In seiner neuesten Ausgabe macht Moderator Jan Böhmermann aus seinem "ZDF Magazin Royale" eine 1990er-Jahre-Gerichtsshow. Dort geht es um Butter im Kühlschrank, deutschen Döner und die Frage, ob man Nazis verbieten soll, weil es Nazis sind. Das ist nicht immer gelungen, aber immer relevant – und am Ende leider nur eine Utopie.
Privatleistungen beim Zahnarzt, die Jagd in Deutschland, das Raststättenmonopol oder der NSU 2.0 – Jan Böhmermann und sein "ZDF Magazin Royale" picken sich jeden Freitagabend die unterschiedlichsten Themen heraus und zerlegen sie satirisch. Was da auf dem Seziertisch landet, ist nicht immer neu, aber immer relevant, vor allem aber ist es eines: handfest.
Geld für Zahnspangen, deren medizinischer Nutzen nicht erwiesen ist, rassistische Polizisten-Chats, Bezahlen fürs Pinkeln an der Autobahn –
In seiner jüngsten Ausgabe des "ZDF Magazin Royale" weicht Böhmermann von seinen bisherigen Prinzipien ab – inhaltlich und in der Form. Diesmal geht es nicht um Handfestes aus dem Alltag, sondern um das, was die relevanten Szenen dieses Alltags zusammenhält. Um die Stimmungen, Meinungen, Abwägungen, Unsicherheiten, Befindlichkeiten, Eigenarten und Klischees dazwischen. Nicht um das, was wir machen, sondern wie wir es machen und warum.
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"ZDF Magazin Royale" wird zum TV-Gericht
Dazu hat Böhmermann das "ZDF Magazin Royale" in eine dieser Gerichtsshows verwandelt, in denen in den 1990ern und 2000ern absurd gescriptete Fälle "verhandelt" wurden. Statt "Richter Alexander Hold" heißt es am Freitagabend "
Die Fälle, die dort verhandelt werden, sind ähnlich absurd wie die der damaligen TV-Gerichte – zumindest scheinbar. Denn Böhmermann will hier keine Satire über Gerichtsshows machen, ihm geht es um das, was hinter den absurden Fällen steckt. Eine Momentaufnahme der deutschen Seele, wenigstens mancher Seelen, und gleichzeitig kann man ahnen, welcher Gedanke hinter der Idee von Böhmermanns Satire-Gericht stand.
"Deutschland im Dornröschenschlaf! Die Gesellschaft und die Politik dösen ein, wenn es um unbequeme Entscheidungen geht. Schluss damit! Ein Richter sorgt für Recht und Ordnung. Im Namen des Volkes", heißt es nämlich im zur Folge gehörigen Text und es deutet doch einiges darauf hin, dass der Initialgedanke dem möglichen AfD-Verbotsverfahren entsprungen ist.
Loriot meets Mario Barth
Denn tatsächlich sollte es genau darum im letzten Fall des Abends gehen, den Anfang macht aber der Butter-Kühlschrank-Streit. Darin zerrt ein Mann seine Frau vor Gericht, weil sie die Butter nach dem Frühstück nicht zurück in den Kühlschrank gestellt haben soll. Ein Setting, um die typische deutsche Mittelstandsfamilie auf die Schippe zu nehmen: "Ich muss auch arbeiten – ich hab ja meinen Blog", klagt die Frau und der Mann antwortet, dass er sie dabei zwar unterstütze, aber das Ganze ja durch seinen "richtigen" Job auch finanziere.
Da hält das "ZDF Magazin Royale" den Spiegel hoch, aus dem uns das Patriarchat immer noch angrinst, wenn auch mit einem Facelift. In den besten Momenten erinnert der Butter-Fall an einen Loriot-Sketch, wenn auch nicht ganz so fein beobachtet. Wenn etwa der Mann Sätze sagt wie "Es geht nicht um die Butter – es geht ums Prinzip", dann sitzt man plötzlich wieder mit Berta und ihrem Gatten am Frühstückstisch und hört die Klage: "Berta, das Ei ist hart."
In den schlechteren Momenten kippt das Ganze aber von einer präzisen Alltagsszene in eine beliebige Clownerei. Da kommt dann Trash-TV-Teilnehmer Calvin Kleinen als Sohn mit Propeller-Cap in den Zeugenstand, sagt Sätze wie "Ja, Onkel Richter, Sir" und lässt das Ganze in Sekunden von Loriot- auf Mario-Barth-Niveau kippen.
"Nazi-Partei verbieten, nur weil sie eine Nazi-Partei ist?"
Gleichzeitig läuft die Satire ins Leere, wenn der Staatsanwalt einwirft, die Frau habe "als einzige Veganerin in der Familie doch ein politisches Motiv". Ein Veganer-Witz? 2024? Einen Witz über Leute, die über Veganer Witze machen? Da fehlt dann doch die satirische Schärfe, um einen Inhalt mit Witz zu haben oder wenigstens einen Witz mit Inhalt. Da fragt man sich ein bisschen: Was genau will Böhmermann eigentlich mit dieser Gerichtsshow?
Ein bisschen klarer wird das im zweiten Fall, als es darum geht, ob der Döner nun türkisch oder deutsch ist. Da kommen der deutsche Alltagsrassismus und die verdrehte wie verdrehende Weltsicht rechter Parolen vor den Kadi. "Niemand konnte beweisen, dass der Döner türkisch ist. Und solange wir in Deutschland sind, ist alles deutsch. Außer, es ist nicht so geil. Und der Döner, der ist leider geil", fasst Richter Richter zusammen und gibt der Dönerbudenbesitzerin und dem kurdischen Zeugen den Rat: "Seien sie doch einfach mal froh, dass sie hier leben dürfen."
Im letzte Fall kommt dann die mutmaßliche Ausgangsidee aufs Tapet. "Soll die Nazi-Partei Alternative für Deutschland, kurz AfD, verboten werden, nur weil sie eine Nazi-Partei ist?", heißt dort die Frage. Böhmermann karikiert die rechten Hohlphrasen und Verschwörungstheorien vom "linken Woke-Aktivismus" und findet seine Antwort darauf: "So, mein Lieber, sie labern mir zu viel Stuss", kanzelt der Richter den AfD-Verteidiger ab.
"Ich verbiete hier und heute ein für allemal die scheiß Nazis"
Als dann ein Experte die Sachlage differenzieren will, platzt dem Richter erst recht der Kragen: "Warum schmieren wir Leuten, die freiwillig und absichtlich Nazis wählen, seit Jahren Honig um die Schnauze? Diese ständige Scheiße überall von morgens bis abends in allen Sendern. Seit 80 Jahren reden wir darüber, wie wir Nazis abholen oder Nazis verstehen können. Und jetzt, kurz bevor wieder Nazis regieren, heulen wir rum: 'Hilfe, Verfassungsschutz! Hilfe, Oberverwaltungsgericht Münster! Hilfe, Verfassungsgericht!'"
Das mag dem Wunsch nach Einfachheit entsprechen, unterschätzt aber den Zersetzungsschaden an der Demokratie, den rechte Parteien besonders in den vergangenen zehn Jahren bereits angerichtet haben. Dementsprechend ist das Urteil des Richters leider nur eine Utopie: "Im Namen des Volkes verbiete ich hier und heute ein für allemal die scheiß Nazis." Wenn es doch nur so einfach wäre.
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