnarzt-Coach.
In der vergangenen Woche nahm sich ZDF-Satiriker
In der neuesten Ausgabe kam am Freitagabend ein Thema auf den ZDF-Satire-Tisch, das nicht weniger emotional ist – aber auf eine ganz andere Art. "Wussten Sie, dass es eine Währung gibt, die keinen Schwankungen unterliegt? Eine Währung, die unendlich verfügbar ist und bei der einem keine Krypto-Bros auf die Eier gehen?", fragt Böhmermann rhetorisch und antwortet sich selbst: "Die gibt es. Und diese Währung heißt: Lächeln."
Humanmedizin versus Zahnmedizin
Es dauert ein wenig, bis Böhmermann zum Kern kommt, dann erklärt er, worum es ihm an diesem Abend geht: Zahnärztinnen und Zahnärzte. So ein Zahnarztbesuch ist für viele Menschen mit Emotionen verbunden, doch anders als bei der Jagd ist die Emotion hier nicht Wut, sondern Angst. Aber Böhmermann bietet am Freitagabend die Möglichkeit eines Tauschs an, also beim nächsten Zahnarztbesuch nicht mit Angst, sondern ebenfalls mit Wut auf den Behandlungsstuhl zu klettern.
Es sind drei wesentliche Kritikpunkte, in die sich Böhmermann an diesem Abend verbeißt und den ersten leitet er so ein: "Zahnärzte haben als Berufsgruppe einen eigenen Abrechnungskatalog und sind sogar in eigenen Verbänden organisiert, unabhängig von der Humanmedizin. Dieser Sonderstatus hat auch Konsequenzen für die Patienten. Es kann beim Zahnarzt oft höhere Zuzahlungen geben, als beispielsweise beim Hausarzt", zitiert Böhmermann aus dem Magazin "Business Insider".
Dass Ärzte und Zahnärzte jeweils eigene Abrechnungskataloge haben, ist nun erst einmal nichts Verwerfliches. Daher wäre vor der ersten Kritik die Frage zu stellen: Warum? Das macht Böhmermann aber nicht, hinterlässt stattdessen hier den Eindruck eines "Geschmäckles": "Humanmedizin – buuuh. Zahnmedizin ist richtig hot", meint Böhmermann ironisch, tastet sich dann langsam an den eigentlichen Punkt heran: "Fast die Hälfte der Einnahmen von deutschen Zahnarztpraxen kommen aus privaten Abrechnungen", erklärt der Satiriker. Bei Hausärzten sei es nur rund ein Viertel.
PZR: "Studienlage dünn, die Beläge schnell wieder da"
„Private Zuzahlkohle für die ZahnärztInnen“, nennt Böhmermann dieses Ungleichgewicht und so ein Satz wäre etwas polemisch, würde Böhmermann ihn nicht mit inhaltlicher Kritik unterfüttern. Denn ihm geht es nicht um Abrechnungsverhältnisse von Zahnärzten und Hausärzten, sondern um das, was hier abgerechnet wird: "Eine richtige Cashcow für deutsche Zahnarztpraxen ist: die professionelle Zahnreinigung. Die PZR. Eine Privatleistung."
Aber es ist nicht der Umstand, dass die Krankenkassen eine professionelle Zahnreinigung nicht zahlen, der Böhmermann stört, sondern der Sinn einer solchen Reinigung. Denn der stehe gar nicht so fest, wie in mancher Praxis behauptet, meint Böhmermann auf Basis verschiedener Quellen, unter anderem einem Bericht, in dem Prof. Nadine Schlüter, Zahnmedizinerin der Medizinischen Hochschule Hannover, erklärt: "Die Entfernung der Beläge hält etwa zwei bis drei Tage an." Danach habe man wieder Beläge an der Oberfläche.
"Studienlage dünn, die Beläge schnell wieder da", zitiert Böhmermann einen Bericht des NDR und auch bei seinem zweiten Kritikpunkt geht es um zahnärztliche Leistungen, deren Nutzen offenbar gar nicht so feststeht, wie behauptet: Zahnspangen. Hier heißt es beispielsweise in der 6. Deutsche Mundgesundheitsstudie des Instituts der deutschen Zahnärzte, dass 40 Prozent der Acht- und Neunjährigen Behandlungsbedarf hätten, weil sie in KIG Grad 3 oder höher seien.
"Verkaufen ohne schlechtes Gewissen"
KIG, das ist die kieferorthopädische Indikationsgruppe. "Klingt hochmedizinisch, ist aber einfach nur ein besonders originelles Bodyshaming. Weil: Je höher der KIG-Grad, desto schiefer die Zähne. Das ist eigentlich alles", erklärt Böhmermann und fällt folgendes Urteil: "Die Mundgesundheitsstudie belegt also nicht, dass Zahnspangen für die Mundgesundheit wichtig sind, sondern einfach nur, wie schief die Zähne von Acht- und Neunjährigen sind."
Von nicht bewiesenem Nutzen zahnärztlicher Leistungen ist es für Böhmermann ein kleiner Schritt zum dritten Kritikpunkt. Denn, so Böhmermanns Verdacht, das Verkaufen solcher Leistungen habe manch Zahnarzt vielleicht auf einer seiner Fortbildungen gelernt, zu denen er verpflichtet ist. "Patienten auch in herausfordernden Zeiten von zahnmedizinischen Leistungen überzeugen" oder ähnlich, hießen manche dieser Fortbildungen und darin ginge es unter anderem um "Preiserhöhungen umsetzen, ohne Patienten zu verlieren. Verkaufen ohne schlechtes Gewissen", wie Jan Böhmermann aus einem Veranstaltungsprogramm zitiert.
Aber warum sollten nicht auch Zahnärzte ihre Preise erhöhen dürfen wie alle anderen auch? Oder ist das Abzocke? Das müsste Böhmermann erklären und das macht er dann auch – mit weiteren Weiterbildungen von Landeszahnärztekammern: "Richtiger Umgang mit Patienteneinwänden ("… zu teuer"), "Wie überzeuge ich Patienten mit guter Kommunikation zu Zusatz- und Privatleistungen?" oder "Zielführende Patientengespräche: Therapieoptionen finanziell erfolgreich vermitteln", heißt es dort.
Böhmermann bildet Zahnärzte fort
Aber weil das "ZDF Magazin Royale", das "ZDF Magazin Royale" ist und nicht "WISO", startet Böhmermann einen satirischen Gegenangriff und hat selbst Fortbildungen bei Landeszahnärztekammern eingereicht – und zum Teil wohl auch genehmigt bekommen. "ParoNOditis – Wie man mit Heilsteinen gekonnt NEIN zu Zahnfleischentzündungen sagt" oder "Zahnfleischhypnose – Grundlagen der Entspannungsfähigkeit im Mundraum", lauten die.
Das ist auf eine gewisse Weise witzig, aber auch sehr grobschlächtig und wird natürlich nicht dem Gesamtbild gerecht. Denn tatsächlich sind die Fortbildungskalender voll mit Seminaren, die ganz und gar nicht nach Abzocke klingen. Aber andere eben schon und daher ist es gut, dass Böhmermann auch bei vielleicht wenigen schwarzen Schafen und bei zweifelhaften Leistungen den Mund aufmacht. Damit seine Zuschauer den ihren beim nächsten Zahnarzttermin beruhigter aufmachen können. Oder zumindest aufgeklärter.
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