- Der angespannten Lage auf dem Medikamenten-Markt soll die vorläufige Aufgabe der Festpreise für besonders gefragte Arzneien entgegenwirken.
- Was die Krankenkassen als Erfolg verkaufen, beurteilen Branchen-Verbände und -Experten skeptisch.
Für bestimmte Kindermedikamente wie Fiebersaft oder Zäpfchen können die Krankenkassen den Herstellern ab 1. Februar vorübergehend mehr Geld zahlen. Damit soll der momentanen Knappheit bei diesen Arzneimitteln begegnet werden. Wie der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) am Dienstag mitteilte, werden die sogenannten Festpreise für bestimmte Arzneimittel mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol sowie für Antibiotika für drei Monate ausgesetzt. Zuvor hatte das ARD-Hauptstadtstudio darüber berichtet. Die Branche glaubt allerdings nicht, dass das kurzfristig Entspannung bringt.
Von der Maßnahme betroffen sein sollen insgesamt 180 Fertigarzneimittel, darunter Ibuprofen-Säfte, Paracetamol-Zäpfchen und Antibiotika-Suspensionen.
Gesundheitsminister Lauterbach forderte mehr Geld von den Krankenkassen
Auf dem Höhepunkt der Debatte über knappe Medikamente hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Dezember angekündigt, dass die Kassen für bestimmte Medikamente künftig mehr Geld zahlen sollen, damit sich Lieferungen nach Deutschland für Pharmafirmen mehr lohnen.
Für bestimmte Medikamentengruppen gelten normalerweise Festbeträge, die regelmäßig festgelegt werden. Mehr als diese Beträge zahlen die Krankenkassen nicht für diese Medikamente. Liegt der Preis darüber, müssen Patienten in der Regel die Differenz entweder selbst tragen oder sie bekommen ein anderes - therapeutisch gleichwertiges - Arzneimittel ohne Aufzahlung, heißt es beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Kommt es nun zur Lockerung dieser Festpreisregelung bei Kindermedikamenten, müssen Eltern aber dennoch keine Zusatzkosten befürchten, heißt es bei den Kassen.
GKV-Spitzenverband kritisiert die Preis-Lösung als "nicht nachhaltig"
Nach Einschätzung des GKV-Spitzenverbands kann die Maßnahme einer weiteren Verschärfung der angespannten Versorgungslage mit Kinder-Arzneimitteln kurzfristig entgegenwirken. Es heißt aber auch: "Kurzfristig der Pharmaindustrie höhere Preise zu ermöglichen, stellt keine nachhaltige Lösung dar." Die Kassen "warnen vor der Annahme, dass internationale Pharmakonzerne ihre globalen Produktionsstandorte und Lieferprozesse nur ändern, weil gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland künftig mit ihren Krankenkassenbeiträgen höhere Medikamentenpreise bezahlen müssen."
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie reagierte zurückhaltend. Ob die Aussetzung der Festbeträge kurzfristig tatsächlich zu einer besseren Verfügbarkeit von Produkten auf dem deutschen Markt führe, bleibe abzuwarten, sagte der Verbandsvorsitzende Hans-Georg Feldmeier der Deutschen Presse-Agentur. Systeme, die über lange Zeit kaputtgespart worden seien, könnten nicht per Schnellschuss geheilt werden. Der Verband verwies auf Kostendruck und forderte Erleichterungen im Festbetragssystem nicht nur bei Kindermedikamenten.
Pro-Generika-Chef: "Woher sollen die Fiebersäfte kommen?"
Auch der Geschäftsführer des Pharmaverbands Pro Generika, Bork Bretthauer, zeigte sich skeptisch: Die Aussetzung der Festbeträge sei eine Geste, werde aber das Problem der Engpässe kurzfristig nicht lösen, sagte er dem "Handelsblatt". Und er fragt: "Woher sollen die Fiebersäfte plötzlich kommen?" Die Unternehmen produzierten rund um die Uhr. Es gebe keine Ware, die kurzfristig auf den Markt kommen könne, nur weil sich der Preis für drei Monate erhöhe.
Nach Angaben der Apotheken ist die Lage aktuell immer noch angespannt. "Die Lieferengpässe bei Kinderfiebersäften, Antibiotika und anderen Arzneimitteln halten leider weiterhin an", sagte die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Regina Overwiening, der dpa. Ob sich die Liefersituation durch die geplante Preislockerung spürbar entspanne, sei fraglich, da es oft nur wenige Hersteller gebe und somit das Angebot dieser Arzneimittel insgesamt begrenzt sei. Sie forderte kurzfristig mehr Entscheidungsspielräume für die Apotheken etwa bei der eigenen Herstellung von Medikamenten. © dpa
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