Wenn Sie sich in Ihrer Stadt umsehen, haben Sie vielleicht auch die Plakate gesehen, in denen die chinesische Tanzshow Shen Yun beworben wird. Aber was ist das überhaupt, Shen Yun? Und noch mehr: Wer steckt eigentlich hinter der farbenprächtigen Show? Und was hat eine vermeintliche „Psycho-Sekte“ damit zu tun?
„Heute geht’s im ‚ZDF Magazin Royale‘ ausnahmsweise mal um schöne Dinge, um was Nettes, was Unpolitisches“, leitet
„Es gibt nämlich eine Show da draußen für alle, die sich für Kultur interessieren wollen, ohne sich dabei zu sehr für Kultur interessieren zu müssen: Shen Yun. Die spektakuläre Tanzshow auch bald in ihrer Nähe“, erklärt Böhmermann weiter und man kann ein bisschen ahnen, warum die Tanzshow Shen Yun zum Thema der neuesten Ausgabe des „ZDF Magazin Royale“ geworden ist.
Eben weil die Show gerade in vielen Städten in Deutschland zu Gast ist und dementsprechend mit Plakaten beworben wird. Und vielleicht ist genau das einem Mitarbeiter des „ZDF Magazin Royale“ aufgefallen und er hat in der Redaktionskonferenz gefragt: „Wisst ihr eigentlich, was das ist?“ Und vielleicht hat jemand darauf geantwortet: „Warte mal, da hab ich irgendwo was drüber gelesen.“
Beiläufiger Chauvinismus-Vorwurf
Zur Antwort, was da jemand gelesen haben könnte, kommen wir gleich und auch Jan Böhmermann widmet sich erst einmal der Frage: „Ist eine tolle Show. Wenn sie keinen Bock auf Stress, auf Politik haben, wenn sich ihr tiefverwurzelter Kartoffelrassismus für Sie wie selbstverständliche Weltoffenheit anfühlt und Sie einfach mal einen Abend lang den Kopf ausschalten möchten, dann ist Shen Yun genau das Richtige für Sie“, erklärt Böhmermann.
Dann wird er noch ein wenig polemischer, unterstellt mit Sätzen wie „Exakt so viel Ferner Osten wie in eine deutsche Mehrzweckhalle passt“ kulturelle Kleingeistigkeit und mit „Nehmen Sie gerne auch Ihre Enkelkinder mit, man kann nie früh genug damit anfangen, fremde Völker für sich tanzen zu lassen“ einen wie auch immer gearteten Chauvinismus. Das klingt vielleicht witzig, tut an der Stelle aber überhaupt nicht Not, denn Böhmermann will auf etwas ganz anderes hinaus.
Dazu zitiert er erst das SRF, das über Shen Yun schreibt: „Die Tänzerinnen und Tänzer zeigen chinesische Volkstänze und Tänze nationaler Minderheiten Chinas. Mythen, Legenden und historische Begebenheiten werden mit dem klassischen chinesischen Tanz dargestellt“ ehe er aus einem Shen-Yun-Programmheft den dortigen Hinweis zeigt: „Shen Yun 2025 wird Ihnen präsentiert vom Deutschen Falun Dafa Verein e. V.“ Und spätestens hier dürfte es bei dem einen oder anderen klingeln.
Jan Böhmermann gegen Falun Gong
Denn Falun Dafa, oder auch Falun Gong, ist eine Meditationsgemeinschaft, die Anfang der 1990er Jahre entstanden ist und manchem vielleicht im Kopf geblieben ist als eine Gruppe, die bestimmte Übungen, die dem Qigong ähneln, praktiziert, vor allem aber als eine Gruppe, die vom chinesischen Staat verfolgt wird, von Folterungen, Straflagern und Organentnahmen ist zu lesen. Daher liegt der Gedanke nahe, dass Böhmermann seine Show nun einer verfolgten Gruppe widmen möchte – wäre da nicht eingangs die ironische Rede vom Netten und Unpolitischen gewesen.
„Shen Yun, das glitzernde Show-Spektakel, ich sag mal so, hat ein paar finstere Geheimnisse“, löst Böhmermann auf und so sieht die Anklage aus:
- Einer Recherche der „New York Times“ zufolge würden die Shen-Yun-Darstellerinnen, darunter auch Minderjährige, im Trainingscampus im amerikanischen Dragon Springs „zermürbende Arbeitsstunden bei geringer Bezahlung leisten.“
- Außerdem hätten die TänzerInnen „keinen routinemäßigen Zugang zu Ärzt:innen oder Physiotherapeutinnen“
- Der Grund dafür sei gewesen, dass ihr spiritueller Führer lehre, „wahre Gläubige könnten Krankheiten ohne medizinische Behandlung aus ihren Körpern vertreiben. […]“
- „Hinter der beliebten Tanzshow Shen Yun steckt die weltweit aktive Sekte Falun Gong“, die Böhmermann als „Psycho-Sekte“ bezeichnet, denn: „Hat das Landgericht Leipzig geurteilt“.
- Falun Gong verbreite homophobe und rassistische Inhalte, wie Böhmermann zitiert: „Heutzutage sind die Menschen nicht nur profitsüchtig, sie begehen jede erdenkliche Untat, wie Homosexualität und Drogenkonsum“, hieße es in den Schriften von Falun Gong und außerdem: „Die Menschenrassen in der Welt dürfen nicht gemischt werden.“
- Falun Gong wünsche sich die Zeit vor der kommunistischen Partei Chinas zurück, verständlich wegen der Verfolgung, aber deshalb sei Shen Yun „nämlich in Wahrheit eher so was wie eine Propagandashow gegen die kommunistische Partei Chinas“
- Falun Gong stecke auch hinter dem Medium „Epoch Times“ und darüber sagt Böhmermann: „Mit der Epoch Times verbreitet die gute und harmlose Psycho-Sekte Falschinformationen und rechtspopulistische Propaganda in der ganzen Welt und sägt so an unserer liberalen Gesellschaft herum.“
Was ist eine „Psycho-Sekte?“
So weit die Anklage, erst nach gut 20 Minuten kommt Böhmermann auf die Verfolgung von Falun Gong zu sprechen und man kann darüber diskutieren, ob eine umgekehrte Reihenfolge der Erzählung etwas am Urteil des Zuschauers über Falun Gong und damit auch über Shen Yun geändert hätte. Man kann ebenfalls darüber diskutieren, ob Böhmermann die Einordnung als Sekte redlich dargestellt hat. So finden sich etwa zur Einschätzung, ob Falun Gong nun eine Sekte ist oder nicht, verschiedene seriöse Aussagen.
Und man kann auch über Böhmermanns Satz streiten, als er sagt „Die Idee von Master Li und seiner Psycho-Sekte ist eigentlich wie bei jeder Sekte: Alle, die Teil sind von Falun Gong, die sind super, der Rest ist verloren. Irgendwann kommt eine Apokalypse, bei der man sich nur retten kann, wenn man eben Teil der Sekte ist.“ Das alleine aber macht noch keine Sekte aus und man kann ebenfalls darüber streiten, inwieweit der Begriff „Psycho-Sekte“ überhaupt bei all dem hilfreich ist.
Denn hier macht es sich Böhmermann ein bisschen leicht, indem er selbst den Begriff gar nicht in den Ring wirft, sondern nur die Berichterstattung über das Urteil des Landgerichts Leipzig heranzieht. Das reicht aber eigentlich nicht, da Böhmermann das Urteil und dessen Hintergründe gar nicht erklärt und auch nicht, was das eigentlich sein soll, eine „Psycho-Sekte“. Böhmermann erklärt also nicht, sondern nimmt nur mit, was er im Kopf der Zuschauer mit dem Begriff auslöst.
Die Gleichzeitigkeit von Dingen
Aber das ist nicht das Einzige, womit Böhmermann die Zuschauer alleine lässt. Denn die wissen nun nicht, was zu tun ist mit all diesen Informationen. Ist Falun Gong nun eine rassistische und homophobe „Psycho-Sekte“ oder ist nur ihr Gründer und Anführer daneben mit seinen Ansichten?Soll, darf man sich Shen Yun nun ansehen? Die Show-Organisationen in Deutschland haben jedenfalls, so berichtet Böhmermann, die Vorwürfe auf Nachfrage der Redaktion zurückgewiesen. Stattdessen gibt Böhmermann einen Tipp, der aber auch nicht wirklich weiterhilft: „Deshalb beim Shen-Yun -Tanzspektakel lieber ein zweites Mal hingucken.“
Gleichzeitig findet Böhmermann für sich einen Ausweg und den legt er auch seinen Zuschauern nahe: „Falun Gong wird in China unterdrückt und verfolgt – das stimmt. Das bedeutet aber nicht, dass Falun Gong nicht selber ziemlich radikal und problematisch ist. Es ist diese Gleichzeitigkeit von Dingen, die Zeiten sind kompliziert. Die Widersprüchlichkeit der Welt – wir müssen lernen, sie auszuhalten.“ Mit der aktuellen Show hat Böhmermann immerhin ein paar Puzzle-Stück beigetragen, um die Gleichzeitigkeit von Dingen im Gesamtbild besser erkennen zu können – egal, wie das endgültige Urteil dann ausfällt.