Billionen Euro hat die Europäische Zentralbank seit 2015 in den Kauf von Staatsanleihen gesteckt. Nun schauen die Karlsruher Richter nicht länger zu - und stellen sich damit gegen das höchste EU-Gericht.
Das Bundesverfassungsgericht hat mehreren Klagen gegen die milliardenschweren Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) seit 2015 überwiegend stattgegeben. Die Beschlüsse der Notenbank seien kompetenzwidrig ergangen, entschieden die Karlsruher Richter mit am Dienstag verkündeten Urteil.
Bundesregierung und Bundestag hätten durch ihr tatenloses Zusehen Grundrechte verletzt. Der Senat stellte aber keine verbotene Staatsfinanzierung fest. Die aktuellen Corona-Hilfen der EZB sind nicht Gegenstand der Entscheidung. (Az. 2 BvR 859/15 u.a.)
Rund 2,6 Billionen Euro für Staatsanleihen
Das Gericht stelle erstmals in seiner Geschichte fest, dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt seien, sagte Präsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung. Sie könnten daher in Deutschland keine Wirksamkeit entfalten.
Vor allem die Frage der Verhältnismäßigkeit des Kaufprogramms muss aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts geklärt werden. Hierzu sollen Bundesregierung und Bundestag auf die EZB einwirken. Die Bundesbank darf künftig nur mitmachen, wenn der EZB-Rat nachvollziehbar darlegt, dass die mit dem Kaufprogramm "angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stehen".
Zwischen März 2015 und Ende 2018 hatte die Notenbank rund 2,6 Billionen Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere gesteckt - den allergrößten Teil über das Programm PSPP (Public Sector Purchase Programme), auf das sich das Urteil bezieht. Zum 1. November 2019 wurden die umstrittenen Käufe neu aufgelegt, zunächst in vergleichsweise geringem Umfang von 20 Milliarden Euro im Monat.
Über Anleihenkäufe kommt viel Geld in Umlauf, das heizt normalerweise die Inflation an. Die EZB strebt mittelfristig eine Teuerungsrate knapp unter 2,0 Prozent an. Denn stagnierende oder fallende Preise können Verbraucher und Unternehmen verleiten, Investitionen aufzuschieben. Das kann die Konjunktur bremsen.
Bundesverfassungsgericht stellt sich gegen EuGH
Mit ihrem Urteil stellen sich die Verfassungsrichter gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser hatte dem Kaufprogramm im Dezember 2018 gegen massive Bedenken aus Karlsruhe seinen Segen erteilt. Diese Vorabentscheidung aus Luxemburg sei "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar", hieß es in der Entscheidung der deutschen Verfassungsrichter.
Die Deutsche Bundesbank ist der größte Anteilseigner der EZB, mit etwas mehr als 26 Prozent. Entsprechend groß ist ihr Kaufvolumen.
Wegen der Corona-Pandemie verkündeten nur fünf der acht Richter des Zweiten Senats das Urteil. Ursprünglich sollte das schon am 24. März passieren. Der Termin musste wegen der Ausbreitung der neuartigen Lungenkrankenheit aber verschoben werden.
Um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzufedern, hat die EZB ihre Anleihenkäufe noch einmal deutlich ausgeweitet. Laufende Kaufprogramme wurden aufgestockt, um 120 Milliarden Euro bis Ende 2020. Dieses Geld soll vor allem in Unternehmenspapiere fließen. Ein Extra-Krisenprogramm mit 750 Milliarden Euro soll mindestens bis Jahresende laufen - und bei Bedarf "ohne Einschränkung" ausgeweitet werden. Diese Programme waren nicht Gegenstand des Verfahrens.
Anlass für das Urteil waren vier Verfassungsbeschwerden aus den Jahren 2015 und 2016. Geklagt hatten unter anderen der frühere CSU-Vizeparteichef Peter Gauweiler sowie die Ex-AfD-Politiker Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel. Eine weitere Klägergruppe wurde von dem Berliner Finanzwissenschaftler Markus Kerber vertreten. © dpa
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